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Plakatmotiv: Spider-Man – Across the Spider-Verse (2023)

Visuell beeindruckend,
erzählerisch ausgefranst

Titel Spider-Man: Across the Spider-Verse
(Spider-Man: Across the Spider-Verse)
Drehbuch Phil Lord & Christopher Miller & Dave Callaham
nach den Comics von Stan Lee & Steve Ditko
Regie Joaquim Dos Santos + Kemp Powers + Justin K. Thompson, USA 2023
Stimmen

Shameik Moore, Marco Eßer, Hailee Steinfeld, Leonie Dubuc, Jake Johnson, Jaron Löwenberg, Oscar Isaac, Björn Schalla, Issa Rae, Nurcan Özdemir, Daniel Kaluuya, Kaze Uzumaki, Karan Soni, Imtiaz Haque, Greta Lee, Franciska Friede, Jason Schwartzman, Norman Matt, Melissa Sturm, Lara Trautmann, Peter Sohn, Marcel Mann, Mike Rianda, Sven Hasper, Brian Tyree Henry, Bernd Egger, Rio Morales, Lauren Vélez, Shea Whigham, Johannes Berenz, Peggy Lu, Marion Musiol, Donald Glover, Julien Haggège, Josh Keaton, Marius Clarén, J. K. Simmons, Axel Lutter u.a.

aufgeführt sind Srecher der us-amerikanischen und der deutschen Version

Genre Comic-Verfilmung
Filmlänge 140 Minuten
Deutschlandstart
1. Juni 2023
Website acrossthespiderverse.movie
Inhalt

Einige Zeit ist seit dem Aufeinandertreffen zwischen Miles Morales und Gwen Stacy ins Land gezogen. Zwar befinden sich die beiden wieder in ihren jeweiligen Universen, doch in Gedanken bleiben sie verbunden. Gwen hat inzwischen eigene Sorgen.

In ihrer eigenen Heimat bleibt sie weiter eine Einzelgängerin, die es als Spider-Girl zwar immer wieder mit fiesen Schurken aufnimmt, aber trotzdem steht sie im Verdacht, am Tod von Peter Parker beteiligt gewesen zu sein. Insbesondere ihr Vater setzt alles daran, die mutmaßliche Verbrecherin endlich dingfest zu machen – daran ändert auch Gwens Demaskierung nichts. Als Gwen es während einer Routine-Mission plötzlich mit einer seltsam altertümlich anmutenden Papier-Version des Bösewichts Vulture zu tun bekommt, muss sie feststellen, dass sich scheinbar neue Lücken im Multiversum aufgetan haben – und dass es Spider-Menschen gibt, die sich zwischen den einzelnen Universen frei bewegen können.

Angeführt von Miguel O'Hara alias Spider-Man 2099 sorgt eine Vereinigung für Ordnung im Spider-Multiversum. Gwen Stacy wittert eine Chance: Gibt es eine Möglichkeit, noch einmal Kontakt mit Miles Morales aufzunehmen?

Währenddessen hat Miles in seinem Universum auch einiges um die Ohren: Ein neuer Schurke namens The Spot sorgt in der Stadt für Chaos und setzt dabei eine Kette von Ereignissen in Bewegung, die die Zukunft des Multiversums beeinflussen wird …

Was zu sagen wäre

Wir leben in einem Multiversum, in einem, nun ja, Gebilde aus unzähligen Universen. Es sind so viele, dass eine übergeordnete Instanz die unterschiedlichen Erden in jedem Universum durchnummeriert hat. Wer in den vergangenen Jahren Marvel-Filme – vor allem die aus der Disney-Dynastie – gesehen hat, ist mit dem Multiversum-Phänomen schon einigermaßen vertraut, und – Marvel bleibt Marvel – auch in der Sony-Welt, die die Rechte an Marvels Top-Seller "Spider-Man" halten, gibt es das Multiversum. Eingeführt Weihnachten 2018 in Spider-Man: A new Universe, der Corona-bedingt verspätet erst jetzt fortgesetzt wird. Hier spielen speziell die Erden 19 und 42 herausgehobene Rollen. Aber das muss man sich nicht merken, zwischenzeitlich zieht die knallbunte Action um auf eine vierstellig bezifferte Erde, auf der ein indisch geborener Spider-Man durch ein riesiges Mumbattan schwingt.

