Buchcover: Paula Hawkins – Girl on the Train
Bekannte Storyelemente effizient zu
einem spannenden Krimi verwoben
Titel Girl on the Train
(The Girl on the Train)
Autor Paula Hawkins, UK 2015
aus dem Englischen von Christoph Göhler
Verlag Blanvalet
Ausgabe E-Book, 445 Seiten
Genre Krimi
Website paulahawkinsbooks.com
Inhalt

Rachel fährt jeden Morgen mit dem Zug in die Stadt. Jeden Morgen hält der Zug auf der Strecke an derselben Station an, wobei Rachel gern die Bewohner in den Gärten der umliegenden Häuser beobachtet. Fast jeden Morgen sieht sie ein junges Pärchen, welches sie Jess und Jason nennt. Es scheint, als würden sie ein perfektes Leben führen. Genau so, wie Rachel es sich immer für sich vorgestellt hat, damals als sie hier nur ein paar Häuser weiter lebte mit Tom, bevor klar wurde, dass sie keine Kinder bekommen kann, sie im Alkohol versank, die Ehe zerbrach und er in ihrem Haus dann mit Anne das erhoffte Familienglück fand.

Heute ist sie eine Gescheiterte, lebt in einer anderen Stadt bei einer Freundin zur Untermiete und trinkt mehr Wein als gut ist. Da liest sie eines Tages in der Zeitung vom Verschwinden einer Frau, daneben ist ein Foto jener Frau abgebildet, die sie Jess nennt. Rachel geht zur Polizei – denn vor ein paar Tagen, als sie wieder an jenem Haus mit Garten vorbeifuhr, sah sie Jess in diesem Garten mit einem anderen Mann. Jess, die eigentlich Megan heißt, küsste ihn leidenschaftlich. Hat dieser Mann mit ihrem Verschwinden zu tun?

Die Polizei tut sich schwer, Rachel Glauben zu schenken. Nicht nur finden sie den Gedanken abstrus, durch aus dem Zugfenster-gucken in anderer Leute Leben einzutauchen; sie halten Rachel auch deshalb für eine Wichtigtuerin, weil sie am Abend, als Megan verschwand, in der Stadt war, in der Nähe, sturzbetrunken, offenbar wieder mal Tom und seine Frau mit Anrufen und terrorisierend. Blutend und zerschunden war sie am nächsten Morgen aufgewacht und konnte sich an nichts erinnern. War sie niedergeschlagen worden? Von wem? Oder war sie nur betrunken die Bahnhoftreppe runtergestürzt?

Rachel steigert sich eine Paranoia, die sie mit Alkohol bekämpft, der sie zu weiteren Dummheiten verleitet …

Was zu sagen wäre
Girl on the Train

Nach dem Ende der Lektüre sollte sich jeder Leser an die eigene Nase fassen und prüfen, ob er nicht auch zu dem einen Glas zu viel neigt. Paula Hawkins beschreibt eindringlich die Blackouts ihrer Weinseligen Heldin und wir lesen das und denken immer nur, och nee, mach die Flasche nicht auf! Und es ist schon viel Unsinn, den Rachel mit besoffenem Kopf anstellt; dauernd ruft sie ihren Ex an, meint, ihn wieder für sich gewinnen zu können, dabei – auch das macht Paula Hawkins sehr deutlich – hat Rachel durch ihren Alkoholkonsum deutlich an Attraktivität eingebüßt, ist „fett“ geworden, während ihr Ex ein gebärfreudiges Zuckerpüppchen daheim hat.

Dass es wieder mal die Unfruchtbarkeit ist, die die Heldin in die Sinnkrise stürzt, ohne die der ganze Roman nicht funktionieren würde, ist nachzusehen, weil eine Frau das Buch schreibt, allein Frauen die Geschichte erzählen und die Männer als dem praktischen Leben gegenüber eher überfordert dargestellt werden – so richtig gut weg kommt hier eigentlich niemand. Und das macht den Roman sympathisch. Seine unorthodoxe Erzählstruktur macht ihn spannend.

„Girl on the Train“ lebt von unterschiedlichen Perspektiven. Sowohl Rachel als auch Megan als auch Anna erzählen in jeweils mit Datum überschriebenen Kapiteln in der Ich-Form, wobei die Erzählungen Megans ein Jahr früher einsetzen. Daraus ergibt sich ein interessanter Spannungsbogen, der heute Fragen stellt, die sich dem Leser damals klären. So wird aus der anfänglichen Zugfahrerin sehr schnell eine komplexe, dreidimensionale Figur mit Ecken, Kanten und persönlichen Verwicklungen in den Fall der vermissten Megan, der wir bereitwillig folgen. Wir werden dafür belohnt mit einem abwechslungsreichen Personaltableau, bei dem erschreckend klar wird, wer mit wem wie und was zu tun hatte; bis wir irgendwann sogar die Polizei verdächtigen, ein doppeltes Spiel zu spielen.

Paul Hawkins hat nicht die Schriftstellerei neu erfunden. Ihr Ausgangspunkt ist ähnlich dem, den schon Alfred Hitchcock in „Das Fenster zum Hof“ wählte. Die Alkoholikerin, die Blackouts, die spezielle Art der Kriminalbeamten, die Motivation der (später) als Täter überführten Person … all das ist zusammengebaut aus Versatzstücken alter Klassiker. Hawkins aber nutzt diese Versatzstücke mit ihrem ununterbrochenen Perspektivwechel auf zwei Zeitebenen effizient für einen Pageturner.

Ich habe „The Girl on the Train“ zwischen dem am 27. und dem 31. Juli 2016 gelesen. Urlaubslektüre 2016.