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Plakatmotiv: Grüne Tomaten (1991)

Großes Gefühls-Kino
ohne sentimental zu sein

Titel Grüne Tomaten
(Fried Green Tomatoes)
Drehbuch Fannie Flagg & Carol Sobieski
nach dem Roman "Fried Green Tomatoes At the Whistle Stop Cafe" von Fannie Flag
Regie Jon Avnet, USA 1991
Darsteller

Kathy Bates, Mary Stuart Masterson, Mary-Louise Parker, Jessica Tandy, Cicely Tyson, Chris O'Donnell, Stan Shaw, Gailard Sartain, Timothy Scott, Gary Basaraba, Lois Smith, Jo Harvey Allen, Macon McCalman, Richard Riehle, Raynor Scheine u.a.

Genre Drama
Filmlänge 130 Minuten
Deutschlandstart
3. September 1992
Inhalt

Ihr eingefahrenes Leben in einem Südstaatenkaff ist Hausfrau Evelyn Couch schon lange leid. Von ihrem Mann ist sie genauso gelangweilt wie er von ihr. Und auch sonst ist keine Ablenkung von ihrem tristen Alltag in Sicht. Doch dann macht sie in einem Pflegeheim die schicksalhafte Bekanntschaft mit der rüstig-lebensfrohen Ninny Threadgoode, die ihr eine Geschichte erzählt, die Evelyns Leben nachhaltig beeinflusst.

Es ist die Geschichte zweier Frauen und spielt sich in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ab: Die burschikose Idgie Threadgoode und die etwas steife Ruth Jamison werden trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede nach einem gemeinsamen Schicksalsschlag zu besten Freundinnen. Sie eröffnen das Whistle Stop Cafe, in dem sie ihre Spezialität, grüne gebratene Tomaten, für jeden anbieten – sei er weiß oder schwarz, was im Alabama dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit ist. Sie wehren sich gegen Anfeindungen seitens des Ku-Klux-Clans und stellen sich gegen gewalttätige Ehemänner.

Es ist eine selten kostbare Freundschaft, der selbst der Tod nichts anhaben kann 

Was zu sagen wäre

Ich kenne das Lebensgefühl der Menschen in den Südstaaten der USA nicht, aber ich glaube, es ist in etwa so, wie Jon Avnet es in seinem Film vor uns ausbreitet. Die Menschen aus der Nachbarschaft halten zusammen. Und vor allem wickeln sie Fremde gleich in ein Gespräch; man will ja wissen, wer da in die Stadt kommt. Ninny zum Beispiel, die alte Lady im Pflegeheim, überfällt die mopplige Hausfrau Evelyn ansatzlos mit der Information, dass man ihr „nämlich die Gallenblase herausgenommen“ habe und ob sie schon mal einen Einlauf bekommen habe, „ich schwöre, das vergessen Sie nicht“.

In etwas mehr als zwei Stunden erzählt Jon Avnet zwei parallel laufende Geschichten. die eine spielt in den 30er Jahren, die andere heute. Beide Geschichten verzahnen sich im Laufe des Films, denn die mopplige Hausfrau Evelyn findet durch die Geschichte aus den 30er Jahren, vor allem durch die damals lebende Idgie Threadgood neue Energie und stellt ihr Leben zurück auf die Füße.

Ninnys Erzählungen erleben wir in Rückblenden, die ein vielleicht etwas geschöntes Bild des Lebens in Alabama zeigen. Es ist eine kleine Gemeinde, in der Weiße und Schwarze getrennt nebeneinander leben und höchstens in der Kirche aufeinandertreffen. Idgie ist das egal. Sie sieht Ungerechtigkeiten und geht mit Partisanenmentalität dagegen vor, entert etwa einen Zug, von dem sie dann Lebensmittelkonserven schmeißt, als der Zug das Camp der Afroamerikaner passiert. Idgie war immer ein rebellisches Mädchen, aber seid ihr vergötterter großer Bruder tödlich verunglückte, hat sie sich von allen zurückgezogen, nur Big George dringt noch zu ihr durch, ein im Haus ihrer Mutter arbeitender Afroamerikaner, mit dem Idgie im Verlauf des Films eine tiefe Freundschaft entwickelt.

