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Plakatmotiv: Nope (2022)

Mit grandiosen Gänsehautmomenten,
und rätselhaft verstolpertem Tiefsinn

Titel Nope
(Nope)
Drehbuch Jordan Peele
Regie Jordan Peele, USA, Kanada, Japan 2022
Darsteller
Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Brandon Perea, Michael Wincott, Steven Yeun, Wrenn Schmidt, Keith David, Devon Graye, Terry Notary, Barbie Ferreira, Donna Mills, Oz Perkins, Eddie Jemison, Jacob Kim, Sophia Coto, Jennifer Lafleur, Andrew Patrick Ralston, Lincoln Lambert u.a.
Genre Horror, Mystery
Filmlänge 130 Minuten
Deutschlandstart
11. August 2022
Inhalt

Der eigenbrötlerische Otis Jr. Haywood, genannt "OJ", ist Pferdezüchter. Er betreibt gemeinsam mit seiner extrovertierten jüngeren Schwester Emerald die Ranch Haywood Hollywood Horses in einem kargen Tal im kalifornischen Santa Clarita Valley. Sie trainieren Pferde für Film- und Fernsehproduktionen. Ihr Vater Otis Sr. ist ein halbes Jahr zuvor bei einem merkwürdigen Unfall auf der Ranch ums Leben gekommen. Während er gen Himmel blickte, wurde sein Augapfel von einer rasant zur Erde stürzenden Fünf-Cent-Münze durchbohrt. Gleichzeitig wurde die Flanke des Schimmels, auf dem er saß, von einem spitzen Haustürschlüssel getroffen. Die Behörden stuften den Vorfall als Unfall mit aus einem Flugzeug herabfallenden Gegenständen ein. OJ, der Augenzeuge wurde, ahnt, dass das nicht stimmen kann, sagte aber nichts und entschied sich, die verhängnisvolle Münze zu behalten. Mittlerweile trägt er sich mit dem Gedanken, die Ranch zu verkaufen.

Heute nehmen OJ und Emerald seltsame Dinge auf ihrer Ranch wahr. Strom und Handys fallen unvermittelt aus. Eine mysteriöse Wolke lauert am Horizont, merkwürdige Stürme lassen Trümmer vom Himmel regnen. Die Wolke scheint von irgendwas angezogen zu werden, aber auch abgestoßen zu werden. OJ wird aus seiner Lethargie gerissen und glaubt an ein UFO …

Was zu sagen wäre

Achtung: Spoiler

Wo lauert der größere Horror? In engen, dunklen Schächten, in denen man Es erst sieht, wenn es zu spät ist? Oder auf einer weitläufigen Landschaft mit wenigen Erhebungen, die man über Kilometer gut überblicken kann? Antwort: das kommt auf den Regisseur an und darauf, was er aus seinen Kulissen macht. Jordan Peel hat sich für die weite Landschaft entschieden und für ein Es, das allerdings so schnell ist, die weite Landschaft zur Falle wird und die Protagonisten mehrmals die wenigen dunklen Ecken suchen, in denen sie sich verstecken können. Peel hat ein Creature Feature gedreht und daraus ein großes Geheimnis gemacht, was ein Fehler war. Denn nun glauben alle an den großen Showeffekt, der dem Film irgendwann eine völlig überraschende Wendung gibt, weil: Peel, der bisher zwei Filme gedreht hat und mit beiden bei Publikum und Kritikern in Schwarze getroffen hat (Wir – 2019; Get Out – 2017), kann doch un-mög-lich so eine Art Monsterfilm drehen?! Doch, kann er. Hat er.

Und auch wieder nicht.

Der Film verbreitet in der ersten Hälfte eine großartige Gänsehaut. Er beginnt im Studio einer live aufgezeichneten Sitcom. Wir hören eingespielte Lacher. Wir sehen die "Applause"-Lampen aufblinken. Aber wir sehen kein Publikum. Wir hören die letzten Minuten der Aufzeichnung, einen kreischenden Schimpansen, panische Darsteller. Dann sehen wir die Bühne, auf der alles durcheinander geworfen ist, dann den Schimpansen mit blutigen Armen. Und hinter dem Sofa liegt ein Toter, wir sehen nur seinen Turnschuh. Schnitt. Eine Ranch, weites Land. Der alter Farmer und sein erwachsener Sohn, OJ, besprechen irgendwas. Sie trennen sich. OJ geht zum Haus, hört seltsame Geräusche, als ob etwas rasend schnell von Himmel fällt. Er dreht sich zu seinem Vater, der auf seinem Pferd davon trabt und tot herunter fällt. Todesursache: Eine Fünf-Cent-Münze, die sich in sein Auge gebohrt hat. Spätestens jetzt ist im Kinosessel jeder Gedanke, vielleicht nochmal schnell aufs Klo zu gehen, verdrängt. Die Geschichte springt ein halbes Jahr vorwärts, jetzt lernen wir O.J. und seine Schwester Emerald näher kennen, ein bisschen jedenfalls. Gerade soviel, dass wir wissen, dass er sich missmutig seinem Erbe verpflichtet sieht, schließlich sei sein Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater der allererste Stuntman in Hollywood gewesen und heute vergessen, weil er schwarz war, und seine Schwester eine lebenslustige Frau ist, die die Farm und dieses alte Leben längst verlassen will.

