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Plakatmotiv: She said (2022)

Aufregend erzählter Blick auf
einen erschütternden Skandal

Titel She said
(She said)
Drehbuch Rebecca Lenkiewicz
nach dem gleichnamigen Buch von Jodi Kantor und Megan Twohey
Regie Maria Schrader, USA, Japan 2022
Darsteller

Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher, Peter Friedman, Zach Grenier, Jennifer Ehle, Lola Petticrew, Samantha Morton, Angela Yeoh, Ashley Judd, Keilly McQuail, Frank Wood, Tom Pelphrey, Adam Shapiro, Mike Houston, Anastasia Barzee, Sean Cullen, Gwyneth Paltrow, Katherine Laheen, Emma Clare O'Connor, Dalya Knapp, Emery Ellis Harper, James Austin Johnson, Katie Nisa, Sarah Ann Masse, Mike Spara, Traci Wolfe, Sujata Eyrick u.a.

Genre Drama, Geschichte
Filmlänge 129 Minuten
Deutschlandstart
8. Dezember 2022
Inhalt

Nachdem die New York Times im Jahr 2017 über sexuelle Belästigung durch den Fox-News-Moderator Bill O’Reilly berichtete und der Artikel dessen sofortige Entlassung zur Folge hatte, beschließt die Herausgeberin Rebecca Corbett, die gesamte Unterhaltungsbranche weiter unter die Lupe zu nehmen. Die Investigativjournalistin Jodi Kantor stößt daraufhin schon bald auf Missbrauchs-Anschuldigungen der Schauspielerinnen Rose McGowan und Ashley Judd gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein. Sie tut sich mit ihrer Kollegin Megan Twohey zusammen, die zuvor bereits eine ähnliche Recherche über Donald Trump veröffentlichte und nach einer Schwangerschaftspause wieder arbeiten möchte.

Die Journalistinnen kontaktieren Schauspielerinnen, die am Anfang ihrer Karrieren mit Weinstein zu tun hatten, und ehemalige Mitarbeiterinnen von dessen Produktionsfirma Miramax. Viele Betroffene geben zu, von Weinstein in der Vergangenheit sexuell belästigt oder sogar missbraucht worden zu sein, wollen aber keinesfalls zitiert oder namentlich genannt werden, da sie negative Folgen für ihre eigenen Karrieren befürchten oder gegen Geld sogenannte "Non-Disclosure Agreements" (NDA) unterzeichnet haben, Verschwiegenheitsklauseln.

Da Weinstein von der Recherche erfahren hat, kommt es zu einem Treffen mit seinem Vertreter Lanny Davis. Dieser gibt die Existenz der Geheimhaltungsverträge offen zu, fordert allerdings die sofortige Einstellung der Recherche und deutet an, dass man sich auch mit dem New Yorker finanziell einigen konnte, um die Geschichte nicht an die Öffentlichkeit zu bringen.

Um eine Person zu finden, die offen und legal über die NDAs sprechen darf, kontaktiert Kantor Irwin Reiter, einen ehemaligen Buchhalter von Weinstein. Dieser zeigt sich von der Tragweite der Vorwürfe erschüttert und überlässt der Journalistin ein internes Memo von Miramax, mit dem die Missbrauchsvorwürfe belegt werden können.

Kantor und Twohey kontaktieren Weinstein und bitten ihn um eine Stellungnahme. Dieser streitet zunächst alle Vorwürfe ab, fordert vehement die namentliche Nennung der anonymen Quellen …

Was zu sagen wäre

Für Otto Normalverbraucher tut sich nicht weit vor dem Ende des Films die wahre Hölle auf. Da haben schon lauter Frauen davon erzählt, was in den Hotelzimmern von Harvey Weinstein und seinem berühmt gewordenen Bademantel alles passiert ist. Und dass sie in der ganzen Branche nie wieder einen Job bekommen haben, nachdem sie vor Weinstein geflohen sind. Mächtige Männer haben geschwitzt vor der Macht des Filmproduzenten und geschwiegen. Bis dahin haben wie den mächtigsten Filmproduzenten der Welt noch nicht einmal gesehen, nur einmal seine Stimme am Telefon gehört. Er taucht spät zweimal als massige, gesichtslose Gestalt auf. In Szenen, in denen er eigentlich die Hauptrolle spielt, bei Aufnahmen in Hotelzimmern etwa, wurden die Personen aus der Szene entfernt und das, was dort geschehen ist, durch Objekte wie laufende Duschkabinen oder ein auf dem Bett liegender Bademantel nacherzählt.

Es tut sich das Bild einer Filmbranche auf, die offen von Weinsteins Missbrauch gewusst und es Jahrzehnte vertuscht zu haben scheint. Beklemmende Geschichten haben wir erfahren, von denen wir vieles aus Zeitungsartikeln kennen, die wir im Zuge des Weinsteinprozesses gelesen haben und im Film erscheint der Filmproduzent durch seine visuelle Abwesenheit als ein gewissenloses, Angst einflößendes Monstrum. Aber dann, nicht weit vor Ende des Films, sagt einer aus der zweiten Reihe, der eben die Aussage einer Frau gelesen hat, die der Film zur Schlüsselaussage der ganzen Geschichte aufgebaut hat, „Ich dachte, es ging um so einen Seitensprung-Bullshit“. Dieser eine Satz fasst alles zusammen, was wir 100 Minuten lang zuvor erklärt bekommen haben. Menschen werden Opfer mächtigerer Menschen und die Umgebung weiß Bescheid, hält das aber für irgendwie normal, Seitensprung halt – Harvey, der Schlawiner. Dahinter zeichnet sich ein System ab, in dem vor Gericht alle von einem Vergleich profitieren – die Angeklagten gehen straffrei aus und die Anwälte streichen 40 Prozent der ausgehandelten Vergleichssumme ein; die Opfer bleiben traumatisiert, werden aber aus Sicht der anderen Seite „mit einer hübschen Summe“ entschädigt. Offenbar ist das System Harvey Weinstein ein generelles System aus Missbrauch, Vertuschung und Freikaufen, dass sich über ganz Corporate America dehnt.

