IMDB

Plakatmotiv: Achteinhalb (1963)

Die Schaffenskrise eines Künstlers
in einem traumwandelnden Film

Titel Achteinhalb
(8½)
Drehbuch Federico Fellini, Ennio Flaiano, Tullio Pinelli
Regie Federico Fellini, Italien, Frankreich 1963
Darsteller

Marcello Mastroianni, Claudia Cardinale, Anouk Aimée, Sandra Milo, Rossella Falk, Barbara Steele, Madeleine Lebeau, Caterina Boratto, Edra Gale, Guido Alberti, Mario Conocchia, Bruno Agostini, Cesare Miceli Picardi, Jean Rougeul, Mario Pisu, Giuditta Rissone, Annibale Ninchi, Yvonne Casadei, Ian Dallas, Mino Doro, Nadine Sanders, Georgia Simmons, Hedy Vessel, Tito Masini, Annie Gorassini, Rossella Como, Mark Herron, Marisa Colombe, Neil Robinson, Elisabetta Catalano, Eugene Walter, Hazel Rogers, Gilda Dahlberg, Mario Tarchetti, Mary Indovino, Frazier Rippy, Francesco Rigamonti, Giulio Paradisi, Marco Gemini u.a.

Genre Drama
Filmlänge 138 Minuten
Deutschlandstart
23. Mai 1963
Inhalt

Regisseur Guido Anselmi steckt sowohl privat als auch künstlerisch in der Krise. Genervt von Produzenten, Ehefrau und Geliebter sucht er verzweifelt nach Inspiration für seinen neuen Film, dessen Drehbeginn er immer wieder verschiebt.

Als er seine Kindheit, seine Beziehungen zu Frauen und sein Verhältnis zur Kunst und die Missstände in der Filmbranche reflektiert, kommen seine Ängste und verdrängten Komplexe aus dem Unterbewusstsein ans Licht. Traum und Wirklichkeit beginnen zur verschwimmen …

Was zu sagen wäre

Ein Regisseur in tiefer Schaffenskrise. Pikanterweise sitzt er in der Krise nicht an seinem Schreibtisch Zuhause, sondern am Set, wo die komplette Crew wartet, wo eine riesige Raktetenstartrampe gebaut worden ist, ohne dass jemand wüsste, welche Rolle die im Film wohl spielen wird; irgendjemand weiß aber, das dies „das wichtigste Set“ des Films sei. Um ihn herum Produzenten, Schauspieler, Ausstatter, Kulissenbauer, Reporter, die alle von ihm wissen wollen, worum es in seinem Film gehen wird, welche Rolle man selbst spielen werde. Aber Guido, der gefeierte Regisseur, der „80 Millionen“ bekommen hat, weil er „eine Idee“ hat, scheucht sie alle davon. Er kann die Fragen nicht beantworten. Seine Idee ist in Wahrheit eher eine vage Vorstellung. Er hat seinen Kompass verloren.

Federico Fellini erzählt von sich selbst. Er selbst hatte diese Schaffenskrise. Er wusste nicht, wie sein neuer Film aussehen, worum es gehen sollte. Die Themen für den Film hatte er zusammen. Was ihm fehlte, war eine passende Handlung, die seine Ideen umfließen würde, seinen Ideen und Gedanken Struktur geben würde. Der Arbeitstitel für den bereits terminierten Film lautete "La bella confusione". Der Drehbeginn freilich musste diverse Male verschoben werden. Schließlich machte Fellini, was Künstler eben machen: Er horcht in sich und erzählt, was er dort hört. Guido ist Fellinis Alter Ego, den Fellini sich selbst als Typ beschreiben lässt, „der sich alles nehmen, alles an sich reißen will; der auf nichts verzichten kann. Er wechselt jeden Tag die Richtung, weil er Angst hat, in die falsche zu gehen. Er stirbt wie ausgeblutet.