In Bewegung bringt diesen Film eine bedauernswerte Kreatur, die sich "Spot" nennt. Eine weiße Figur ohne Gesicht, ohne Konturen, die ein bisschen an eine Figur aus Papier gemahnt, die mit schwarzen flecken (engl. Spots) Dimensionsportale öffnen und schließen kann. Angeblich war die Figur mal Wissenschaftler, die in die gigantische Dimensionsverschiebe-Apparatur geriet, die der Kingpin im Vorgängerfilm aufgebaut und eingeschaltet hatte. Der Wissenschaftler macht jetzt Spider-Man für sein Schicksal verantwortlich, sein Leben als Spot zu fristen, und schwört, das ganze Multiversum zum Einsturz zu bringen. Aber mittlerweile können auch einige Spider-Leute durch die Dimensionen springen – das hatte sich 2018 in der Post-Credit-Scene schon angedeutet.

Irgendwo existiert auch ein spezielles Spider-Verse, ebenso divers wie das Multiversum als solches, aber, wie der Name schon sagt, sehr Spider-Man-fokussiert. Für dieses Spider-Verse gibt es eine gigantische Zentrale auf einer weiteren – schon fünfstellig bezifferten – Erde mit der Hauptstadt Nueva York, in der ein schlecht gelaunter Miguel O'Hara über die Integrität der Spider-Verse-Struktur wacht und in gewisser Weise über alle anderen Spider-Men das Kommando führt – weniger vielleicht über Spider-Punk, der sich, wie sein Name andeutet, von keiner Autorität etwas sagen lässt. Die zahllosen Spider-Leute, die durch die Gänge der Zentrale wuseln, teilen alle dasselbe Schicksal: Spinnenbiss, Onkel Ben tot, Captain Stacy tot, und alle haben dieses Große-Kraft-große-Verantwortung-schlechte Gewissen – hierbei handelt es sich um sogenannte unveränderliche Knotenpunkte im multiversal gültigen Spider-Man-Kanon. 

Und der gerade erst flügge werdende Teenager Miles Morales – Erde 1610 – bringt nun angeblich alles durcheinander, weil er (in dem Film von 2018) von der radioaktiven Spinne gebissen wurde, die auf Erde 42 hätte zum Einsatz kommen müssen. Und nun passiert in diesem Spider-Verse das, was in jeder sozialen Gruppe passiert, in der alle gleich sind: Manche, wie der immer schlecht gelaunte Miguel O'Hara, fühlen sich gleicher als gleich und wollen Miles Morales, den sie als Anomalie im Spider-Verse identifizieren, ausbremsen. Der Film dauert 140 Minuten, aber die reichen gerade so für diesen Plot. Wie sie ihn dann ausbremsen und welche Folgen das – und auch Miles' Auflehnung gegen diese starren Regeln des immer schon vorher Bestimmten – haben wird, soll dann in einem kommenden Film mit dem Titel "Spider-Man: Beyond the Spider-Verse" erzählt werden. Das gehört seit den Harry Potter-Filmen dazu, dass im Finale mal einfach drauf los erzählt wird und der ganze Bums dann auf zwei Filme verteilt wird, die auch zweimal Eintritt kosten.

Visuell kann ich das nur begrüßen, schon dieser Film ist gegenüber seinem Vorgänger visuell noch aufregender. "Across the Spider-Verse" ist in seiner wilden Melange aus Zeichentrick, PopArt, abstrakter Malerei, Druckgrafik, Sprechblasenkunst, Computergraphics und Realfilm ein Actioncomic auf der Höhe seiner Zeit. Man kann sich an diesem Film gar nichts sattsehen, der mühelos zwischen 2D- und 3D-Optik changiert, ohne dass wir dafür eigens eine 3D-Brille aufsetzen müssen. Während der Sprünge durch das Raum-Zeit-Kontinuum legt der Film ein irres Tempo vor. Aber dosiert. Vor der Leinwand sitzt ein Zielpublikum, dass die Volljährigkeit selten schon erreicht hat. Da bremsen die drei Regisseure die Dramaturgie und geben Spider-Man, was des Spider-Man immer schon war: scheinbar unlösbare private Teenagerprobleme, die sich in den immer gleichen Dialogen zwischen Eltern und Sohn entfalten, die in den Hollywood-Studios in der Schublade mit der Buchstabenfolge "CoA" zum Einsatz bereit liegen, "CoA" wie Coming of Age. Höhepunkt dieser Dialoge ist immer, dass die Eltern Hausarrest verteilen.

