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Plakatmotiv: 20.000 Meilen unter dem Meer (1954)

Großes Abenteuer unter Wasser
mit politisch aktueller Agenda

Titel 20.000 Meilen unter dem Meer
(20,000 Leagues Under the Sea)
Drehbuch Earl Felton
nach dem gleichnamigen Roman von Jules Verne
Regie Richard Fleischer, USA 1954
Darsteller

Kirk Douglas, James Mason, Paul Lukas, Peter Lorre, Robert J. Wilke, Ted de Corsia, Carleton Young, J.M. Kerrigan, Percy Helton, Ted Cooper u.a.

Genre Abenteuer
Filmlänge 127 Minuten
Deutschlandstart
20. Januar 1956
Inhalt

Eine ganze Reihe von Kriegsschiffen sinkt auf mysteriöse Weise – und Gerüchte über ein Seemonster machen die Runde. Um das zu untersuchen, wird ein weiteres Schiff losgeschickt, allerdings wird auch dieses bald angegriffen und von dem vermeintlichen Monster auf den Meeresgrund befördert.

Nur der Wissenschaftler Arronax, sein Diener Conseil und der Harpunier Ned Land können sich retten und stellen bald fest, dass es sich bei der Kreatur um das U-Boot Nautilus handelt. Dessen Kapitän Nemo sucht unter dem Meeresspiegel nach einer neuen, friedlichen Welt und zerstört dabei sämtliche Schiffe, die für einen kriegerischen Zweck geschaffen wurden.

Arronax ist fasziniert, doch Land möchte dem menschenfeindlichen Kapitän entkommen …

Was zu sagen wäre

Walt Disney holt Jules Vernes Abenteuergeschichte in die atomare Wirklichkeit. Kapitän Nemo (lateinisch für "Niemand"), die Nautilus und Professor Arronax, das stand schon in Vernes Roman für die Frage, ob technischer Fortschritt Segen oder Fluch für die Menschheit ist. Die Geschichte spielt im 19. Jahrhundert, im Buch wurden die 60er Jahre dieses Jahrhunderts genannt, eine Zeit, in der in den USA gerade der Sezessionskrieg zwischen Nord- und Südstaaten zu Ende gegangen war und Viehbarone und Industriemagnaten um Weiderecht und Trassen für die aufkommende Eisenbahn stritten. An ein Unterwasserboot wie die Nautilus dachte niemand. Plakatmotiv: 20.000 Meilen unter dem Meer (1954) Entsprechend steckt der Meeresbiologe Arronax im Buch irgendwann vor dem Dilemma, dass er gerne an Bord der Nautilus bleiben möchte, um die Meere zu erforschen, gleichzeitig aber sein Diener Conseil und der Harpunier Ned Land zurück an die Oberfläche wollen. Das möchte Kapitän Nemo verhindern, weil niemand da oben je von seinem U-Boot erfahren soll. Dieser spezielle Punkt spielt in der Disney-Verfilmung von Richard Fleischer keine explizite Rolle.

Jules Vernes setzte auf die Begeisterung für die Unterwasserwelt, ging der Frage nach, wie man am Meeresboden überleben, wie sich ernähren könnte; er fächerte eine faszinierende fremde Welt auf, für die man nicht zu fernen Sternen fliegen muss. Richard Fleischer setzt mehr auf das Abenteuer und die Aktion – und das lustige Element, das die Spannung durch ein Lächeln erträglich halten soll; es wäre kein Walt-Disney-Film, wenn nicht ein Tier lustige Dinge täte. Hier ist es Esmeralda, Kapitän Nemos extra für den Film erfundener Seehund. Esmeralda kann klatschen, singen, küssen und sich in eine Decke einwickeln.

Tatsächlich weicht das Drehbuch von Earl Felton in entscheidenden Punkten von der Vorlage ab; dem Sprengstoff, der im Film eine ganze Insel zerstört, hat Verne einen eigenen Roman, "Die Erfindung des Verderbens", gewidmet, aus dem sich Felton auch in weiteren Punkten bedient. All die Elemente, die in Vernes "20.000 Meilen …" für die Faszination Wohnen unter Wasser sorgen, tauchen in Fleischers Film als knackige Episoden auf. Zwei Schatzsucher, die am Meeresgrund in klobigen Taucheranzügen spazieren, werden von einem Hai angegriffen; vor einer Insel wird die Nautilus von aggressiven Eingeborenen überfallen; die Männer an Bord ernähren sich ausschließlich von dem, was das Meer ihnen bietet und bereiten es wohlschmeckend auf; gleich zu Beginn bestattet die Mannschaft der Nautilus jemanden in einer Zeremonie am Meeresboden neben einem aufgestellten Kreuz.

