Der 12-jährige Artemis Fowl II ist der Spross einer berühmt-berüchtigten irischen Gangsterfamilie und obwohl Artemis noch so jung ist, ist er bereits jetzt schon ein kleines kriminelles Genie.
Um seine Familie vor dem finanziellen Ruin zu retten und Gold als Lösegeld erpressen zu können, entführt er kurzerhand die lebhafte Elfe Holly Short. Es dauert nicht lange und es entbrennt ein erbitterter Kampf mit dem mächtigen Volk der Elfen und Artemis vermutet, dass die auch etwas mit dem Verschwinden seines Vaters Artemis Fowl I zu tun haben könnten.
Als sich die kämpferische Holly befreien kann und ein hartnäckiger Kommandant auf Artemis angesetzt wird, droht der Plan komplett außer Kontrolle zu geraten …
Da oben in den Credits steht „nach dem gleichnamigen Roman von Eoin Colfer", aber das stimmt gar nicht. Außer den Hauptfiguren, die in allen acht Artemis-Fowl-Romanen auftreten, einiger Schauplätze und einiger Handlungselemente ist der Film ein Sammelsurium aus Elementen mehrerer Artemis-Fowl-Bücher. Den Geist der Bücher trifft der Film nicht.
Kenneth Branagh, der schon große Fantasy-Welten und wunderschöne Romanverfilmungen auf die Leinwand gebracht hat (Mord im Orient-Express – 2017; Jack Ryan – Shadow Recruit – 2014; Thor – 2011; 1 Mord für 2 – 2007; Mary Shelleys Frankenstein – 1994; "Viel Lärm um nichts" – 1993; Peter's Friends – 1992; Schatten der Vergangenheit – 1991), wirft hier seine visuellen Konzepte aus früheren Filmen mit der Idee zusammen, einen neuen Harry Potter zu schaffen – er lässt den kleptomanischen Zwerg Mulch Diggums sogar als Hagrid-Klon auftreten – allerdings angepasst an die modernen Sehgewohnheiten. Der erste Harry Potter-Film kam im Dezember 2001 in die Kinos, im selben Jahr, als Eoin Colfers erster Artemis-Roman in den Bücherregalen stand. 2001! Ewig her.
Heute sind die Kids das Marvel-Tempo gewöhnt. Also galoppiert Branagh durch die Figuren-Entwicklung, damit auf der Leinwand möglichst vieles gleichzeitig passiert. Dauernd erzählen mir zu Beginn hektisch geschnittene Fernsehreporter was von großen Kunstrauben, von einem Gefangenen, von dem Tod des bekannten Artemis Fowl, der auf irgendeinem Meer von seiner Yacht verschwunden sei und jetzt, wie sich heraus gestellt habe, hinter all den prominenten Kunsträubereien stehen soll. Während diesen Informationen lernen wir Artemis Junior kennen, den Sohn, der mit 12 Jahren Schachweltmeister besiegt, Schafe klont und mit der Schule nicht so viel anfangen kann, weil er schon alles weiß. Was der erste Roman sorgsam vorbereitet – die kriminelle Karriere des Verbrechergenies Artemis Fowl Junior – muss Brannaghs Film in 15 Minuten abhaken.
Als dann die eigentliche Story los geht, weiß ich mehr über die Elfen da unten, als über den Titelhelden da oben. Der ist halt irre intelligent und sozusagen unbesiegbar, aber die eigentlichen Dramen scheinen sich im Elfenvolk abzuspielen. Dass die beiden überhaupt zusammenkommen, liegt am Aculos. Den will ein gewisser Opal haben – oder ist er eine sie? Unklar: Stimme verzerrt, Gesicht unter einem Hoodie verschattet –, der dafür Artemis' Vater entführt hat und Artemis Junior drei Tage Zeit gibt, das Ding zu besorgen. Dieser Aculos spielt allerdings auch für die Elfenwelt da unten eine entscheidende Rolle, vor allem für Captain Holly Short, deren Vater in Ungnade fiel, weil er den Aculos entwendet haben soll, was sie unbedingt widerlegen möchte. Was ist der Aculos? Vieles. Mal eine Waffe, mal ein Schlüssel durch Dimensionstore, mal das allmächtige Excalibur der Neuzeit. Jedenfalls kann er der unterirdischen Welt der Fabelwesen, als auch der der Menschen gefährlich werden. Ein klassischer MacGuffin halt, wie in Alfred Hitchcock erfand; ein Ding, das alle haben wollen und also eine verfilmbare Handlung in Gang setzt.
Es geht irgendwie um alles, um den Weltfrieden, die Familie, die Ehre. Und spätestens in der schon zur Halbzeit dieses Films zu erwartenden Fortsetzung um die Rettung des Universums. Oder so ähnlich. Weil die Figuren tun, was die entsprechend belabelten Figuren – Gut. Böse. Verräter. Loyaler. Soldat. Freundin. Knurrige Vorgesetzte. – in solchen Filmen immer tun und zudem in diesem Film keine eigenen Charaktereigenschaften entwickeln dürfen, ist das aber auch egal. Es wird sich schon friedlich aufgelöst haben, wenn die Abspanntitel laufen. Bestes Zeichen dafür ist die Szene, in der Artemis Junior und Elfen-Captain Holly Short, die gerade noch seine wilde Drohungen ausstoßende Gefangene im Käfig ist, nach einem wenig aussagekräftigen Dialog sich nun Freundschaft und gegenseitiges Vertrauen versichern. War ja eh klar, denkt man sich da und schenkt noch mal Limo nach.
Ist das eigentlich Ausdruck eines gelangweilten Zynismus' erwachsener Filmemacher gegenüber der sehr jungen Zielgruppe, dass der 12-jährige Artemis Fowl während seiner Weltrettung-Mission nie sein Haus verlässt? Weil: Es ist ja zeitgemäß, dass Kinder an der Konsole im Kinderzimmer mehrmals im Monat das Universum retten?
Man weiß es nicht. Aber wenn die Disney-Studios einen amalgamierten Harry-Potter-Herr-der-Ringe-Zyklus erschaffen wollen, sollten sie auf die Bremse treten und ihren Hauptfiguren mehr Liebe entgegenbringen und Zeit zur individuellen Entfaltung.
Es wirkt irgendwie folgerichtig, dass Disneys Großproduktion, die sich großzügig bei den Men in Black, bei Star Wars, bei Harry Potter und Indiana Jones bedient, am Ende gar nicht auf die große Leinwand kam. Die Corona-Pandemie machte den verschiedenen Kinostarts immer wieder Striche durch die Rechnung und so hatte er schließlich seine Premiere auf dem Streamingportal Disney+. Da fallen die visuellen Schwächen nicht so auf. Als TV-Abenteuer kann man den Film gelten lassen.