Die andere, größere Freundschaft ist die zu Ruth, die sowas wie ihr schwarzer Zwilling ist – bieder und ein bisschen steif und „nach diesem Sommer heirate ich den Mann, den meine Eltern für mich ausgesucht haben“. Hier macht das Kino mal, was es so gerne bei Männern macht und dann als "Buddy Movie" verkauft. "Grüne Tomaten" ist ein Buddy Movie mit Frauen: zwei unterschiedliche Typen finden zueinander und entwickeln eine unauflösbare Zuneigung zueinander. In der Romanvorlage ist es eine Liebesgeschichte, im Film bleibt es bei Andeutungen hier und da. Der Film ist aber auch so die Geschichte eines permanenten Kampfes der Anderen gegen die Etablierten. Unverheiratete Frauen, die sich gegen sie umkreisende Männer wehren müssen. Afroamerikaner, die vom Ku Klux Klan drangsaliert werden. Amerikanische Frauen, die Afroamerikaner genauso behandeln wie Amerikaner gegen die eingesessene Das-war-schon-immer-so-Haltung. In Whistle Stop haben die Menschen beizeiten gelernt, dass es immer um Menschen geht. Smokey zum Beispiel ist ein Weißer, ein Amerikaner, aber dem Alkohol verfallen. Idgie behandelt ihn wie jeden anderen, mit Verständnis – Hautfarbe, Alkoholpegel, alles egal. Smokey ist ein Mensch, Big George ist ein Mensch, der fette, liebenswerte Sheriff – auch mit seinen rassistischen Einlassungen – ist ein Mensch. In diesem Geist lebt der Film.

Dass er dabei nicht in brackigen Kitsch abgleitet, ist der zurückhaltenden Inszenierung geschuldet. Avnet drückt auf keine Tränendrüse, hält die Violinen im Zaum und lässt seinen Schauspielern Raum zur Entfaltung. Avnet zeigt menschliche Reaktionen statt emotional aufgeladener Bilder. Die Schauspieler danken es ihm mit großen Auftritten.

Kathy Bates (Misery – 1990; Dick Tracy – 1990) als Couchpotatoe, die sich ein neues Leben erobert ist ein Fest. Jessica Tandy (Miss Daisy und ihr Chauffeur – 1989; Cocoon II – Die Rückkehr – 1988; "Das Wunder in der 8. Straße" – 1987; Cocoon – 1985; Garp und wie er die Welt sah – 1982; Die Vögel – 1963) als 82-jährige Witwe mit den vielen Geschichten wirkt jünger als alle anderen. Bis auf Mary Stuart Masterson ("Kein Baby an Bord" – 1990; "Mr. North – Liebling der Götter" – 1988; "Der steinerne Garten" – 1987; "Ist sie nicht wunderbar?" – 1987) und Mary-Louise Parker (Grand Canyon – Im Herzen der Stadt – 1991), die die Freundinnen Idgie und Ruth so eindringlich spielen, dass sie auf ewig mit diesen Namen verknüpft bleiben werden – so wie Grace Kelly mit Lisa Fremont, Betty Davis mit Baby Jane oder Arnold Schwarzenegger mit Terminator verknüpft bleiben. Die beiden Frauen ergänzen sich so prächtig, dass man mit zunehmender Filmdauer Angst vor den Schlusstiteln hat, die einen wieder ins eigene Leben katapultieren werden; eigentlich möchte ich bei den beiden Freundinnen bleiben.

Das ist die Macht, die das Kino hat und die dieser Film entfaltet. Er schert sich nicht um ziselierte Spannungsbögen, um Spannungselemente und Plotpoints aus dem Drehbuchseminar. Er feiert die Kraft der Freundschaft zweier wunderbarer Frauen, die noch auf nachfolgende Generationen ausstrahlt.

Aber natürlich macht er das mit feinfühliger Regie, präzisem Timing bei der Montage (der die zwei Zeitebenen des Films in die Hände spielen), also mit der hohen Kunst des filmischen Storytellings.

Großes Kino!

Wertung: 10 von 10 D-Mark
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