Buchcover: Wolfgang Herrndorf – Sand
Ein literarische Wanderung durch
eine impressionistische Wüste
Titel Sand
(Sand)
Autor Wolfgang Herrndorf, Deutschland 2013
Verlag Rowohlt Taschenbuch Verlag
Ausgabe Taschenbuch, 474 Seiten
Genre Roman
Website wolfgang-herrndorf-sand.html
Inhalt

Die Wüste im Norden Afrikas, eine ehemalige französische Kolonie, 1972: Der Polizeibeamte Polidorio, dessen Großvater Araber war, soll einen Mordfall in einer Hippie-Kommune aufklären. Bei seinen Ermittlungen in der Wüste in der Nähe des Ortes Targat wird ihm aufgrund einer Verwechselung durch den schwedischen Geheimagenten Lundgren, der ihn für seine Kontaktperson hält, in einer Scheune der Schädel eingeschlagen, so dass er sein Gedächtnis verliert.

Ab diesem Zeitpunkt verschwindet der Name Polidorio aus dem Roman, der zunächst namenlose Amnesiker nennt sich selbst Carl und versucht fortan, seine Identität herauszufinden. Carl macht die Bekanntschaft mit der Amerikanerin Helen Gliese, die ihre Jugendfreundin Michelle besucht. Michelle war Teil der Kommune, in der der eingangs beschriebene Mord stattfand.

Helen Gliese liest den verwirrten Carl auf und verspricht, ihm bei der Suche nach seiner Identität zu helfen. Erinnerungsfetzen lassen Carl glauben, dass er in eine Spionage-Affäre verwickelt ist. Sie überredet Carl, einen Psychologen aufzusuchen, damit Carl herausfindet, wer er ist, und was es mit der geheimnisvollen „Mine“ auf sich hat, die er sucht …

Was zu sagen wäre
Sand

Ich bin kein Freund langer Spaziergänge. Das ziellos scheindende durch-die-Gegend-Irren erscheint mir als Zeitverschwendung. Deswegen habe ich große Schwierigkeiten, mich in Herrndorfs „Sand“ hineinzuarbeiten. Über 120 Seiten würfelt er durch Kapitel getrennte Szenerien mit Menschen darin aneinander, die manchmal wiederkehren, aber über die Kapitelgrenzen hinweg keine Beziehung zueinander aufbauen, und zwischendrin wird mal in einem Nebensatz erwähnt, dass in München gerade palästinensische Terroristen das Olympische Dorf besetzt halten.

Ich darf es dem Autor wahrscheinlich nicht vorwerfen, dass der Klappentext mit ebendiesem terroristischen Akt beginnt, aber die Erwartung in mir ist über diese zusammenhangslos erscheindenden ersten 120 Seiten doch sehr damit verknüpft. Tatsächlich aber dient diese historische Hausnummer lediglich als ebensolche: Sie soll Zeitpunkt und politische Stimmung ein wenig einordnen – bis dann tatsächlich eine Geschichte Fahrt aufnimmt.

Was dann folgt, ist das Martyrium eines Mannes ohne Gedächtnis – damit ein Mann ohne Schuld, ein Simplicissimus, einer, dem ich mitfühlend die Hand halte, während er, dem einen Schlamassel knapp entronnen in den nächsten, noch schmerzhafteren, stolpert und immer noch mehr mehr Menschen, die ihm nicht glauben, Dinge aus ihm herauspressen wollen, die er augenscheinlich nicht weiß.

Worum es eigentlich geht, ist egal. Herrndorf hält es da mit Hitchcocks MacGuffin – einem Ding, das alle wollen und deshalb die Dinge in Bewegung setzt und am Laufen hält. Es ist Herrndorfs wunderbare Sprache, die – sobald mit einer Handlung verknüpft – mich anzieht und bis nachts um drei uhr nicht los lässt, eine Art literarischer Impressionismus, in dem ich fühle, was die Figuren fühlen, bis der Schmerz unerträglich ist – oder mir um drei Uhr nachts die Augen zu fallen. Zu diesem Impressionismus mischt er surreale Dialoge, etwa, wenn drei Entführer in Streit geraten, weil der eine – ein Syrer – nun dringend beten müsse, weil die Sonne untergeht, die anderen beiden ihr Fluchtfahrzeug – richtung Westen – aber nicht anhalten und umdrehen – Richtung Osten, Mekka – wollen und sich also über die Spezifikationen ihrer unterschiedlichen Religionen in die Haare kriegen.

Und als das Buch zu Ende ist, habe ich einen komplexen, überraschenden, witzigen, spannenden, irgendwie sogar romantischen Roman über seltsame Menschen in exotischer umgebung gelesen, die eine Story ergeben, die sich nciht bündig zusammenfassen lässt; der Versuch oben ist ein halbwegs missratener. Zieht man in die Besprechung mit ein, dass Wolfgang Herrndorf, als er diesen Roman schrieb, wusste, dass er nicht mehr lange zu leben haben würde, dann liest sich dieser ganze Roman wie eine Allegorie auf verschiedene, voneinander ahnungslose Körperfunktionen, die nach und nach den Geist aufgeben, während der Kampf ums Überleben der Hauptfigur (des Autors) zunehmend verzweifelt geführt wird und schließlich mit einer barmherzigen … aber soweit will ich nicht vrgreifen …

Ich habe das – wie gesagt: zu Beginn schleppende – Buch zwischen dem 4. April und dem 5. Juni 2016 gelesen.