Miles träumt von Gwen, die unerreichbar in einem anderen Universum lebt. Gwen träumt von Miles. Beide haben Stress mit den jeweiligen Eltern, die partout nicht verstehen, was in ihren Kindern vorgehet, was wahrscheinlich daran liegt, dass die Kinder ihnen nicht sagen, was in ihnen vorgeht, denn dafür müssten sie ihre geheime SuperheldInnen-Identität enthüllen. Gwen macht das schließlich, aber das ändert erst einmal auch nichts daran, dass ihr Vater sie als Spider-Woman festnehmen will. Teenager Miles fühlt sich eingeengt zwischen Eltern, Schule und Sportverein und sucht den Ausbruch aus der Umklammerung in ein selbstbestimmtes Leben. „Du bist nicht der einzige“, bekommt Miles eingangs mehrmals gesagt, „Du bist nicht allein“, womit der Film die Botschaft seines Vorgängers aufgreift. Aber am Ende stellt Miles bestimmt fest: „Ich mache mein eigenes Ding!"

Zum Knackpunkt in diesem Film wird nun der Umstand, dass nach der Logik des Spider-Verse demnächst sowohl Gwens Vater, der Policecaptain, als auch Miles' Vater, der vor der Beförderung zum Captain der Polizei steht, sterben müssen. Plakatmotiv: Spider-Man – Across the Spider-Verse (2023) Weil: Der Policecaptain, siehe "Kanon", stirbt schließlich immer. Stirbt er nicht, bekommt das Multiversum eine gefährliche Schieflage, die das ganze System in die Annihilierung treiben könnte.

Das löst nun den inneren Kampf des Helden aus, der im zeitgenössischen Heldenkino unabwendbar zu sein scheint – oder der Phantasielosigkeit der Drehbuchautoren und Produzenten geschuldet ist: Angeblich kann er nicht alle retten. Entweder, Miles rettet seinen Vater, der ihm gerade drei Monate Hausarrest aufgebrummt hat, und gefährdet damit das Multiversum. Oder er lässt ihn in eine verirrte Kugel (oder was auch immer) laufen, rettet dadurch alle anderen und bekommt diese ewigen Schuldgefühle, mit denen alle Spider-Man-Fans seit 1962 zu hadern haben.

Es handelt sich um Comic- oder Kinologik, die man als Zuschauer nicht tiefer hinterfragen sollte, weil sonst kaum ein Heldencomic noch erzählt werden könnte. Die intrinsische Lösung dieses Konflikts im Marvel-Universum lautet: Weil Miles ja von einer Spinne gebissen wurde, die im Kanon gar nicht für ihn bestimmt war, er also anders ist, kann er auch anders handeln, als die offenbar gleichgeschalteten Spider-Leute aus dieser Zentrale im Spider-Verse. Von denen ja zum Glück nicht alle gleichgeschaltet sind.

Gwen zum Beispiel, dann jener Peter Parker, der im Vorgängerfilm aus der Bahn geworfen worden war, pleite ging, von Mary Jane verlassen wurde und der sich heute aber mit Mary Jane und gemeinsamer Tochter ins Privatleben zurückgezogen hat, Spider-Punk und einige andere, die wir auch noch aus dem ersten Film vor fünf Jahren kennen; sie alle sind nicht so wahnsinnig Kanon-hörig und eilen dem schon wieder in ganz neuen Schwierigkeiten steckenden Miles zur Hilfe. Das ist dann die Story, die (wahrscheinlich) im folgenden Teil erzählt werden wird.

"Across the Spider-Verse" ist großes Comic-Kino mit fantastischen Bildern, berauschen Szenen, glucksender Teenie-Romantik und einer ordentlichen Portion Quatsch, in die sich die juvenile Zielgruppe im Kinosessel sofort vergucken kann. Wenn nun auch noch die Drehbuchautoren mehr Sorgfalt auf Szenenaufbau, Dialoge und vielleicht auch mal überraschende Wendungen legen würden, gäbe es nichts mehr zu meckern.

Wertung: 4 von 8 €uro
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