Diese Bilder liefern den Rahmen für Walt Disneys großes Abenteuerprojekt: die Reise in einem futuristischen U-Boot durch gefährliches Gebiet. Um für Leben an Bord zu sorgen, wurde aus dem wortkargen Harpunier Ned Land ein überaus lebenslustiger Draufgänger, der als Alter Ego des zugeknöpften Menschenfeind Nemo inszeniert wird. Kirk Douglas (Reporter des Satans – 1951; "Die Glasmenagerie" – 1950; Goldenes Gift – 1947) spielt diesen rauflustigen Seemann mit nackter, breiter Brust und noch breiterem Lächeln im Gesicht. Er und Nemo kommen sich am nächsten, als ein riesiger Tintenfisch die Nautilus angreift und sie zum auftauchen zwingt. Es folgen atemberaubende zehn Minuten auf der Leinwand im Kampf Männer gegen Kalmar in aufgepeitschter See. Walt Disney soll die erste Version dieser Szene – in ruhigem Wasser bei Sonnenuntergang für 300.000 Dollar – nicht dramatisch genug gewesen sein; die jetzt im Film zu sehende hat zusammengerechnet rund 1.000.000 Dollar gekostet und sorgt für offene Münder im Kinosessel. Plakatmotiv: 20.000 Meilen unter dem Meer (1954) In dieser Szene, die das dramatische Zentrum des Films bildet, rettet der Harpunier dem Nautilus-Kapitän das Leben (auch das ist im Buch anders herum, hier aber der Dramaturgie wegen wichtig). Anstatt dass sie sich anschließend Arm in Arm fröhlich betrinken, was in Kinofilmen ja häufiger passiert, wenn aus Feinden Freunde werden, versteht Ned Land schon zwei Minuten später nicht mehr, warum er Nemo gerettet hat, der für ihn ein aufgeblasener Massenmörder ist.

Für Arronax ist Kapitän Nemo lange Zeit alles andere als ein Massenmörder. Arronax ist fasziniert von den technischen Errungenschaften des Nemo und will diese unbedingt der Welt präsentieren: „Wenn ihr Geheimnis enthüllt wird, dann verändert es die Welt.“ Nemo entgegnet trocken: „Oder zerstört sie!“ Hier spielt der Film offen mit der neuartigen atomaren Bedrohung und den widerstreitenden Erkenntnissen aus den Bombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki. So, wie es im Film dargestellt wird, wird das Boot von Atomkraft angetrieben – und als die Insel explodiert, bildet sich über ihr ein Atompilz; Kapitän Nemo hat demnach den Schlüssel zur Nukleartechnologie gefunden. Arronax, ganz der weltfremde Elfenbeinturmforscher sieht all die Fortschritte, die eine solche Energie möglich macht. Er erkennt aber auch in dem Mann, der mit seinem U-Boot schon zahllose Kriegsschiffe versenkt hat, erst den Massenmörder, als er selber Zeuge eines solchen tödlichen Angriffs wird. Arronax verkörpert den Wissenschaftler, der immer erst erkennt, was er getan hat, wenn die Bombe explodiert ist. Nemo ist da ein paar Schritte weiter, zynischer. Er habe sich aus der menschlichen Gesellschaft verabschiedet, für ihn würden deren Gesetze nicht mehr gelten, sagt er, nachdem diese Menschheit, jedenfalls der gierige, profitorientierte Teil davon, ihm Familie und Freiheit genommen hatten. Nemo hat den Kriegstreibern der Oberfläche den Krieg erklärt, ohne das den Oberflächenstaaten faktisch zu erklären. Als er das Schiff angreift, auf dem Arronax, Diener Conseil und Net Lang sind, und dieses Schiff sich wehrt, sieht Nemo darin einen Angriff auf sein Boot, was ihn in seiner Haltung gegenüber den Menschen bestärkt. Während die Arronax-Figur in ihrer naiven Haltung verharrt – ein bisschen weltfremd, ein bisschen abgehoben, ein bisschen Salonempörung – entwickelt sich Nemo zu einer zunehmend komplexen Figur, die James Mason (Ein neuer Stern am Himmel – 1954; Prinz Eisenherz – 1954; Julius Caesar – 1953) mit Ambivalenz und dem Habitus eines englischen Aristokraten spielt, der sich für besser als all den Plebs da draußen hält. Nemo hat recht in seinem Misstrauen den Mächtigen gegenüber. Er hat nicht recht mit dem Versenken der Kriegsschiffe. Denn dass er nur solche Schiffe zerstört, für deren Munition er einst in einem Arbeitslager malträtiert wurde, mag stimmen; ohne offene Kampfansage ("Kriegserklärung") aber bleibt es einfach Mord. Vor allem aber will dieser vom Leben gepeinigte Mann einfach nur Ruhe haben und die Schönheit der Meere genießen. Und das macht den genialen Konstrukteur, den gnadenlosen Mörder, zu einem beinahe sympathischen Menschenfreund, der die Oberflächenwelt lieber nicht mit seiner atomaren Erfindung beglücken möchte. Er hat ja in der Strafkolonie erlebt, was Menschen anstellen, die auf Profite aus sind. „Aber“, hallt seine Stimme aus dem Off als Schlussakkord nach: „Aber ich sehe Hoffnung für spätere Zeiten, wenn die Menschheit reif ist für ein neues, besseres Leben, dann wird ihr die Natur dieses Geheimnis offenbaren. In einer schöneren Zukunft.

Wertung: 5 von 6 D-Mark
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