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Plakatmotiv: Angeklagt (1988)

Ein Drama, das
lange nachhallt

Titel Angeklagt
(The Accused)
Drehbuch Tom Topor
Regie Jonathan Kaplan, Kanada, USA 1988
Darsteller

Kelly McGillis, Jodie Foster, Bernie Coulson, Leo Rossi, Ann Hearn, Carmen Argenziano, Steve Antin, Tom O'Brien, Peter Van Norden, Terry David Mulligan, Woody Brown, Scott Paulin, Kim Kondrashoff, Stephen E. Miller, Tom Heaton u.a.

Genre Drama
Filmlänge 111 Minuten
Deutschlandstart
23. Februar 1989
Inhalt

Im Hinterzimmer einer Kneipe wird die junge Sarah Tobias vor den Augen untätiger Zeugen von drei Männern vergewaltigt. Ihre Anwältin Katheryn Murphy bringt den Fall vor Gericht. Doch es ist kein Zeuge aufzutreiben.

Sarahs freizügiger Ruf stützt die Aussage der Täter, die Gewalttat durch ihr aufreizendes Verhalten herausgefordert zu haben. Katheryn sieht keine Chance für ihre Mandantin und lässt sich auf einen Handel mit der Verteidigung ein. Sarah aber muss nun mit Anzüglichkeiten und Demütigungen leben.

Eines Tages dreht sie durch. Jetzt begreift Katheryn, dass sie den falschen Weg gewählt hat. Sie lässt den Fall neu aufrollen, klagt die untätigen Zeugen an, die ebenso schuldig sind. Sie schafft einen Präzedenzfall – ohne sich ihres Erfolges sicher zu sein …

Was zu sagen wäre

In den USA wird alle sechs Minuten eine Vergewaltigung angezeigt“, heißt es im Abspann des Films: „Eines von vier Opfern wird von mehr als einem Täter angegriffen.“ In den Zeitungen stehen solche Meldungen weiter hinten bei den bunten Meldungen, die mit "Panorama" oder "Aus aller Welt" überschrieben sind. Wenn sie überhaupt in die Zeitung kommen. Denn was ist schließlich eine Vergewaltigung? Wo geht einvernehmlicher Sex in den Straftatbestand der Vergewaltigung über? Wer soll das so genau beurteilen, wer bezeugen?

Plakatmotiv (US): The Accused – Angeklagt (1988)Jonathan Kaplans Film macht es dem Zuschauer etwas einfacher, schaut nicht ins Schlafzimmer eines Paares, bei dem im Fall der Fälle dann Aussage gegen Aussage steht und meist endet das Verfahren dann „aus Mangel an Beweisen“. Jonathan Kaplan inszeniert die Vergewaltigung in einer Bar, auf einem Flipper, umgeben von einer Horde angetrunkener, aufgegeilter Männer.

Aber tatsächlich: So wie Sarah Tobias in der Bar auftritt, sich von einem der Typen umarmen und küssen lässt, so lasziv sie mit dem Hintern wackelt, da ist die Situation nicht so eindeutig, wie der Film uns das eine Stunde lang erzählt hat. Denn der beginnt erst nach der Vergewaltigung, verzweifelte Schreie, Notruf bei der Polizei, eine junge Frau mit heruntergerissenen Klamotten läuft in die Nacht, Krankenhaus, Untersuchung, Staatsanwaltschaft, Beweisaufnahme und das Opfer, Sarah Tobias, ein Mädchen aus dem Trailerpark.

Im Zuschauersessel sehen wir nur ihre Perspektive. Wir glauben ihr. Nicht nur, weil sie die Geschehnisse in jener Bar nach einer Filmstunde im Zeugenstand sehr ergreifend schildert – und Jodie Foster diese Zeugenaussage in dauernder Großaufnahme sehr überzeugend spielt –, sondern auch, weil wir da schon ein wenig mehr wissen: Ja, Sarah war angetrunken. Ja, Sarah hat heftig geflirtet. Die Täter haben dann einem Deal ihrer Anwälte zugestimmt, haben sich wegen "gefährlicher Körperverletzung" verurteilen lassen, also bestätigt, das etwas passiert ist. Ist die Sache vielleicht nur aus dem Ruder gelaufen? Kann es in der Bar zwischen den sehr angetrunkenen Beteiligten zu Marihuana-vernebelten "Missverständnissen" gekommen sein?

Jonathan Kaplan spielt den Fall nüchtern durch mit Sympathien für das Opfer. Sein Film spielt im Staat Washington, im Nordwesten der USA, viel Wald, dazwischen Seattle, die Stadt der Boeing Werke, ein Staat kerniger, bodenständiger Menschen, konservativ. Männer, wie Sarahs Freund und Taugenichts, der es bald leid ist, dass sie immer noch wegen „dieser Sache“ traumatisiert ist, „das ist doch langweilig“.

Nachdem der eigentliche Vergewaltigungsfall also – wir haben Ende der 80er Jahre, nicht der 70er, da würde ein Aussage-gegen-Aussage-Film bei einem so heiklen Thema in der Luft zerrissen und alle riefen laaaaangweilig! – bald mit dem Deal zwischen Anklage und Verteidigung abgeschlossen ist – da ist der Film noch keine Stunde alt – greifen Kaplan und sein Autor Tom Topor die Gesellschaft als solche an, zwingt uns, uns die Frage zu stellen Was hätte ich eigentlich getan, als Zeuge da in der Bar? Da ist gerade klar geworden, dass nicht einfach nur etwas aus dem Ruder gelaufen ist; da ist etwas viel Schlimmeres in dieser bar passiert. Die meisten im Kinosaal hätten sich sicher nicht so widerlich verhalten, wie die Kerle auf der Leinwand, aber wären wir dazwischen gegangen, mitten hinein in diesen alkoholgeschwängerten Haufen explodierenden Testosterons?

Der Film ist nicht spektakulär inszeniert, keine Mäzchen, eher nüchtern – sieht man mal von der spektakulären Leistung Jodie Foster ab, die endlich wieder die Chance bekommt, ihre ganze Qualität auszuspielen ("Pinguine in der Bronx" – 1987; Hotel New Hampshire – 1984; "Bugsy Malone" – 1976; "Das Mädchen am Ende der Straße" – 1976; Taxi Driver – 1976).

Diese Leistung ist für das Gelingen des Films entscheidend, denn sie macht diesen Film glaubhaft, erreicht, dass wir nach dem Kinobesuch noch lange reden über Frauen, Männer, „anzügliche Kleidung“, falsches oder richtiges Verhalten, Opfer und Täter. "The Accused" ist ein Film mit ernstem Anliegen, packend erzählt, und er trifft ins Schwarze.

Wertung: 10 von 10 D-Mark
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