"Horizon". Im Jahr 1859 klingt es wie eine Verheißung. Der Name steht auf einem Flugblatt. Irgendwer hat es gedruckt. Neues Land. Fruchtbar. Genug für alle. Die ersten Siedler haben kein Glück. Von ihnen bleiben drei Kreuze im Boden.
Es kommen neue Siedler in Planwagen, schlagen ihre Zelte auf am Fluss. Auch sie werden Opfer der Apachen, die sich ihr Land nicht nehmen lassen. Nicht einfach so. Aber auch unter den Siedlern fließt Blut.
Irgendwo erschießt Ellen ihren gewalttätigen Ehemann und Vater des gemeinsamen Kindes. Sie kann knapp entkommen. Der angeschossene überlebt. Er ist der Vater der berüchtigten Sykes-Brüder. Seine Söhne nehmen die Verfolgung auf.
Als sie Ellen aufspüren, reitet ein Fremder in die Stadt. Er erschießt den Hitzkopf, den Jüngeren der Sykes-Brüder …
Als ich nach drei Stunden das Kino verlasse, hat die Geschichte des Films noch gar nicht begonnen. Ich habe einem Patchwork von Western-Memorabilia beigewohnt, die möglicherweise alle irgendwie miteinander zusammenhängen werden, später einmal, wenn ich die weiteren Filme dieser "American Saga" gesehen habe, von der der vorliegende Teil nur mit "Kapitel 1" gekennzeichnet ist. Bestenfalls liefert der vorliegende Film die Figurenaufstellung.
Ich muss Kevin Costner beneiden: Seit 1988, sagt er selbst, habe er den Traum, diese Geschichte zu erzählen, das große Epos über die Besiedlung des amerikanischen Westens. Erzählen will er das in vier langen Kinofilmen. Jetzt hat er damit angefangen: Kapitel 1 ist in den Kinos, Teil 2 ist abgedreht und harrt seiner Premiere. Costner hat zehn Hektar eigenes Land an der Küste von Santa Barbara verpfändet, um das finanzieren zu können. Das zeigt, dem Mann liegt wirklich was an dieser Geschichte.
Ob aber die Kapitel 3 und 4 noch gedreht werden, steht aktuell in Frage, weil Kapitel 1 in den USA bereits grausam gefloppt ist – nach zwei Wochen lagen etwa 25 Millionen Dollar in der Kasse, wobei der Film selbst irgendwas zwischen 80 und 100 Millionen Dollar Produktionskosten verschlungen hat.
Das Blöde ist, dass man das alles schon weiß, wenn man hierzulande das Ticket für diesen Film löst. Und die meisten lösen es dann eben gar nicht erst – was die richtige Entscheidung ist, wenn man rein ökonomisch an den Film herangeht – also vor allem Zeit-ökonomisch. Der Film dauert drei Stunden und lässt jeden Spannungsbogen vermissen. Er erzählt lauter kleine Elemente, die zu nichts führen. Der erste Siedler, der im später als "Horizon" bekannten Ort die ersten Pflöcke einschlägt, liegt ein paar Filmminuten später schon als fliegenumschwirrte Leiche am Flussufer, weil die Apachen was gegen die Siedlung hatten. Nebenan erschießt eine Frau ihren schlafenden Mann und verschwindet mit dem gemeinsamen Kind in der Nacht. Schon sind drei Jahre rum, wieder sind wir an dem schon bekannten Flussufer, wo sich jetzt eine Zeltstadt entwickelt hat, Vorbote einer echten Stadt. Die Kamera folgt ein paar Gesichtern, die wir uns wohl einprägen sollen, dann greifen wieder Indianer an, brennen alles nieder und hinterlassen großes Drama – mehr für die Familien auf der Leinwand als für die Zuschauer vor der Leinwand, denn schon reitet die Kavallerie ein, erklärt den überlebt habenden Siedlern, dass sie hier nicht siedeln können, weil die Armee sie hier nicht beschützen kann, aber die Siedler sind stur und stellen gleich auch einen Rache-Reitertrupp auf, der die für das Morden und Brandschatzen verantwortlichen Apachen jagen und erledigen soll. Und in einem stinkenden Goldwäscherstädtchen umgarnt die freischaffende und daher bei der Puffmutter im Ort unbeliebte Prostituierte Marigold den einsamen Reiter und Pferdehändler Ellison; an dieser Stelle betritt Regisseur Kevin Costner den Film dann auch als Darsteller.
