Wir schreiben das Jahr 2054: Mickey Barnes und sein Freund Timo haben ihr Geschäft in den Sand gesetzt, können nun ihre horrenden Schulden bei Gangstern nicht mehr zurückzahlen und heuern kurzentschlossen als Besatzung eines Raumschiffs an, das die Erde verlässt, um den Planeten Niflheim zu kolonisieren.
Angeführt und finanziert wird die Mission vom egomanischen, christlich-fundamentalistischen Milliardär und US-Senator Kenneth Marshall. Auf der Erde politisch gescheitert träumen er und seine Frau Ylfa insgeheim davon, auf Niflheim eine „reine Gesellschaft“ zu errichten. Ohne den Vertrag gelesen zu haben, bewirbt sich Mickey als sogenannter „Expendable“ („Entbehrlicher“): Falls er stirbt, wird mithilfe eines Bioprinters ein Klon von ihm ausgedruckt und sein zuvor per Backup abgespeichertes Gedächtnis neu implementiert. Wenn er also stirbt, wird einfach der nächste Klon aus dem 3D-Drucker geholt; der kann Mickeys Arbeit nahtlos fortsetzen.
Obwohl er wie ein Wegwerfartikel behandelt wird, entwickelt sich während der Reise zwischen ihm und der Soldatin Nasha eine Liebesbeziehung.
Die Eis- und Schneewelt von Niflheim wird von den Creepern bevölkert, einer vom Aussehen bärtierchenartigen Alien-Spezies. Bei einer Erkundungstour stürzt die mittlerweile 17. Version von Mickey in eine Gletscherspalte und wird dem scheinbar sicheren Tod überlassen. Als jedoch Creeper erscheinen, die ihn wider Erwarten nicht fressen, sondern an die Oberfläche bringen, kann er zur Kolonie zurückkehren. Dort muss er feststellen, dass er für tot gehalten und inzwischen ein neuer Klon – Mickey 18 – gedruckt wurde.
Da die Existenz von mehreren Klonen gleichzeitig (sogenannten „Multiples“) illegal ist, droht beiden Mickeys bei ihrer Entdeckung die Vernichtung. Andererseits braucht Alfa noch ein paar der langen Schwänze der Creepers für ihre neueste Soßen-Kreation. Und wer könnte die besser von den als mörderisch gefährlich erachteten Ureinwohnern besorgen als Mickey …
Die Welt ist ein Tollhaus. Was wohl damit zusammenhängt, dass die sie bevölkernden Menschen nicht neidlos miteinander umgehen können. Insofern ist Bong Joon Hos SciFi-Komödie eine ziemlich zutreffende Beschreibung unserer Gesellschaft – etwas zu sehr mit dem Holzhammer erzählt, aber zutreffend.
Beherrscht wird die Welt von einem fülligen Potentaten, der auf der Bühne gerne verkrampfte Dance-Moves als Lockerheit verkauft, gerne gut isst und seine Leute am langen Arm hungern lässt. Wer dagegen aufbegehrt, steht schnell in der Ecke als Lügner und Aufwiegler – Fake News. Seine Gattin steuert ihn geschickt an der kurzen Leine und kümmert sich ansonsten um die Kreation immer neuer Soßen, mit denen sie das fade Kunstessen auf dem Tisch aufpeppen will.
Der Rest der Menschheit – abgesehen von den stiefelleckenden Adabeis, die sich Herrscher und Herrscherin um sich herum gönnen – sind hart arbeitende Männer und Frauen, die einen unwirtlichen Planeten urbar machen sollen, bevor ihnen das künstliche Essen ausgeht. Zu diesem Zwecke sind ihre Essenrationen auf die Kalorie genau bemessen – es soll ja niemand vom Fleisch fallen während der harten Arbeit. Wer Kalorien außerhalb der Arbeit verschwendet, etwa durch Prügeleien oder Sex, wird bestraft.
Soweit entspricht das den Dystopien, die wir so und ähnlich schon in den 1970er/80er Jahren im Kino gesehen haben. Filme, die soziale Verwerfungen in die Zukunft projizieren, um uns zu zeigen, wo uns unser Lebensstil hinführt. Für den Regisseur Bong Joon Ho stehen diese Fragen im Zentrum seines Schaffens. Social Fiction ist das zentrale Thema des Südkoreaners, gerne verpackt in ein irrsinniges Zukunftsszenario (Parasite – 2019; "Okja" – 2017; Snowpiercer – 2013). Visuell hat dabei sein jüngstes Zukunftsszenario nicht viel zu bieten. Jede Menge Räume mit Wänden aus grünem Metall – wir sind auf einer Raumstation –, große Mannschaftsräume mit Metalltischen, an denen die einheitlich langweilig angezogenen Arbeiter ihr schlotziges Essen empfangen, karge Stuben, eine orangegelb glühende Müllverbrennungsanlage, und der Herrscher protzt zwischen Plüsch und Glitzer. So sehen im Kino und bei Netflix heute alle Raumstationen in allen Weltraumfilmen aus.
