Buchcover: Michael Bijnens – Cinderella

Eine fremde Welt, flott erzählt,
ohne zum Punkt zu kommen

Titel Cinderella
(Cinderella)
Autor Michael Bijnens, Niederlande 2015
Aus dem Niederländischen von Heike Barga
Verlag Atrium
Ausgabe Gebunden, 445 Seiten
Genre Biografie, Drama
Inhalt

Ein Sohn, eine Mutter, eine unfassbare Geschichte: Die Mutter arbeitet in Antwerpen in einem Haus, vor dem sich zwei Straßen kreuzen: die Paradiesstraße und der Friedhofsweg.

Das Haus hat einen Namen: Es heißt Cinderella. Die Mutter arbeitet dort als Prostituierte, während ihr trauriger und wütender Sohn alles daransetzt, sie aus diesem Milieu herauszuholen. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, denn die Mutter weigert sich beharrlich, einer anderen Arbeit nachzugehen.

Schließlich setzt der Sohn alles auf eine Karte: Er kauft Cinderella, um ab sofort an der Kreuzung zwischen Paradiesstraße und Friedhofsweg die Geschicke seiner Mutter selbst in die Hand zu nehmen …

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre

Ist ganz okayEine Geschichte aus der Welt klebriger Puffs, vergorener Prostitution und unverbrüchlicher familiärer Liebe in Belgien. Autor Michael Bijnens ist tatsächlich Sohn einer Prostituierten. Sein alter Ego im Roman ist ebenfalls Schriftsteller, mehrfach wird erwähnt, dass er an einem Buch über seine Hurenmutter schreibt, die darüber sehr stolz ist. Bijnens hat auch Theaterstücke über seine Mutter geschrieben.

Aber "Cinderella" ist nicht 1:1 die Lebensgeschichte des Michael Bijnens. In Interviews betont er Unterschiede zwischen Fiktion und Leben. Aber es hat ihn offenbar sehr gewürfelt, dieses unstete Leben, das im Roman in einer Erzählung abgehandelt wird, die von Lachen bis Kotzen alle Gefühlsregungen für die Leser bereithält. Flott geschrieben in nicht zu langen Sätzen, aufgelockert mit vielen Dialogen blättert sich das Leben zweier Generationen auf, das einen lehrt: Wer unten ist, kommt nicht nach oben. Schon Michaels Großmutter war Prostituierte, im Leben von Mutter Iris gingen die Männer ein und aus, jedesmal mit Iris' Hoffnung, jetzt aber endlich den Erlöser gefunden zu haben, der ihr und den Kindern ein schönes Leben bereiten wird; denn dafür sind sie schließlich da, die Männer, denen sie im Gegenzug schließlich ihren Körper opfert. Ein schönes Leben bereiten die Männer ihr natürlich nicht, manchmal auch deshalb nicht, weil Mutter Iris nicht von der Hurerei lassen will: „Mir gefällt meine Arbeit. Es gibt nichts in meinem Leben, das ich so gerne tut, wie diese Arbeit. Der Mann. Die Männer. Das sind die einzigen Männer, die mich wenigstens bezahlen. Die etwas für mich tun. Für die ich etwas wert bin und die mir ihre Aufmerksamkeit schenken. Die sich über mich freuen. Die ich glücklich machen kann. Die mir etwas geben wollen und etwas von mir bekommen wollen.

Mit zunehmender Seitenzahl füllt sich das Personal-Tableau, Zuhälter und Kleingangster treten auf, weitere Nutten, Mutter Iris in schwesterlicher Liebe und Hass verbunden, ein undurchsichtiger Polizist, ein albanischer Clan. Das mühsam am Leben gehaltene Freudenhaus Cinderella füllt sich mit Leben, aber die Freude ist hier zunehmend weniger daheim. Es gibt Tote im Verlauf der Handlung, mit Gewalt zu Tode gebracht, und scheußlich verstümmelte und brutal erniedrigte Leiber, die mal Menschen waren. Darauf deutet am Anfang wenig hin, bis auf den Schauplatz natürlich – ein Bordell ist ja kein Hort des Hohen Anstands.

Das zeigt sich auch im Verhältnis von Mutter zu Sohn und umgekehrt. Meistens liegen sie sich in den Haaren, Ehen sich mit Schuldzuweisungen an die Kehle. Mutter Iris scheu auch nicht davor zurück, Sohn Michael in eine Schuldenfalle laufen zu lassen und auch dann noch zu jammern, immer habe sie alles geben müssen, nie habe man es ihr gedankt, da sei es nur richtig, dass jetzt der Sohn mal der Mutter helfe. Aber aus den Augen verlieren sie sich nur einmal, für ein halbes Jahr.

Bijnens' Schreibe aber bleibt immer kurzweilig, als würde er uns seine Geschichte am nachmittäglichen Kaffeetisch erzählen – wo er dann ab und zu dafür sorgt, dass die schmucke Tischdecke Flecken bekommt, weil wir erschrocken zusammenzucken. Das ist Stärke und Schwäche des Buchs. Es liest sich gut, die Geschichte aber geht nicht voran; sie zweigt ab, bleibt stehen, blickt nochmal zurück. Sie ist doch mehr Biografie mit aufgezählten Lebensstationen als treibendes Drama, das mich in die Aufmerksamkeit zwingt. So wirkt das große Finale wie wahllos aufgepfropft, konstruiert, um dem Ich-Erzähler noch eine pathetische Egal-was-ist-wir-gehören-immer-zusammen-Erklärung zu ermöglichen, die den 442 Seiten zuvor dann aber an Erkenntnissen nichts Neues mehr hinzufügt.

Ich bin für ein paar Tage in eine Welt abgetaucht, zu der ich in meinem wohl sortierten Leben keinen Zugang kenne. Die spezielle Beziehung zwischen Sohn und Mutter wird mich sicher noch hier und da beschäftigen.

Ich habe "Cinderella" vom 13. bis 17. Juni 2025 gelesen.