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Plakatmotiv: Der Spitzenkandidat (2018)

Der spannende Wendepunkt in
der Politik, unnahbar erzählt

Titel Der Spitzenkandidat
(The Front Runner)
Drehbuch Jay Carson & Jason Reitman
nach dem Buch "All the Truth Is Out: The Week Politics Went Tabloid" von Matt Bai
Regie Jason Reitman, Kanada, USA 2018
Darsteller

Hugh Jackman, Vera Farmiga, J.K. Simmons, Mark O'Brien, Molly Ephraim, Chris Coy, Alex Karpovsky, Josh Brener, Tommy Dewey, Kaitlyn Dever, Oliver Cooper, Jenna Kanell, RJ Brown, Alfred Molina, Mamoudou Athie, Ari Graynor, John Bedford Lloyd, Steve Coulter u.a.

Genre Biografie, Drama
Filmlänge 113 Minuten
Deutschlandstart
17. Januar 2019
Inhalt

Der US-amerikanische Politiker Gary Hart nimmt an den Primaries im Jahr 1988 teil und gilt zunächst als Favorit der demokratischen Partei für die Präsidentschaftswahl. Er hat einen riesengroßen Vorsprung im Vorwahlkampf und rechnet sich daher gute Chancen aus. Doch eine private Entscheidung soll ihm einen Strich durch die Rechnung machen.

Hart, der mit seiner Ehefrau Lee zwei Kinder hat, Andrea und John, beginnt heimlich eine Affäre mit dem jungen Model Donna Rice. Als erste Gerüchte darüber aufkommen, sind der Wahlkampfmanager Bill Dixon und sein Team besorgt, dass Harts Vorwahlvorsprung darunter leidet. Plakatmotiv (US): The Front Runner (2018) Sie versuchen den Schaden so gering wie möglich zu halten, während der Präsidentschaftskandidat selbst versucht, über alles die Kontrolle zu behalten.

Er beruft sich schließlich auf den Ehrenkodex der Presse, Privates privat zu belassen, was sich aber als großer Fehler herausstellt. Denn bald beginnen Boulevardjournalismus und politische Berichterstattung zu verschmelzen …

Was zu sagen wäre

Ein Blick in fantastische Zeiten. Vergangene Zeiten. Natürlich haben Reporter schon in den frühen 1970er Jahren politische Machenschaften aufgedeckt und hochrangige Politiker, ja Präsidenten zu Fall gebracht; spätestens mit John F. Kennedy zog die unpolitische Wahrnehmung in die Politik ein, Kennedy machte sich seinen Charme vor der Kamera im ersten TV-Wahlkampf der Geschichte gegen den knurrigen Richard Nixon zugute. Aber dass einem Politiker sein fehlbares Privatleben zum Verhängnis wird, das war nicht vorgesehen. Bis 1988 der demokratische Präsidentschaftskandidat und Ehemann Gary Hart eine Affäre mit einer jungen Frau einging und der Miami Herald das so spannend fand, dass er daraus eine Geschichte für die Titelseite machte.

Jason Reitman (Tully – 2018; #Zeitgeist – 2014; Labor Day – 2013; Young Adult – 2011; Up in the Air – 2009; "Juno" – 2007; "Thank You for Smoking" – 2005) erzählt von einem Kipppunkt in der medialen Berichterstattung. Ende der 1980er Jahre fielen die letzten Grenzen, den Satz „Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information“ tragen Reporter seither wie ein Mantra vor sich her, um damit jede Privatsphäre einer Person ignorieren zu können. Plötzlich sieht sich Hart umringt von Fotografen und Kameraleuten, die ihn lautstark um „ein Statement“ angehen und ihm nicht mehr von der Pelle rücken. Ausgangspunkt war die Frage eines jungen Reporters der Washington Post, der Hart verdruckst und mit sichtbar schlechtem Gewissen nach dessen Eheleben fragte – Plakatmotiv (US): The Front Runner (2018)Hart und seine Frau hatten sich eine Zeitlang getrennt und waren dann wieder zusammengekommen und manche Redaktion rätselte intern, was da wohl abging. In diesem Washington-Post-Gespräch ruft der erboste Hart „Verfolgen Sie mich. Beschatten Sie mich. Sie werden nichts finden!“ Die Reporter verstanden das als Aufforderung und kurz darauf wurde das intime Verhältnis zu Donna Rice öffentlich.

Reitman zeigt neben den heute zur Kulisse gehörenden aufdringlichen, schreienden Reportern auch die noch zweifelnden Vertreter ihrer Zunft, die in der Redaktion der Washington Post etwa darüber diskutieren, ob Seitensprünge nicht Themen für den Boulevard sind, aber nicht für ein seriöses politisches Medium. Aber da ist die Entwicklung längst nicht mehr aufzuhalten. Am Ende sei man dann nur die Zeitung, die als einzige „nicht über das Thema berichtet hat, über das alle reden“, stöhnt Chefredakteur Ben Bradlee. Reitman selbst hält sich von jeder Wertung raus. Er erzählt sein eigentlich menschliches Drama ganz unmenschlich von der Seitenlinie. Als sei er selbst ein Reporter, der aufschnappt, recherchiert und berichtet. Das tut dem Drama nicht gut, seine Zuschauer sind nur dabei, nicht mittendrin. Wie es in Hart drinnen aussieht bleibt unklar. Dass er in den wenigen Szenen, in den wir ihn privat erleben, bei seiner Frau für einen schrecklichen Fehler um Entschuldigung fleht, ist 08/15 in so einer Situation. Überhaupt wird wenig wirklich deutlich. Das Wahlkampfteam, lauter engagierte Leute, die hierfür ihr bisherigen Leben aufgegeben haben, um für viel zu wenig Geld viel zu viel zu arbeiten, wirft Donna Rice noch den Reportern um Fraß vor, zeigt ein paar Ansätze professioneller Politarbeit, aber nah kommen sie mir genauso wenig, wie der Kandidat.

So bleibt der Film als Geschichtsstunde zu unerheblich, weil nichts wirklich mal in die Tiefe erzählt wird, und als menschliches Drama zu egal, weil einem die Hauptfiguren nicht nahe kommen. Hängen bleibt ein Blick in eine Zeit, als die Menschen – Politiker, Reporter, Wähler – noch weniger schrill miteinander umgingen (Stichwort: Social Media Shitstorm); aber das ist womöglich nur der verklärte Blick auf ein angeblich besseres Früher aus der Warte des hysterischen Heute.

Wertung: 3 von 8 €uro
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