Rio ist nach einem Banküberfall von seinem Kumpel Dad Longworth im Stich gelassen worden. Nach fünf Jahren entkommt er aus dem Gefängnis und sinnt auf Rache.
Rio spürt Dad auf, der inzwischen im kalifornischen Monterey ein geruhsames Leben als Familienvater und Sheriff führt. Um ihm eins auszuwischen, verführt Rio Dads Stieftochter Louisa und gibt ihr danach hämisch den Laufpass. Als er wenig später in Notwehr einen Mann erschießt, sieht Dad eine Chance, Rio loszuwerden. Er peitscht ihn öffentlich aus, zerschmettert ihm die rechte Hand und jagt ihn aus der Stadt …
Dies ist Marlon Brandos einzige Regiearbeit. Sie kam zustande, weil er sich mit dem eigentlich vorgesehenen Regisseur Stanley Kubrick zerstritten hatte. Nach etlichen neuen Drehbuchentwürfen gab es schließlich einen mehr als dreistündigen Film, den die Produzenten auf zwei Stunden, 20 Minuten kürzten. Die Folge ist ein mächtiges Epos über Männerfreundschaft, Verrat, Liebe und vermeintlich bürgerliche Werte im ausgehenden Wilden Westen. Weil man einen fertigen Film nicht einfach so um eine Stunde kürzen kann, wird ihm jetzt an mancher Stelle die Luft knapp. Aber er bleibt immer noch gewaltig. Auch in seiner Überheblichkeit.
Zu Beginn geht eine lange Freundschaft kaputt, als der eine Kumpel den anderen auf der Flucht zurück lässt und sich mit dem gemeinsam geraubten Gold aus dem Staub macht. Der andere, Rio, geht dafür in ein Gefängnis, dessen verbale Schilderungen uns im fortgeschrittenen Film noch Schauer über den Rücken jagen werden. Nach fünf Jahren gelingt ihm die Flucht; er will Rache. Marlon Brando spielt Rio wortkarg und gewohnt nuschelnd (Sayonara – 1957; Die Faust im Nacken – 1954; Der Wilde – 1953; Julius Caesar – 1953; Viva Zapata – 1952; "Endstation Sehnsucht" – 1951), lässt mit einem scharfen Blick aus seinen blauen Augen die Gefahr aufblitzen, die von ihm ausgehen kann. Aber als er seinem alten Freund "Dad" dann nach fünf Jahren gegenüber steht, muss er erkennen, dass eine einfach Kugel seinen Rachedurst nicht stillen wird.
Dad Longworth hat sich vom Desperado zum Sheriff und spießbürgerlichen Familienoberhaupt gewandelt, der eine Mexikanerin zur Frau genommen hat, deren Tochter er als seine eigene aufzieht. In der Stadt ist er geachtet und von seinem früheren Leben will er nichts mehr wissen. Karl Malden ist für diese Rolle die Idealbesetzung, schafft er es doch wie kaum ein zweiter, blitzartig zwischen loyalen Freund und zynischem Arschloch zu wechseln ("Ein charmanter Hochstapler" – 1960; Die Faust im Nacken – 1954; Ich beichte – 1953; "Endstation Sehnsucht" – 1951; Okinawa – 1951; Der Scharfschütze – 1950). Rio will ihm diese bürgerliche Existenz vom Gesicht reißen.
Und hier beginnen die Probleme dieses Films. Rio macht sich mit hochnäsigem Charme an Dads Tochter Louisa heran und verführt sie am Strand bei Mondenschein. Er tischt ihr, die ihn schon bei der ersten Begegnung mit großen Augen anhimmelt, Lügen über sein Leben und seine Gefühle auf; sie verfällt ihm und muss sich am nächsten Morgen von ihm sagen lassen, dass nichts von dem gestimmt habe, was er ihr am Abend geflüstert habe. Das ist das Motiv von der unerfahrenen jungen Frau, die dem älteren, erfahrenen Mann erliegt – die Schauspielerin Pina Pellicer, die Louisa spielt, ist zehn Jahre jünger als Brando; das geht 1961, als der Film entsteht, in Hollywood als fast gleichaltrig durch. Trotz all der Lügen, obwohl Rio klar gemacht hat, dass er nur den Sex wollte, bleibt Louisa ihm verfallen und hält zu ihm durch alle Schwierigkeiten, die nun über Rio hereinbrechen. Und auch Rio verliebt sich zunehmend in die junge Frau – was man in Marlon Brandos Gesicht nun aber in kaum einer Einstellung mal erkennen kann. Diese Liebesgeschichte, die so zentral für den Film ist, bleibt unglaubhaft und aufgesetzt. Wichtig scheint den Produzenten davon nur zu sein: Tochter entehrt, Tochter unehelich schwanger, Zorn des Stiefvaters begründet. Und der Zorn bricht ordentlich durch bei Dad, der die erste Gelegenheit nutzt, Rio auf offener Straße zu demütigen, indem er ihn auspeitscht.
Gleich schließt sich das nächste Problem an: Mehr als sechs Wochen lang zieht sich Rio zurück und heilt seine vielen blutenden Wunden. Mit dabei sind immer sein treuer mexikanischer Freund Chico, mit dem er aus dem Gefängnis geflüchtet war, sowie in Bob und Harvey zwei Desperados, die es eigentlich auf die Bank in Monterey abgesehen haben, sich deshalb mit Rio verbündet haben und 900 Meilen Richtung Kalifornien geritten sind – „14 Tagesritte“, zählt Bob vor, also eine Menge Mühen. Und jetzt halten die wochenlang still, bis Rio wieder fit ist? Schwer zu glauben, zumal Bob und Harvey alles andere als freundliche, vertrauenswürdige Figuren sind.
Es sind diese erzählerischen Untiefen, die wir im Film mit eher unsympathischen Leuten verbringen müssen, die dem Film die Luft rauben, ihn beinahe zum Stillstand bringen. Obwohl das dafür spricht, den Film eher noch mal zu kürzen, bleibt die Frage, ob sich in der einen Stunde, die schon die Produzenten dem Film genommen haben, Material verbirgt, dass diese luftleeren Sequenzen mit Leben füllen, vielleicht auch das sprunghafte Verhalten von Dads Frau Maria erklären würde.
"One-Eyed Jacks" ist ein Film mit wuchtigen Panoramen und wunderbaren Bildern, die ein düsteres Drama erzählen, das die Brutalität der späteren Italowestern vorweg nimmt. Der englische Originaltitel "One-Eyed Jacks" bezieht sich auf die beiden Karten Pik- und Herz-Bube des anglo-amerikanischen Spielkartenblattes, die im Profil – also ein-äugig – abgebildet sind und die, wenn sie entsprechend nebeneinander gelegt werden, einander anblicken – so wie Rio und Dad, als sie sich gegenseitig ihre Leben zerstören.