Hier immerhin ergibt sich eine Verknüpfung zu der Frau, die am Anfang ihren offenbar gewalttätigen Ehemann erschossen hat, woraufhin sich dessen Söhne an ihre Fersen heften.
Costner filmt all diese Bruchstücke, die wirken wie Erinnerungen an andere Western, die wir früher schon gesehen haben, in grandiosen Bildern. Wenn das Drehbuch vielleicht nicht für diesen Film spricht, die Bilder, die Costner in Utah für seine Geschichten gedreht hat, sind das Anschauen auf der großen Leinwand allemal wert.
Aber so funktionieren Film und Kino eben nicht. Es muss beides geben – Bilder und eine Geschichte. Von Reed Hastings, Netflix-Mastermind, stammt die Erkenntnis, dass die größte Konkurrenz von Unterhaltungsproduzenten der Schlaf des Menschen sei. Kevin Costners Film endet nach drei Stunden abrupt. Der wohlmeinende Zuschauer, der schon weiß, dass da noch was kommt, wird kalt lächelnd mit Szenen aus dem zweiten Kapitel als eine Art Teaser in die warme Sommernacht entlassen und soll dann für die zweiten drei Stunden, von denen er nicht sicher ist, ob da nicht wieder nur Story-Patchwork betrieben wird, nochmal Geld ausgeben? Erst mal wohl nicht; da spendet er seine Lebenszeit lieber anderen Unterhaltungsproduktionen.
Es streiten sich nach "Chapter One" wunderbare Bilder in atemberaubender Kulisse mit dem Serien-Dilemma: Bei Netflix warten wir, bis die Staffel komplett vorliegt und bingewatchen dann – zuhause auf dem Sofa. Die Marvel-Filme, die einen ähnlichen Serienversuch im Kino gestartet haben, bieten den Zuschauern wenigstens Cliffhanger. Krieg der Sterne, Herr der Ringe, Harry Potter, auch alles Endlosserien im Kino, boten ihre "Kapitel" als abgeschlossene Filme an. Zuschauer, die sich nach "Chapter One" alleine gelassen fühlten, werden sich für "Chapter Two" nicht nochmal drei Stunden ins Kino setzen. Das erschwert die Finanzierung für "Chapter Three" und "Chapter Four".
In "Chapter One" lässt Mastermind Kevin Costner uns mit schön ausgeleuchteten Bruchstücken zurück, die nichts Neues aus der Zeit des Wilden Westens erzählen und nur lauter Stereotype einführen, denen wir einfach mal für weitere neun Kinostunden lang vertrauen sollen. Ohne zu wissen, ob wir das Ende der Geschichte je erleben werden. Dass das möglicherweise schade wäre, machen kurze Dialoge im vorliegenden Film deutlich. In einem erklären uns die Apachen, warum sie eigentlich auf ihre Jagdgründe beharren – das könnte man als alter weißer Zuschauer ja auch als egoistisch auslegen. Seit sich unten am Fluss – in jener Siedlung namens "Horizon" – die ersten Siedler niedergelassen haben, sagt der Häuptling, kommen die Elche nicht mehr in die Ebene, also müssen die Apachen sie woanders jagen und kommen damit anderen Stämmen in die Quere. Und plötzlich ist das lange eingeübte Gleichgewicht der Nachbarschaft in Schieflage. Diese Erklärung in Apachensprache mit Untertitel wird nicht weiter verfolgt in diesem "Chapter One", gibt aber eine tiefgreifende Erklärung für die Motivation der Apachen über das einfache Naja, die wollen halt ihr Land behalten hinaus. Sollten sich Costners Träume einst wirklich in zwölf Stunden Film niederschlagen, könnte da mit solchen einrahmenden Dialogen doch ein großes Epos stehen.
„Zählen Sie einfach die Indianer und zählen Sie uns“, sagt der Colonel zu seinem eifrigen Leutnant. „Sie und ich müssen unser eigenes Überleben sichern. Und es diesem Land überlassen, was hier geschieht. Wie seit ewigen Zeiten.“
Im besten Fall wird "Horizon" später mal ein Fall für die heimische Bingewatch-Couch. Auch, wenn die Bilder da nicht ganz so grandios wirken.