Buchcover: Benjamin von Stuckrad-Barre – Noch wach? (2023)

Eine unterhaltsame Kolportage, in der
Schablonen statt Menschen agieren

Titel Noch wach?
Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, Deutschland 2023
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Ausgabe E-Book, 384 Seiten
Genre Drama
Website kiwi-verlag.de
Inhalt

Berlin: Eine junge Frau erzählt von ihrem neuen Job bei einem großen Fernsehsender, von ihrem neuen Chef, ihrem neuen Leben. Sie wirkt glücklich, beseelt, hoffnungsfroh, es klingt gut. Zu gut?

In Los Angeles geht derweil eine Welt unter. Ein Mann, der damit prahlt, als Berühmtheit könne man sich gegenüber Frauen alles herausnehmen, wird Präsident der Vereinigten Staaten. Im Garten des legendären „Chateau Marmont“, diesem Nachtspielplatz verwöhnter Hollywood Kids jeden Alters, vertreibt sich eine illustre Bande auf der Flucht vor der Realität die Zeit. Auch der Erzähler ist hier – und Rose McGowan, die Schauspielerin, der man nachsagt, neuerdings irgendwie anstrengend geworden zu sein.

Kurz darauf erschüttert der Weinstein-Skandal Hollywood, und Rose McGowan ist eine der ersten Frauen, die sexuelle Belästigung durch den bis dahin von ganz Hollywood hofierten Filmproduzenten öffentlich gemacht hat. Rose verschwindet, aber sie hinterlässt dem Erzähler eine kryptische Nachricht – oder ist es vielmehr ein Auftrag? Wieso wendet sie sich ausgerechnet an ihn.

Von Hollywood aus verbreitet sich die #MeToo-Bewegung um die ganze Welt. Doch die alten Machtstrukturen sind widerständiger, als man in der ersten Euphorie vielleicht denken mochte.

Zurück in Berlin findet sich der Erzähler nicht mehr nur als Liegestuhlbeobachter, sondern nun als Akteur mitten in einem unübersichtlichen Geschehen wieder, das ihn in einen tiefen persönlichen Konflikt stürzt …

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Noch wach?

Es gruselt eine dann schon ein bisschen, wenn man liest, wie perfide und mit einfachsten Methoden ein Chefredakter hier junge Mitarbeiterinnen befummelt und per WhatsApp-Nachricht in sein Bett melancholisiert, wie geschickt er Praktikantinnen umgarnt: „ziemlich süß irgendwie. Weil er halt zehn Minuten später schon wieder einen Bundesminister am Telefon zusammenscheißt.“. Es ist ein Werk der Fiktion, heißt es im Vorwort und trotzdem sieht man die Breitrandbrille und das immer etwas zu weit aufgeknöpfte Hemd Julian Reichelts plastisch vor sich, wenn vom ansonsten namenlosen Chefredakteur die Rede ist.. So, wie man beim namenlosen besten Freund des ebenso namenlosen Ich-Autors sofort Mathias Döpfners kulturbesoffen umflorten Blick sieht.

Ein bisschen ist es wie Zeitung lesen, wenn man dieses Buch aufschlägt – auch wenn eine Zeitung diesen rasend schnellen Stuckrad-Barre-Sprechschreibstil nicht drauf hat. Es ist ja alles irgendwie wirklich passiert. Der #MeToo-Skandal in der BILD-Zeitung, in dessen Folge Chefredakteur Reichelt dann erst doch nicht gehen musste. Es gab ja diese beste Freundschaft zwischen Stuckrad-Barre und Mathias Döpfner, die dann im Zuge der Abhandlung des Skandals diffundierte. Also es gab sie natürlich nicht genau so wie in diesem Buch, das ja ein Werk der Fiktion ist – in welchem der erwähnte BILD-#MeToo-Skandal sogar als eigenständige Randnotiz ein Eigenleben hat; im Buch geht es um einen Boulevard-TV-Sender, der mit Springer nichts zu tun hat, aber auch aus unterster Schublade sendet und auch einen perfiden Chefredakteur und einen kulturumflorten Obersten Chef hat.

Das juristische Lektorat des Buchs übernahm der mit Stuckrad-Barre befreundete Medienanwalt Christian Schertz. Ein wie Schertz als Honorarprofessor an der Universität Potsdam lehrender Medienanwalt im Roman, der ebenfalls Fan der Beatles ist und ein Compliance-Verfahren empfiehlt, wurde als Anspielung auf ihn gedeutet.