Ein neues Element in Hos Erzählung ist der Mensch als Gebrauchsgegenstand, der damit den Roboter ersetzt. Mickey Barnes hat auf der Flucht nicht so genau hingeschaut, was er da unterschreibt, und weil er im Kopf nicht besonders helle ist, unterschreibt er, obwohl ihn alle fragen, ob er sich das auch gut überlegt habe. Er scheint der einzige zu sein, der je unterschrieben hat, einen zweiten Expendable jedenfalls bekommen wir nicht zu sehen. Die anderen Menschen behandeln ihn freundlich herablassend, traktieren ihn mit Viren, Keimen und unmenschlichen Experimenten. Wenn er im Sterben irgendwo herumliegt, lassen sie ihn leiden und sterben. Ist ja kein Verlust, wir drucken gleich einen neuen Mickey, von dem sie dann aber dringend erfahren wollen, wie das denn so ist, zu sterben und so. Diese Szenen, in denen die Gleichgültigkeit des Menschen anderen Menschen gegenüber aus allen Poren quillt, sind schmerzhaft in Hos Film. Sie meinen es eigentlich nicht böse; für sie stirbt da kein Mensch, sondern ein Ding. Roboter werden ähnlich gleichgültig in den "Tod" geschickt, nur fällt es da nicht so auf, weil der Roboter kein Mensch ist.
Es entwickelt sich eine Liebesgeschichte zwischen Mickey und einer Soldatin – auch sie eine, deren Job den Tod beinhaltet. Kein Wunder, dass die sich gleich verstehen. Sie ist Mickeys Freundin schon seit einigen Mickeys und als ihr plötzlich zwei gegenüber stehen, denkt sie gleich an eine fröhliche Menage à trois, wo "17" noch eifersüchtig auf seine zeitlich begrenzte Einzigartigkeit pocht.
"Mickey 17" ist kein aus sich heraus überraschender Film. Die Geschichte plätschert ein wenig dahin. Auch, als es plötzlich zwei Mickeys gibt, ändert die Erzählung die Richtung nicht, sorgt nur für ein paar nette Schmunzler und die Erkenntnis, dass die verschiedenen Mickeys wohl doch unterschiedlich sind – "17" ist eher introvertiert, "18" eher Typ Schulhofbully – sie also womöglich doch eine Seele haben, was ihr jeweils schulterzuckend zur Kenntnis genommenes Ableben noch verwerflicher macht. Der Potentat ist ein irrer Wirrkopf mit kruden Machtfantasien, hinter denen wir aktuell DonaldTrumpElonMuskWladimirPutin erkennen können. Es gibt eine revolutionäre Zelle, die heimlich Aufnahmen macht, aber weiter keine Rolle im Zieleinlauf des Films spielt. Die im ersten Moment abstoßend wirkenden Ureinwohner des zu besiedelnden Planeten sind die Projektionsfläche für alles Fremde, das dem Menschen im Weg steht – Migranten aus fernen Ländern, die nicht in die Nachbarschaft kommen sollen; oder die Native Americans, die von den weißen Siedlern auf der Suche nach Land vertrieben wurden. Die aber eigentlich gar nichts Böses im Sinn haben, sich im Gegenteil also hilfsbereit herausstellen. Es häufen sich die Thesen aus dem linksliberalen Milieu – Milliardäre sind skrupellos, Ausbeutung ist unfair, der Mensch ist des menschen Wolf, eine Frau ist mehr als ihr Uterus, Fremde sind eine Bereicherung, ein Mensch ist nicht wie der andere und so weiter. Alles in allem kann der Irrsinn der realen Welt draußen vor dem Kino mit dem dargestellten Irrsinn auf der Leinwand ganz gut mithalten. Im Kino ist er nur pointierter.
Bong Joon Ho stellt in seinem Film viele Thesen neben- und übereinander, die kein festes Gerüst finden. "Mickey 17" ist eine solide ausgestattete Träumerei über bizarre Ideen ohne eine übergeordnete Idee.