Und dann kommt die Wolke. Am blauen Himmel steht eine Wolke. Andere Wolken ziehen an ihr vorbei. Diese Wolke bleibt exakt, wo sie ist. Plötzlich sehen wir etwas dahinter hervor flitzen, hinter anderen Wolken verschwinden. Haben wir uns getäuscht? Es ist OJs Sicht, die wir hier haben, also: Hat er sich getäuscht? Die Sichtungen mehren sich, dazu kommen seltsame Geräusche und in der Nacht ist klar: Da oben ist definitiv irgendwas! Und jetzt machen die Geschwister etwas, das einerseits nachvollziehbar ist, andererseits eine klassische Film-Blödheit ist. Sie gehen nicht zur Polizei oder zu irgendeiner Behörde. Was sollen sie auch sagen? Wir haben ein Ufo gesehen? Stattdessen kaufen sie im lokalen Elektromarkt Überwachungskameras, die sie um das Haus herum postieren. Damit kommt erstens eine dritte Figur ins Grusel-Spiel, der Elektromarkt-Angestellte Angel, der die Kameras aufbaut, zweitens werden die Motive der Geschwister offengelegt. Ihr Pferde-Hollywood-Geschäft geht den Bach runter, die wirtschaftliche Zukunft ist düster, also wollen sie ein so eindeutiges, klares Bild von dem Dings da oben machen, dass sie es zu Oprah Winfrey in die Show schaffen, dadurch weltberühmt und stinkreich werden.

An dieser Stelle beginnt der Film, der mir mit einer Szene in der nächtlichen Scheune den Gruselschauer des Jahres über den Körper gejagt hat, zu zerfasern. Er muss jetzt sein Geheimnis lüften. Denn so sympathisch die Hauptfiguren sind, so großartig die Landschaften, die Christopher Nolens Stammkameramann Hoyte van Hoytema mit seiner Imax-Kamera filmt, so gruselig das Setting ist, dem Film würde ein wenig Handlung gut tun. Plakatmotiv: Nope (2022) Während das Trio also die Kameras einrichtet, checkt, neu ausrichtet wird langsam klar: Da oben lauert ein außerirdisches Monster, das Fleisch mag und überflüssige Aufnahmen wie Münzen, Schlüssel, Autotüren oder Antennen irgendwann wieder ausscheidet. Das ist auch einem Ricky Park aufgefallen, der in der Nähe einen so mittelprächtig laufenden Wildwest-Themenpark leitet. Ricky ist der einzige überlebende dieser Sitcom, die der Affe mit blutiger Lust aus dem Programm nahm. Seine Filmkarriere war danach zu Ende. Jetzt will er mit dem Ding in der Wolke den großen Coup landen, ähnlich, wie das Carl Denham 1933 mit King Kong oder John Hammond 1993 mit geklonten Dinosauriern versucht hat. Rockys Versuch geht genauso furchtbar daneben wie damals. Er, seine Familie, alle Mitarbeiter und Parkbesucher werden von dem Dings verschlungen. Zu dem Trio auf der Farm hat sich mittlerweile noch ein professioneller Kameramann gesellt, der eine eigene Imax-Kamera mitgebracht hat, um ein wirklich gutes Mild von dem Monster zu machen. Also wird eine Art Falle aufgebaut, die das Wesen hervorlocken soll, damit es fotografiert werden kann. An dieser Stelle hat der Film so viele Fragezeichen in die imposante Landschaft gestellt, dass man im Kinosessel doch mal sortieren muss.

Horror im Kino gruselt nur so richtig, wenn die Protagonisten auf sich allein gestellt sind und bleiben. Dass im vorliegenden Film keine der vielen Geheimbehörden der USA, auch nicht das Militär in Wallung geraten – der Film erzählt über einen Zeitraum von sechs Monaten, in denen das Dings tötet, aber nicht bemerkt wird – gehört im Genre dazu. Dass die Hauptfiguren, anstatt Sicherheit zu suchen, aufwändige Kameras installieren, um berühmt und reich zu werden, kann man sich so erklären, dass sie ja um sich herum über Kilometer leere, verlassene Landschaft haben, aus der eine Flucht gegen dieses sehr schnelle Dings unmöglich ist. Außerdem ist die Fotoidee natürlich ein herrlich zynischer Kommentar auf die Sensationsgier im 21. Jahrhundert, Stichwort Instagram. Wer mal im Stau gestanden hat, weil die Fahrer vor Dir erst noch ein Foto von dem den Stau verursachenden Unfallwagen machen wollen, versteht den Zynismus. Bleibt aber die Frage, was sie dann mit diesem Foto anstellen wollen. Sie kommen ja auch mit Foto nicht weg. Und das Foto senden? An wen? Wo doch heutzutage alles gefälscht werden kann, wer soll da glauben, dass auf einem gesendeten Foto, das irgendein Nobody in der Wüste gemacht hat, tatsächlich ein Außerirdischer zu sehen ist und keine Fotomontage?

Und was ist überhaupt aus der Sitcom und dem Affen geworden? Diese Storyline verschwindet einfach aus dem Film. Und die vier Fotoverrückten beschließen schließlich, die Kreatur doch lieber in guter alter Monsterfilmtradition zu töten. Was dann auf überraschend spektakuläre Weise auch gelingt. "Nope" verrennt sich zwischen Filmkunst und B-Movie. Es ist nicht so, dass ich mich nicht unterhalten gefühlt habe. Es war gruselig – und zwar richtig, vor allem, weil der Score überall da schweigt, wo es schon unheimlich ist –, es gab einen ordentlichen Gänsehautschauder, der Film zeigt großartig schöne Bilder auf der Leinwand und elegante Special Effects, die sich nicht in den Vordergrund spielen. Aber zwischen all der Gänsehaut zucken lauter Fäden, die deutlich machen, dass Peele offenbar etwas tiefgründigeres vorschwebte, er noch viel mehr erzählen wollte, aber nicht konnte. 

Wertung: 5 von 8 €uro
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