Die Zwillinge wurden als Kind im dunklen Wald ausgesetzt, fanden ein Häuschen nur aus Zuckerstangen und süßen Leckereien und gerieten in die Fänge einer hungrigen Hexe. Über Wochen der Gefangenschaft musste das Mädchen, Gretel, das Feuer fachen, der Junge, Hänsel, musste Plätzchen futtern, ohne Unterlass Plätzchen. Eines Tages gelang ihnen die Flucht, sie befreiten sich aus den Fängen der bösen Hexe und verbrannten sie im Feuer. „Ist es nun heiß genug?” Gretels Frage sollte das letzte sein, was das faltige, zahnlose Ungeheuer jemals hörte.
Viele Jahre später ist das Geschwisterpaar bekannt als Hänsel & Gretel, Hexenjäger. Sie sind die Stars ihrer – kleinen – Branche. Sie werden nach Augsburg gerufen. Hier sind in den vergangenen Wochen elf Kinder verschwunden. Offenbar haben Hexen ihre Finger im Spiel. Und siehe: Eine geheimnisvolle Karte deutet an, dass in drei Tagen eine Mondfinsternis über Augsburg kommt – ein „Blutmond” im Hexensprech. Und es sind nicht irgendwelche Hexen, die hier Kinder rauben.
Es ist Muriel, die dunkelste der Schwarzen Hexen, die ein für alle Mal die Machtfrage klären will zwischen Menschen und Hexen. Dazu braucht sie den Blutmond, ein weiteres Kind - und Hänsel & Gretel aus dem Weg geräumt …
Okay: Was erwarten wir von einem Film mit dem Titel „Hänsel & Gretel – Hexenjäger”, auf dessen Kinoplakat eine in enges Leder gewickelte Gemma Arterton und der aktuelle Action-Darling Hollywoods, Jeremy Renner, mit großkalibrigen Waffen cool in die Kamera gucken und dessen Trailer ungefähr so viel Blut verspritzt, wie ein durchschnittlicher Tarantino-Klamauk? Schlimmstenfalls billig zusammengeschusterte Action-Comedy-Ware mit zwei Hauptdarstellern, die immer noch ihren kommerziellen Durchbruch suchen. Bestenfalls einen Action-Klamauk mit zwei Hübschis.
Es ist alles viel besser!
Eine groteske Schlachtplatte mit Harry-Potter-Flüchen
Im Kinojahr 2013 gab es in der Kommerz-Kinospaß-Liga, in der auch Hänsel & Gretel antritt, schon viele Enttäuschungen. Dieser Film entwickelt den Charme von Inglourious Basterds im Märchenland. Er ist auf wunderbare Weise albern. In bizarrer Logik durchgeknallt. Hänsel benötigt regelmäßige Injektionen … er ist zuckerkrank, weil er als Kind von jener Hexe mit zu viel Plätzchen gefüttert wurde. Der Zuschauer lernt die – ausgesprochen unappetitlichen – Folgen des Heißhunger-auf-Kriechtiere-Fluchs kennen. Irgendwie hatte da jemand Lust, mal diese Harry-Potter-Zauberspruch-Werferei durch den Kakao zu ziehen.
Tommy Wirkola, der das Buch geschrieben und Regie geführt hat, richtet eine groteske Schlachtplatte an, bevölkert sie mit einem süffigen Cast und schafft es, dass wir beim Tod der ein oder anderen Nebenfigur tatsächlich sowas wie Bedauern empfinden. Der Film ist Comic im besten Sinne. Die Figuren sind klar umrissen, Nebenfiguren entweder GUT oder BÖSE, geschundene Kreaturen offenbaren ein sanftes Herz, die Tat der Helden-Eltern, die ihre Kinder Hänsel und Gretel einst in den finsteren Wald aussetzten, findet hier ihre Rehabilitation. Und alle Beteiligten sehen ihrem Job entsprechend atemberaubend gut aus – oder hässlich.
Gemma Arterton in engem Leder
Kino heißt auch „gucken”, speziell bei solcher Art Filme und da darf ich sagen: Gemma Arterton scheint auf diese Rolle lange gewartet zu haben. Weder ihre Agentin Strawberry Fields in Bonds Ein Quantum Trost (2008), noch ihre Prinzessin Tamina in „Prince of Persia”, noch ihre Göttin Io in Kampf der Titanen (2010), die allesamt Eindruck hinterließen, waren ihre Filme. Als Tamina erstickte sie in der Wahrnehmung im Pixelreichen Wüstensand, in den anderen hatte sie markante Nebenrollen, die diesen wer-war-das-noch-gleich-wieder-Reflex auslösten. Als Schauspielerin blieb sie damit immer unter dem Radar.
Dann gab es da noch Stephen Frears „Immer Drama um Tamara” („Tamara Drewe” – 2010), ein Achtungserfolg, beliebt unter Stephen Frears-Fans, aber mit einem weltweiten Box Office von 12 Millionen Dollar offenbar auch kein massentauglicher Hit. Als Gretel ist Gemma Arterton massentauglich und das liegt auch an der engen Lederhose … wie gesagt: Kino ist auch Gucken! Aber vor allem liegt das an dieser überirdischen Coolness, die sie ihrer Gretel verleiht. Wo Gretel ist, ist es sicher, kann Dir nichts passieren. Gemma Arterton hat offenbar sehr viel Spaß an dieser Rolle. Und wenn sie doch mal an einen Felsen gekettet ist, ist da ja auch noch Hänsel.
Für Jeremy Renner bleibt die Rolle des Mädchens
Jeremy Renner muss sich nach einem Oscar für „The Hurt Locker” und nach Heldenrollen in „Das Bourne Vermächtnis” und „The Avengers” in diesem Märchenfilm mit der Rolle des Mädchens zufrieden geben. Dauernd steckt er in Schwierigkeiten und kann froh sein, dass es eine rothaarige Attraktion auf ihn abgesehen hat und ihn also ein ums andere Mal befreit. Diese rothaarige Mina wird von Pihla Viitala gegeben und googele ich ihren Namen, ist eine der ersten Informationen, die ich erhalte „Often does nude scenes in her roles” – in der Tat und auch hier gilt: Kino ist auch Gucken. Auch Jeremy Renner versprüht Spielfreude, taumelt schlimmstenfalls bisweilen ratlos zwischen seinem humorbefreiten Bourne und dem augenzwinkernden Bogenschützen der Avenger-Comics. Hinzu kommt Famke Janssen (James Bond - Goldeneye - UK 1995), die eine verzaubernde Ober-Hexe abgibt.
Das Personal ist der eine große Trumpf, der dem skeptisch Zugewandten das Erleben leicht macht. Der andere ist das respektlose Drehbuch, das gerade so blutig ist, dass ich nicht dauernd Angst haben muss, mich vor Ekel abzuwenden. Die Story dieses Comic-Films ist straight durchkomponiert, der Titelvorspann sehr elegant, sehr traditionell und sehr böse. Der Soundtrack … Bombast-Koryphäe Hans Zimmer hat sich einen neuen Titel ausgesucht, „Executive Music Producer”. Das heißt, man hört seinen klassischen Sound, die Klein-Klein-Arbeit lässt er aber einen gewissen Atli Örvarsson erledigen.
Machte ich schon deutlich, dass „Hänsel & Gretel: Hexenjäger” nichts für unbedingte Freunde des Lars-von-Trier-Kinos ist?