Italien, zwischen den beiden Weltkriegen: Der Schreiner Geppetto schnitzt aus dem Holz eines Baumes, der über dem Grab seines Sohnes Carlo wächst, die Figur eines Jungen namens Pinocchio.
Zu seinem Erstaunen erwacht der hölzerne Junge zum Leben und stellt allerlei Unfug an, für den Geppetto kein Verständnis hat.
Schon bald gerät Pinocchio in die Hände eines Puppenspielers namens Count Volpe, der genau weiß, welchen Nutzen der Junge aus Holz für ihn haben könnte …
Ein Junge, der einfach nicht folgsam sein möchte, muss erst zahlreiche Schicksalsschläge erleiden, bevor er ein richtiger Junge wird und die Schicksalsgöttin ihn erlöst. So in etwa geht die ursprüngliche Geschichte des aus Pinienholz geschnitzten Pinocchio. Der Mexikaner Guillermo del Toro (Nightmare Alley – 2021; Shape of Water: Das Flüstern des Wassers – 2017; Pacific Rim – 2013; Hellboy 2 – Die goldene Armee – 2008; "Pans Labyrinth" – 2006; Hellboy – 2004; Blade II – 2002; Mimic – Angriff der Killerinsekten – 1997) erzählt sie jetzt mal auf seine Weise, versetzt die italienische Sage in das Italien der 1940er Jahre, mixt die verschlagenen Fuchs und Kater und Puppentheater-Direktor Feuerfresser zu Zirkusdirektor Graf Volpe und seinen gequält folgsamen Makaken Spazzatura. Und aus den Räubern macht er Faschisten, die dem "Duce" Benito Mussolini huldigen.
Wie schon in seinem "Pans Labyrinth" (2006) erleben wir also eine Kindheit im Faschismus. Nachdem Geppettos Sohn zu Kriegszeiten bei einem Bombenangriff ums Leben kommt – „Sie warfen ihre Bomben nur ab, um bei der Landung weniger Ballast zu haben.“ – schnitzt der Schreinermeister sich in melancholischem Vollrausch eine Puppe, die in der Nacht von einer blau leuchtenden Fee zum Leben erweckt wird. Der Holzjunge nervt zunächst wie gewohnt, will nicht hören, weiß alles besser und landet so in Teufels bekannter Küche.
Der Junge lernt nicht aus seinen Fehlern, er lernt, weil er durch seine Fehler stirbt. Die blaue Fee hat in Toros Version eine Schwester – ebenso beeindruckend designt, wie diese –, die das Tor zur Unterwelt bewacht. Davor sitzen vier vom Pokern begeisterte Hasen, die die neuen Delinquenten in Empfang nehmen, auf dass die dunkelblaue Schwester sie auf ewig verbanne. Den Holzjungen aber kann sie nicht verbannen. Er hat mehr Leben als eine Katze und jedes Mal, wenn er durch seine Dummheit stirbt, schickt die Dunkelblaue ihn zurück. Erst, als er aus Heldenmut stirbt, schickt sie ihn zurück für „ein letztes Mal“ – denn nun ist der Holzjunge zwar immer noch aus Holz, aber ein richtiger – und sterblicher – Junge.
Erzählt wird die Geschichte auch in dieser Version von der Grille, die hier Sebastian heißt, im Original von Ewan McGregor gesprochen wird und sich in der Holzfigur dort heimisch eingenistet hat, wo ein Mensch sein Herz hat. Das ist rührend, aber für mehr als Slapstick hat del Toro dann keinen Platz für die erzählende Grille in seinem Film.
Die Erzählung ist visuell spannender als inhaltlich. Junge Zuschauer bekommen ihre Lektionen in wahrhaftigem und selbstbestimmten Leben optisch ansprechend serviert, für deren Eltern muss das Visuelle reichen. Del Toro greift auf die Stop-Motion-Technik als Grundlage seiner Tricktechnik zurück. Zusammen mit den Muppets-Machern aus dem Jim-Henson-Creature-Shop hat er beeindruckende Figuren erschaffen, die mit Bildschnitt- und Computertechnik lebendig werden. Die Figuren sind nicht so glatt, wie in Pixar-Filmen und nicht so hölzern, wie in der guten alten Augsburger Puppenkiste. Dafür wurde der Film bei der Oscar-Show am 12. März 2023 als Best Animated Feature Film ausgezeichnet.
Del Toro träumt schon lange von einer düsteren Version des Kinderbuchklassikers. 2008 sprach er von einem „Herzensprojekt“. Es ist der erste Animationsfilm, den er inszeniert hat. „Keine Kunstform hat mein Leben und meine Arbeit mehr beeinflusst als Animation und keine einzige Figur in der Geschichte hatte eine so tiefe persönliche Verbindung zu mir wie Pinocchio“, so Del Toro. Und da spricht er nicht vom Pinocchio aus den Disney-Studios. Die Vorlage von Carlo Collodi sei in bestimmten Aspekten viel perverser und gruseliger. Daran wolle er sich halten, sagte er 2008. Damit hat er an der Kinokasse einen großen Erfolg eingefahren. Ausgegeben hat er für seinen computeranimierten Stop-Motion-Film 35 Millionen Dollar, eingespielt hat sein Film weltweit 110 Millionen Dollar.