Am amerikanischen Nationalfeiertag wird der US-Senator und Präsidentschaftskandidat Charles Carroll in aller Öffentlichkeit auf der Aussichtsplattform der Space Needle in Seattle ermordet. Es gibt ein Handgemenge, der vermeintliche Attentäter stürzt in die Tiefe. Viele Fragen bleiben offen, die ermittelnden Behörden erklären aber, es sei sicher, dass es sich um einen Einzeltäter handelt.
Drei Jahre später erfährt der Lokalreporter Joseph Frady, dass mehrere Zeugen des Attentats unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen sind. Auch Joe war damals vor Ort und hat den Verdacht, die Todesfälle könnten Teil einer Verschwörung sein. Eine Spur führt ihn schon bald in die Kleinstadt Salmontail, wo er nach Hinweisen auf das Verschwinden von Austin Tucker, der Berater des ermordeten Senators, sucht.
Bei seinen weiteren Ermittlungen begibt sich Joe in tödliche Gefahr und kommt schließlich einer ominösen Agentur namens "Parallax Corporation" auf die Spur …
Die Hinweise, das etwas nicht stimmt, kommen spärlich. Der Alltag geht seinen Weg, nachdem der US-Senator erschossen worden ist. Drei Jahre sind vergangen, nirgendwo spricht irgendwer über eine Verschwörung.
Nur wir Zuschauer sind von Anfang an misstrauisch. Der Senator war winkend durch eine jubelnde Menge gefahren, eine Kommission präsentiert einige Monate nach dem anfänglichen Attentat ihren Bericht. Das alles erinnert sehr an den Mord an John F. Kennedy und die Warren-Kommission, die das Kennedy-Attentat aufklären sollte und feststellte, dass es sich um einen Einzeltäter gehandelt habe.
Als der Kommissionsvorsitzende im Film erklärt, es sei auszuschließen, dass es sich bei dem Mord an Senator Carroll um eine Verschwörung handele, friert das Bild ein, beginnen die Vorspanntitel. Am Ende des Films gibt es eine ähnliche Szene: Wieder erklärt die Kommission nach einem Attentat, eine Verschwörung sei auszuschließen, da verschwinden die sieben Richter plötzlich durch einen Bildschnitt aus ihren Richterstühlen und lassen diese verwaist zurück.
Alan J. Pakula ("Klute" – 1971) ist nicht an Aufklärung interessiert. Sein Film lehnt sich an die großen Paranoia-Thriller an, Botschafter der Angst (1962) etwa oder "Sieben Tage im Mai" (1964). Aber anders, als diese Filme will Pacula in "Zeuge einer Verschwörung" kein Geheimnis aufdecken. Er will eines setzen, will die aktuelle, 1974er-Stimmung im Lande als solche inszenieren, die nach den Kennedy-Morden, nach den Vietnam-Papers (die, kurzgesagt, belegen, dass die Regierung bewusst Falschinformationen verbreitet hat, um die Eskalation in Vietnam zu betreiben) und der Watergate-Affäre, über die Richard Nixon stolperte und seinen Rücktritt einreichen musste, maximal verunsichert ist, weil nichts ist wie es scheint.
Pacula streut geraunte Geheimnisse in seinen Film, Hinweise, die nicht mehr verfolgt werden können, weil deren Geber plötzlich sterben; er liefert Archetypen des Thrillers, wie den strengen, um die Auflage kämpfenden, aber integren Chefredakteur Bill Rintels, der seinen Reporter Frady am liebsten an die Luft setzen würde – es aber nicht tut; was die beiden verbindet, lässt der Film offen. Wie so vieles.
Drei hoch gehandelte Präsidentschaftskandidaten werden Ziel von Attentaten in diesem Film. Mehr, als dass sie chancenreich, weil beliebt sind, erfahren wir nicht. Im Hintergrund zieht augenscheinlich eine "Parallax Corporation" die Fäden. Was deren Ziel ist, erfahren wir nicht. Nur, dass sie Menschen anheuert, die sich durch einen seltsamen Fragebogen als Gewalttäter mit kurzer Lunte angeboten haben. Die Größe dieser Firma sprengt jeden Rahmen. Von außen sehen wir dass Gebäude nie ganz, nur riesige Fensterfronten, die die Leinwand komplett ausfüllen. Im Inneren verlieren sich winzig wirkende Menschen in gigantischen Hallen, die architektonisch streng strukturiert, in zahllosen Kassetten den rechten Winkel feiern. Bedeutet: In dieser Corporation hat alles seine Ordnung, geht seinen geregelten Gang, und der Mensch unter.
Welche Ordnung, welcher Gang, bleibt unbeantwortet. Warren Beattys Figur ("McCabe & Mrs. Miller" – 1971; Bonnie und Clyde – 1967; "Der Gentleman-Zinker" – 1966) geht Hinweisen nach, gerät unvermittelt in eine Kneipenschlägerei und an einen korrupten Sheriff, verfolgt im schummrigen Halbdunkel oder im grellen Gegenlicht Augenzeugen des damaligen (im Film ersten) Attentats, die kurz darauf tot sind. Aber Antworten auf all das bekommen wir über die zwei Filmstunden nicht.
Über das Attentat an Präsident John F. Kennedy kursierten wilde Gerüchte, dass ein "militärisch industrieller Komplex" dahinter steckte, der seine wirtschaftlichen Interessen wahren wolle. Diese Gerüchte gehen im Vergleich, zu dem, was wir über die Parallax Corporation erfahren, als handfeste Indizien durch. In der Wissenschaft bezeichnet die Parallaxe die optische Verschiebung von Objekten gegenüber dahinter befindlichen Objekten, wenn ich meine Position als Beobachter verändere – also: ich sehe einen Baum, mache einen Schritt zur Seite, un erkenne dahinter einen Fernsehturm. Die Antwort auf die im Deutschunterricht gelernte Frage "Was will uns der Autor damit sagen?" wäre in diesem Film: Die Parallax-Corporation verstellt unseren Blick auf etwas Größeres im Hintergrund. Sagte ich schon, dass dieses Etwas im Vagen verbleibt?
Pakulas Film ist ein impressionistisches Gemälde. Es deutet ein großes Drama an, zeigt aber nur die Stereotype eines Filmhelden, der Sachverhalte ermittelt, Fragen stellt und vor Leichen steht, aber nie das eine große Bild präsentiert. Zurück bleibt Verunsicherung. Also das Gefühl, dass 1974 in der Gesellschaft weit verbreitet war.
"Gut gemacht!", möchte ich sagen. Bis mir auffällt, dass das Gefühl der Verunsicherung ja ohnehin schon da ist, mir der Film hier also keine weiteren Erkenntnisse liefert. Und auch sonst eher im Ungefähren bleibt.
Im Kinosessel schaue ich schaue in einen Spiegel der Gesellschaft vor dem Kino, ohne aber wirklich etwas zu sehen. Das ist spannend im Moment, aber zu wenig für einen Kinobesuch.