Natürlich kommt auch die Verteidigungslinie zur Sprache, dass es sich bei den Zeuginnen um Frauen handle, die sich über Harveys Kontakt Erfolg in der Filmbranche erhofften und jetzt das Scheinwerferlicht suchten, indem sie den mächtigen Boss anschwärzen. aber da ist der Film schon so weit fortgeschritten, dass die Journalistinnen nur einmal verächtlich grinsen müssen, dass das Argument ganz vom Tisch – und auch aus unseren Köpfen gestrichen – ist.

Maria Schrader hat einen großartigen Film aus etwas gemacht, das sich dem Visuellen verschließt. Der Vergleich zu Alan J. Pakulas Klassiker All the President's Men (1976), in dem die Reporter Bernstein und Woodward den Watergate-Skandal aufdecken, drängt sich auf: Es gibt keine Aktion, aber lauter Telefonate, Hintergrundrecherchen, Gespräche in Großraumbüros – gedreht wurde in den echten Räumen der New York Times, die zur Drehzeit im Sommer 2020 wegen der Corona-Pandemie weitgehend leer waren – viele Namen schwirren durch den Kinosaal, Aussagen werden widerrufen und erst freigegeben, wenn auch andere sich äußern, Plakatmotiv: She said (2022) was weitere Telefonate nach sich zieht und zwischendrin stehen die Zeitungsbosse beieinander und stellen fest, dass die „Story zu dünn“ ist, um „jetzt schon damit rauszugehen“! Die Haltung, die in diesem letzten Satz steckt, führt dazu, dass die so gar nicht visuell zu erzählende Geschichte auch als Film packt. Abgesehen davon, dass die Chefetage Dienstreisen nach England und quer durch die USA genehmigen, die dem Auge ein wenig Abwechslung und Landschaften, echte Welt gönnen, ist die Grundeinstellung aller Beteiligten, auch der Ehemänner und Kinder der beiden Reporterinnen, immer positiv. "She Said" ist kein getunter Dokuthriller, in dem dauernd irgendeine Uhr Richtung vorzeitiges Aus runterläuft, in dem Ehepartner enttäuscht zu ihrer Mutter zurückziehen, weil der andere die Arbeit mehr liebt als sie. Gegen Wände und Ablehnung laufen die Reporterinnen in ihrem Job genug, da muss ihre Handlung nicht künstlich aufgeheizt werden. Wir kennen den Fall ja in groben Zügen. Hier erfahren wir nun viel über die Hintergründe und das System Weinstein. Ein spannendes Dokudrama mit zwei wunderbaren Schauspielerinnen.

Carey Mulligan (Inside Llewyn Davis – 2013; Der große Gatsby – 2013; Drive – 2011; Wall Street: Geld schläft nicht – 2010; "An Education" – 2009) ist Megan Twohey, die erfahrenere Reporterin, die gerade ihr erstes Kind bekommen hat und mit den überraschenden Schwierigkeiten nicht klarkommt. Im Team spielt sie die zweite Geige. Die Recherchen leitet die Jüngere, Jodi Kantor, die Zoe Kazan (Die Wahlkämpferin – 2015; The F-Word – 2013; Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin – 2012; Pippa Lee – 2009; "Zeiten des Aufruhrs" – 2008; Im Tal von Elah – 2007) als hartnäckige Wanderin zwischen forderndem Job und liebevollem Privatleben spielt. Keine von beiden geriert sich als Glamourgirl bei der Times. Wir erleben zwei Jederfrauen.

Schrader und ihre Drehbuchautorin stützen sich auf die Fakten, wie sie die (realen) Reporterinnen Jodi Kantor und Megan Twohey in ihrem Buch aufgeschrieben haben und Schrader erweitert die Szenerie noch um einige wichtige Szenen im Familienleben der beiden, die nicht in der Buchvorlage auftauchen, im Film aber das Bild der beiden Heldinnen abrunden. Diese Szenen machen deutlich, dass investigative Reporter weder ununterbrochen in Lebensgefahr schweben noch ununterbrochen an ihrem Stück arbeiten; zwischendrin ist ganz normal Familie mit schreienden Kindern, lustigen Ehemännern und neugierigen Fragen heranwachsender Töchter: „Wurden sie vergewaltigt?“ Beim Sonntagspicknick im Park ruft dann plötzlich die potenziell wichtigste Zeugin an und in so einem Fall geht das Familienleben dann ohne Mommy weiter. Da erzählt der Film sehr en passend von modernen Familienstrukturen in einer Welt, in der "die alten" Strukturen erst langsam beginnen zu bröckeln und schließlich nicht zuletzt aufgrund dieser modernen Strukturen zum Einsturz gebracht werden. Zumindest Harvey Weinstein wurde im März 2020, ausgelöst durch die Recherchen der beiden Frauen, zu 23 Jahren Haft verurteilt.

Wertung: 7 von 8 €uro
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