Unterhaltsam zu lesen ist das allemal, zumal man sich als Film- und Medieninteressierter Leser mitgenommen fühlt in die Kreise dieser Superprominenten; wo ich am Pool in Los Angeles Drew Barrymore begegne, in Berlin einen kurzen Small Talk mit Elon Musk führe und mit einem Ich-Erzähler um die Häuser ziehe, der jeden und den jeder kennt und der ein hohes moralisches Wertekonstrukt vor sich herträgt. Viel erfahren tut man über diesen Erzähler nicht, etwa, warum ihm erst nach zehn Jahren auffällt, was für eine Scheiße dieser Sender seines besten Freundes dauersendet. Warum genau eigentlich diese beste Freundschaft zerbricht: „Es war uns beiden überhaupt nicht vorstellbar, was eigentlich passieren müsste, damit diese Verbindung mal bedroht oder gar zersprengt werden könnte. Da konnte es eigentlich – darin waren wir uns einig und das besiegelten wir oftmals mit sehr langen, festen Umarmungen und einander ins Ohr geflüsterten Schwüren – wirklich nichts geben, was sich zwischen uns würde schieben können. Gar nichts.“ Was das überhaupt für eine beste Freundschaft ist, in der der Erzähler immer ein wenig von oben herab über seinen besten Freund redet, der durch die Silicon-Valley-Welt reist, überall Potenzial und Entwicklungschancen erkennt und am Medienhaus der Zukunft bastelt, ohne einmal an die Menschen zu denken, die dort arbeiten oder die das Gesendete aufnehmen sollen.

Generell bleiben die Menschen in Stuckrad-Barres Roman alle leblos. Der Ich-Erzähler referiert stets mit leichter Verachtung seine Beobachtungen, ohne dass sich irgendwo etwas entwickelt; es laufen Schablonen von Menschen durch diese Welt, keine Menschen aus Fleisch und Blut mit Gefühlen und Hochs und Tiefs. Häufig liest sich das Buch wie eine Fortsetzung der Stuckrad-Barre-Biografie Panikherz. Alles wird minutiös geschildert, wahrheitsgemäß vorgetragen, aber keiner kommt zu Wort. Diese Männerfreundschaft, die im Zentrum von "Noch wach?" steht, zerbricht. Was für ein Romanstoff, zumal in diesen Society-Höhen. Aber da ist kein Drama, keine Trauer, lediglich ein Zurkenntnisnehmen, dass der Ich-Erzähler „jetzt wohl Ex-Freund sagen muss“.

Deshalb kann man das Buch auch jederzeit weglegen und deshalb ist es jedesmal schwer, es wieder aufzunehmen um weiterzulesen. Da ist die sehr unterhaltsame Sprache des Autors: „Es war so dermaßen würdelos, der kranke Dubai-Style dieser Bude, aus dem Fernseher dudelte so sicker Loungesound, überm Sofa ein pinterestmäßiges WANDTATTOO, so von wegen: »Berlin is the place to be«. Und ich dachte nur so: Grad wär Braunschweig geiler.“ Die Sprache baut aber keine Spannung auf. Da ist die Erinnerung an den tatsächlichen Springer-Reichelt-BILD-Skandal für emsige Zeitungsleser noch frisch, sodass ich mir zwar mit lüsterner Neugier jede Situationsbeschreibung als Schlüssellochperspektive einbilde, aber eben aus der Historie auch weiß, wie es weitergeht. Zwingend macht das das Lesen nicht. Was ich aus der #MeToo-Welt lerne, sind die Gesten der Männer, die schleimigen Tricks, und dass Frauen tagtäglich und überall damit konfrontiert sind und das meist ergeben erdulden und weg ignorieren, oder aus der Not eine Tugend gemacht haben: „Ich sehe gut aus, arbeite bei nem Boulevardsender, ballere aus meinem engen Oberteil Thesen raus, die die Leute aufregen – schon ist Traffic. Ich bin doch nicht dumm, ich weiß natürlich, dass mein enges Oberteil die Leute mindestens so aufregt wie die Thesen, sie verwechseln das dann in ihrer Aufregung, die Diskussion ist ein Alibi, aber es ist eine. Auch wenn der Subtext bei achtzig Prozent, egal ob Zustimmung oder Ablehnung, von meinen süßen Titten handelt, mir doch wumpe. Das war immer so und wird immer so sein.

Ich laufe durch diese Welt der Medienbonzen, sitze in LA im Chateau Marmont mit den Schönen und Spinnerten am Pool und ein Senderchef verschließt sich üblen Gerüchten aus dem eigenen Haus, weil, ja warum eigentlich? Weil keine der Frauen unter Klarnamen aussagen will? Eine Männerbündelei erklärt sich mir so nicht. Ich bin beim Lesen mittendrin, ohne einmal dabei zu sein.

Ich habe "Noch wach?" zwischen dem 19. und 26. September 2025 gelesen.