Buchcover: Die Korrekturen
Ein Monument des Selbstbetrugs
einer modernen Gesellschaft
Titel Die Korrekturen
(The Corrections)
Autor Jonathan Franzen, USA 2001
aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell und Eike Schönfeldt
Verlag Rowohlt
Ausgabe Gebunden, 781 Seiten
Genre Drama
Website macmillan.com/jonathanfranzen
Inhalt

Nach fast fünfzig Jahren als Ehefrau und Mutter ist Enid Lambert entschlossen, ihr Leben ein wenig zu genießen. Alles könnte so schön sein, gemütlich, harmonisch. Doch Parkinson hat ihren Mann Alfred immer fester im Griff. Ihre drei Kinder haben das traute Familienheim längst verlassen – um ihre eigenen tragikomischen Malaisen zu durchleben.

Der Älteste, Gary, Abteilungsleiter bei einer Bank, steckt in einer Ehekrise und versucht mit aller Macht, seine Depression klein zu reden. Der Mittlere, Chip, steht am Anfang einer Karriere als Literaturprofessor, aber die Geilheit einer Studentin und seine verblendete Liebestollheit werfen ihn aus der Bahn; er findet sich in Litauen wieder, als verlängerter Arm eines Internet-Betrügers. Und Denise, die erfolgreiche Meisterköchin, geht ihre eigenen Wege und setzt so, in den Augen der Mutter zumindest, Jugend und Zukunft aufs Spiel.

In dem Wunsch, es endlich einmal so richtig gut zu haben – und Alfred aus seinem blauen Sessel zu locken, in dem er immer schläft – verfolgt Enid nur ein Ziel: Sie möchte die ganze Familie zu einem letzten Weihnachtsfest zu Hause um sich scharen.

Von Anfang an ist klar, dass das scheitert, genau so, wie die Kreuzfahrt, die sie sich und Alfred aufzwingt …

Was zu sagen wäre
Die Korrekturen

Ein atemloses Buch. Zunächst deshalb, weil es in nur wenige Kapitel unterteilt ist und diese in sich kaum einen Absatz aufweisen. Es ist schwer, das Buch im Alltag zu lesen, also immer eine Stelle zu finden, an der ich dann auch – durch äußere Umstände, wie etwa mal schlafen zu müssen, gezwungen – unterbrechen kann.

Es ist aber auch schwer, das Buch aus der Hand zu legen, weil es süchtig macht. Der Zustandsbericht der fünfköpfigen Familie – und eines Ehepaares in Philadelphia – bringt, wie man so sagt, unser Leben auf den Punkt. Wahrscheinlich sind die zum Zynismus neigenden Feuilletonisten der Zeitungen daher so begeistert von dem Roman.

Es tut weh, das zweite Kapitel, „Der Versager” zu lesen, das Chip und seinem Scheitern gewidmet ist. Es tut weh, weil ich das alles kenne – ohne dafür, wie Chip, Literaturprofessor sein oder Studentinnen vögeln zu müssen. Bereits hier wird die Qualität des Romans fühlbar. Frantzen treibt seinen „Versager” durch in sich logische Irrungen und Hoffnungen, die bei Licht betrachtet bizarr sind, aber den berühmten Strohhalm darstellen, wenn man sie selbst durchlebt.

Das Kapitel, das sich mit Gary, dem ältesten und vermeintlich erfolgreichen Sohn, befasst, steht dem nicht nach. Ein Ehekrieg im trauten Heim, dem auch drei heranwachsende Söhne angehören, geführt mit den Waffen der Psychologie, der nicht ausgesprochenen Vorwürfe und der Angst vor Verschwörung. Gruselig ist das, sich vorzustellen, ein Vergnügen zu lesen. Immer nachvollziehbar: Gary, der Erfolgreiche, tut mir fast mehr Leid, als Chip, der Versager.

Denise, einzige Tochter und Nesthäkchen, kommt da in ihrem Kapitel fast noch gut weg. Erst spät wird mir klar, dass sie am schlimmsten an ihrem Laben zu beißen hat.

Hält man sich nur an den Klappentext, ist sofort klar, dass natürlich Enid, die Mutter, für das Versagen ihrer Kinder verantwortlich ist. Aber irgendwann auf den 780 Seiten – spätestens mit dem Kapitel, dass sich mit ihr und Alfred befasst – wird klar, dass hier keiner allein verantwortlich ist, sondern individuelle Träume, Enttäuschungen, Erwartungen und Verletzungen ein Eigenleben entwickeln – weil es so einfach eben nie ist.

Die große Qualität des Romans besteht darin, mit Präzision (und wunderbar langen, immer überschaubaren Sätzen) zu (be)schreiben und nie aus den Augen zu verlieren, dass Versagen und Angst immer auch das Versagen und die Angst Dritter bedeutet, uns mit unseren Fehlern zu respektieren, und dies wiederum nur, weil diese Dritten wieder von Erwartungen anderer „Dritter” abhängig sind.

Keiner ist verantwortlich? Wo bleibt da die Hoffnung? Wo der positive Ausweg? Schlicht in der Erkenntnis, dass man es sich selbst und für sich gut machen muss. Es ist das alte Lied des „Tu', was Du willst!” Aber Du musst es eben auch wirklich WOLLEN.

Es ist immer dieselbe Erkenntnis. Wozu also immer wieder darüber schreiben? Weil es Spaß macht, das so wunderbar geschrieben zu erleben!