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Plakatmotiv (I.): La Dolce Vita – Das süße Leben (1960)

Horrorfilm über menschenähnliche
Wesen in glitzernden Kostümen

Titel Das süße Leben
(La dolce vita)
Drehbuch Federico Fellini & Ennio Flaiano & Tullio Pinelli & Brunello Rondi
Regie Federico Fellini, Italien, Frankreich 1960
Darsteller

Marcello Mastroianni, Anita Ekberg, Anouk Aimée, Yvonne Furneaux, Magali Noël, Alain Cuny, Annibale Ninchi, Walter Santesso, Valeria Ciangottini, Riccardo Garrone, Evelyn Stewart, Audrey McDonald, Polidor Polidor, Alain Dijon, Mino Doro u.a.

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 174 Minuten
Deutschlandstart
22. Juni 1960
Inhalt

Es ist süß, dieses Leben, das in der Via Veneto sein Zentrum gefunden zu haben scheint, in dem das Vergnügen zum Inbegriff des Lebens geworden ist – süß, aber mit einem morbiden Beigeschmack, der sich kaum leugnen lässt.

Marcello Rubini ist ein Boulevard-Journalist mit Schriftstellerambitionen. Der Frauenheld ist auf der Jagd nach den süßen Geheimnissen der Prominenz auf der Via Veneto mit ihren exklusiven Nachtclubs und Cafés, in denen das nächtliche Leben pulsiert. Immer umringt von einem Schwarm Fotografen, die seiner Fährte in der Hoffnung auf eine gute Geschichte beziehungsweise einen guten Schuss folgen, bewegt sich Marcello durch das sommerliche Rom.

Plakatmotiv (I.): La dolce vita – Das süße Leben (1960)Es ist ein Leben, das sich im Kreis dreht – von einem Cabaret zum nächsten Nightclub, von einem scoop zur nächsten Sensation. Ein Leben, das die Pressemeute bebildert und genüsslich kommentierend festhält, als ob es darum gehe, Geschichte zu schreiben. Dabei schreiben sie Geschichten und gehen über Leichen …

Was zu sagen wäre

Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ (Theodor W. Adorno). Das klingt sehr richtig, allerdings ist es eine Frage der Perspektive, welches Leben denn das richtige ist. Ein echter Kontakt, ein Austausch zwischen beiden ist jedenfalls nicht möglich, das macht Federico Fellini (La Strada – 1954) gleich in der Auftaktsequenz seines Film "La dolce vita" klar.

Da transportiert ein Hubschrauber eine Christus-Statue über die Dächer von Rom. In einem Begleithubschrauber sitzen Marcello und sein Fotograf Paparazzo. Als sie ein Penthouse passieren, winken ihnen von dort Models, die sich sonnen, zu. Der Versuch einer (verbalen) Kontaktaufnahme seitens des arbeitenden Journalisten mit den das süße Leben genießenden Mädchen scheitert. Der Lärm des Hubschraubers ist zu laut. Fellini greift dieses Motiv am Ende seines Films wieder auf. Da winkt am Strand Paola, eine Kellnerin, die wir früher im Film kennengelernt haben, Marcello über eine Wassermündung zu, aber Marcello kann sie nicht verstehen. Die arbeitende Kellnerin kann sich ihm nicht verständlich machen. Marcello hat das Leben gewechselt. Und er tut uns leid.

Würden nicht alle von einer „beißenden Gesellschaftssatire“ reden, wenn das Gespräch auf diesen Film kommt, würde ich von einem Horrorfilm sprechen. Fellinis Film ist bevölkert von monströsen Kreaturen, die sich, ähnlich Don Siegels Dämonischen (1956) als Menschen verkleiden. Die eine Gesellschaft, die der Reichen und Schönen, die dem titelgebenden Dolce Vita frönt, besteht aus unablässig Champagner schwenkenden, schrill lachenden Figuren, immer angezogen, abgelenkt von der nächsten großen Party. Es ist ein Tanz auf der Rasierklinge. Stürzt einer ab, soll er sich auskotzen und zur nächsten Party nachkommen – „Sagen Sie, kennen wir uns? Ich meine Ihr Gesicht schon einmal gesehen zu haben.“ „Ja, das kann sein, wissen Sie. Ich arbeite.“ „Sie arbeiten?“.

Plakatmotiv: Das süße Leben (1960)Die andere Gesellschaft ist die der Hauptfigur Marcello, einem Journalisten, der sich für einen Schriftsteller hält, der nur noch auf den Moment des Musenkusses wartet. Während er wartet, schreibt er „Klamaukberichte für diese halbfaschistischen Zeitungen“, wie sein Freund Steiner sagt. Marcello wartet schon lang auf den Kuss der Muse. Also schreibt er über die Berühmten und Halb-Berühmten, folgt dem Glanz und hofft auf eine Geschichte für seine Zeitung. Ihn begleitet Paparazzo, einer von zahlreichen Fotografen, die sich wie ausgehungerte Schmeißfliegen auf jeden stürzen, dessen Abbild gerade Honorar von den Zeitungen verspricht, und schamlos dessen Auftritt vor der Kamera dirigieren.

Marcellos Leben bewegt sich zwischen drei Polen. Emma, seine Geliebte, träumt von Ehe, Familie und Kindern. Für Marcello gleicht das einem Leben in Sklaverei, ein Ende des Weges, der vor einem Mann liegen sollte. Er hält das oberflächliche Leben der Schönen und Reichen – zweiter Pol – für das richtige Leben in seinem falschen. Und schließlich ist da Steiner, ein nicht näher definierter guter Freund, den er einmal zu einer Soiree besucht, wo er die ruhige, intellektuelle Welt Roms erlebt, die sich in Lyrik und Kunst ergeht, mit dem schillernden Leben auf der Straße nichts zu tun hat. Im Gegensatz dazu debattieren Steiner und Marcello hier drinnen ausgiebig über ein Stillleben von Giorgio Morandi, der mit akademischer Strenge in Askese seine Bilder malte. Später offenbart Steiner, den Fellini als so etwas wie ein Alter Ego zu Marcello inszeniert, seine Zweifel, in was für eine Welt er seine Kinder entlassen wird: „Manchmal bedrückt mich die Nacht, diese Dunkelheit. Dieses Schweigen. Dieser Frieden macht mir Angst. Diesen Frieden fürchte ich mehr als alles andere. Ich habe das Gefühl, als wäre er ein Trugbild, hinter dem sich die Hölle versteckt. Ich frage mich, was die Zukunft meinen Kindern bringen wird. Die Welt wird wunderbar sein, sagen sie. Aber wie kann sie wunderbar sein, wenn jemand nur auf einen Knopf zu drücken braucht, um sie in ein Chaos zu verwandeln. Man sollte fern aller Leidenschaft, jenseits aller Gefühle leben, in jener Harmonie wie sie nur ein vollendetes Kunstwerk besitzt.

Steiner, der das "Leben auf der Sonnenseite" reflektierende Melancholiker, zieht aus diesen Gedanken einen blutigen Schluss. Das ist umso verstörender, als Marcello, der am Ende endlich in dieser, seiner ersehnten Glamour-Gesellschaft angekommen scheint, dasselbe Schicksal erleidet wie Steiner. Marcello wird Teil einer innerlich toten Gesellschaft. Nur dass er nun darin leben muss. Die finalen 20 Minuten in Fellini Films sind reines Horrorkino. Es kommt sogar ein Monstrum vor.

Wertung: 7 von 7 D-Mark
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