IMDB

Plakatmotiv: Das Vorspiel (2019)

Ein schwerblütiger Festivalfilm
mit einem diabolischen Finale

Titel Das Vorspiel
Drehbuch Ina Weisse & Daphne Charizani
Regie Ina Weisse, Deutschland, Frankreich 2019
Darsteller

Nina Hoss, Ilja Monti, Simon Abkarian, Jens Albinus, Sophie Rois, Thorsten Merten, Winnie Böwe, Ruth Bickelhaupt, Thomas Thieme, Serafin Mishiev, Hildegard Schmahl, Franziska Fauth, Johannes Kittel, Paula Su Odenthal, Gudrun Wölz Erxleben, Alexander Hörbe, Jana Kuss, William Coleman u.a.

Genre Drama, Musik
Filmlänge 99 Minuten
Deutschlandstart
23. Januar 2020
Inhalt

Aus den großen Ambitionen von Anna als Violinistin musikalische Karriere zu machen ist zwar nichts geworden, aber als Lehrerin an einem Musikgymnasium, mit einer halbwegs harmonischen Ehe und einem wohlgeratenen Sohn hat sie sich in ihrem Leben gut eingerichtet.

Im Gegensatz zu allen anderen Lehrern an ihrer Schule setzt sie sich bei der alljährlichen Aufnahmeprüfung des Musikgymnasiums für Alexander ein. Denn sie sieht eine große Begabung in ihm. Fortan begleitet Anna ihn mit viel Ehrgeiz und Zuneigung, um ihn so auf die Zwischenprüfung im kommenden Semester vorzubereiten.

Sie will ihren Kollegen beweisen, dass sie mit Alexander ein gutes Gespür bewiesen hat. Das Nachsehen hat allerdings Annas 10-jähriger Sohn, der seine Mutter kaum noch zu Gesicht bekommt, weil die mehr Zeit mit ihrem neuen Schützling verbringt. Auch in Annas Ehe mit Philippe beginnt es zu kriseln.

Sie entfernt sich mehr und mehr von ihrer eigenen Familie und beginnt eine Affäre mit ihrem Kollegen Christian, der ihr vorschlägt, einem Quintett beizutreten. Doch als sie bei einem Konzert auf der Bühne steht, versagen ihr die Nerven. Das ermuntert Anna noch viel mehr, denn was sie nicht schafft, soll für ihren begabten Schüler kein Problem sein. Und so wird es zu einem großen Problem im Leben Alexanders …

Was zu sagen wäre

Das Musik machen nichts für schwache Nerven ist, haben wir im Kino ja schon öfter erlebt. Miles Teller musste als begabter Drummer durch die Hölle der Exzellenz-Ausbildung eines manischen Lehrers in Whiplash (2014) und am Ende kam es zum klassischen Showdown. Es war ein amerikanischer Film. Dies ist ein Film aus Europa, es geht um das Violinspiel und die heutige Lehrerin ist nicht manisch, sie ist einen Schritt drüber.

Anna Bronsky ist an ihrem Hang zur Perfektion zugrunde gegangen. Sie führt einen wunderbaren Bogen. Eigentlich. Aber sobald sie auf der Bühne steht und spielt, versagen ihr die Nerven. Heute ist sie Lehrerin an einem Gymnasium mit Musikschwerpunkt. Sie lebt mit ihrem Mann, einem französischen Geigenbauer und dem gemeinsamen Sohn Jonas in Berlin und natürlich soll Jonas die Geige nicht nur erlernen, er soll das Instrument perfekt beherrschen. In Jonas versucht die Mutter aufzuholen, was ihr selbst versagt blieb.

Aber Jonas spielt auch gerne Eishockey. Er rettet Fische aus dem See vor den Anglern, die sie lieber auf den Grill werfen möchten. Und die Geige wird ihm immer uninteressanter, je mehr sich seine Mutter Alexander zuwendet. Der ist ein Naturtalent, verschüchterter Sohn einer alleinerziehenden Mutter. Anna, die Perfektionistin, erkennt das Potenzial des Jungen, vernachlässigt ihre Familie und beschwört eine menschliche Tragödie herauf. Das perfide ist: Sie findet in dieser Tragödie ihre Erfüllung und zurück zur Familie.

"Das Vorspiel" ist einer der mit zahlreichen Fördergeldern entstandenen Filme aus der EU (s.u.) – hier Deutschland und Frankreich; deshalb ist Anna auch mit einem Franzosen verheiratet und spricht die meiste Zeit französisch, was dann untertitelt wird. Der Film feierte am 8. September 2019 im Rahmen des Toronto International Film Festivals seine Premiere. Ebenfalls im September 2019 lief er beim Festival Internacional de Cine de San Sebastián, wobei Nina Hoss die Silberne Muschel als beste Schauspielerin gewann. Am 23. Januar 2020 kam er schließlich in die deutschen Kinos. Er ist ein Festivalfilm, wie er im Buche steht: vom Publikum gefeiert, von der Kritik gelobt. Im Kinobetrieb dann abgesoffen. Die Website BoxOfficeMojo hat ein Kasseneinspiel von rund 64.000 Dollar registriert.

Das mag daran liegen, dass er nicht spannend ist, nicht kohärent erzählt wird. Zunächst wirken die sprunghaften Bildschnitte von einer Szene in eine ganz andere, weit davon entfernte Szene, wie ein besonderer Kunstgriff. Je länger der Film aber dauert, merkt man, dass der Film einfach konzeptlos geschnitten ist, Szenen nicht so gedreht wurden, dass sie aufeinander aufbauen, sondern vor allem für sich stehen. Das wirkt dann eher wie eine ambitionierte Zwischenprüfung an der Filmuni: Drehe keine Szene, die Deine Erzählung nicht weiterbringt. Weil der Film auf einen Score, der nicht mit den on stage gespielten Instrumenten erzeugt wird, verzichtet, auch keinen echten Sympathieträger vorhält, bleibt der Film schwergewichtig am Boden. Er hebt nicht ab, schwebt nicht. Warum hat Anna plötzlich Probleme auch in ihrer Ehe? Warum hat sie plötzlich ein Verhältnis? Warum wechselt sie im Restaurant dreimal den Tisch, bevor sie endlich in die Karte gucken kann? Ist das alles Trauma durch ihren dominanten, jetzt gebrechlich gewordenen Vater, den Thomas Thieme in einer Tyrannenminiatur anlegt?

Nina Hoss zuzuschauen, die wirklich keine sympathische Figur spielt, ist eine Freude (A Most wanted Man – 2014; "Barbara" – 2012; "Yella" – 2007; Nackt – 2002). Ich verstehe zum ersten Mal, was das deutsche Feuilleton an ihr findet, die häufig somnambul durch die Filme männlicher Regisseure schleicht. Hier führt eine Frau Regie, vielleicht fühlte sich Frau Hoss da verstandener. Die Freude ist aber rein akademisch im Sinne von interessant, ihr beim Spielen zuzuschauen. Ihre Figur macht das weder glaubhafter, noch lebendiger oder gar sympathisch. Ihre Anna redet wenig, lobt nie. Aber in der letzten Einstellung des Films machen sich lauter Dämonen aus ihrem Inneren breit in ihrem beinahe schon lächelnden Gesicht. Der übrige Cast zeigt bekannte Gesichter – Sophie Rois, Thorsten Merten, Thomas Thieme – in kleinen Nebenrollen und hochtalentierte Musiker wie Ilja Monti, der den Alexander spielt und seine Angst vor der ungewohnten Filmkamera einfach in seine Rolle fließen lässt.

"Das Vorspiel" ist ein Film, der sich 90 Minuten schwerblütig hinzieht und in einem diabolischen Finale mündet.

Wertung: 3 von 8 €uro
IMDB