Der Film verzichtet auf eine handelsübliche Rahmenhandlung. Fellini bezeichnete ihn als ein „Mittelding zwischen einer unzusammenhängenden psychoanalytischen Sitzung und einer etwas planlosen Gewissenserforschung“.

Guido zieht sich in einen Kurort zurück, doch dort erscheinen bald alle die, denen er eigentlich entkommen wollte: sein Drehbuchautor, sein Produzent, seine Frau und seine Geliebte. Plakatmotiv: Achteinhalb (1963) Er kann nicht entfliehen – einzig in Tagträume. Sein gesamtes Umfeld bedrängt ihn. Obwohl er in einer Schaffenskrise steckt, läuft die Produktion seines neuen Films auf Hochtouren.

Er ist völlig verwirrt, weiß keinen Ausweg und auf die Fragen von Schauspielern keine Antwort. So sagt er: „Ich wollte einen einfachen, ehrlichen Film, und jetzt herrscht in meinem Kopf die größte Verwirrung“. Immer wieder zieht sich Guido in seine Tagträume zurück, um der Welt zu entfliehen. Diese Tagträume bebildert Fellini nicht anders als das reale Leben des Regisseurs. Uns Zuschauer macht das zunächst ratlos: Wir müssen uns erst in die impressionistische Erzählweise hineindenken, verstehen, dass nicht alles wirklich ist – oder schon wirklich, aber eben nur für Guido. Damit auch für uns, weil der Film Guidos Perspektive einnimmt.

Guido ist verheiratet und hat Affären. Die er für selbstverständlich und belanglos hält. Seine Geliebte ist ihm nachgereist und geht ihm auf die Nerven. In einem seiner Tagträume ist er umgeben von den Frauen seines Lebens in einem Harem. Die Frauen umschwärmen ihn, stellen Ansprüche und verachten ihn. Zentrale Figur in seinen erotischen Fantasien ist seine Schwägerin, die ihn einen Schaumschläger nennt; einen Intellektuellen, der ihn kritisiert, lässt er erhängen. In Probeaufnahmen, die sich die Crew anschaut, hat Guido Schauspielerinnen die Frauen in seinem Leben spielen lassen; sie beklagen sich über ihn, weil er sie nicht respektiert, sie auch mit ihm an ihrer Seite einsam sind.

Guidos größtes Problem: Er weiß nicht, von was er in seinem Film erzählen soll. Seine Tagräume bringen ihn nicht weiter. Einem Kardinal klagt er, er sei nicht glücklich. Das sei auch nicht seine Aufgabe, sagt der Kirchenmann und zitiert das Kirchendogma „Extra ecclesiam nulla salus“ (Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil). Mit dem Kardinal spricht er in einem Dampfbad. Eine Szene, die er in seinen Film einbaue will. Aber einer Geschichte bringt ihn das auch nicht näher.

Er flüchtet sich in seine Kindheit, die stark von der katholischen Kirche geprägt war, findet aber auch darin keinen geeigneten Stoff für seinen Drehbuchautor, der einen großen, intellektuellen Wurf erwartet, nicht Kindergeschichten: „Wenn Sie wirklich etwas Polemisches machen wollen gegen die katholische Grundhaltung in Italien, dann muss ich sagen, chère ami, kann man nur etwas zustande bringen, wenn man über ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau verfügt. Und außerdem bedarf es eines absolut logischen Denkvermögens. Nehmen sie es mir nicht übel, aber Sie mit ihrer rührenden Unwissenheit haben von all dem nichts aufzuweisen.“ Immer wieder tauchen Visionen von einer idealen Frau auf, die Guido als Schlüssel zu seiner Geschichte sieht, die er nicht findet.

Fellini behandelt die große Frage des Erzählens: Was erzählt man? Gibt man wieder oder soll über das Gesagte/Gezeigte etwas anderes ausgesagt werden? Der Drehbuchautor will präzise, klare Gedanken formuliert haben, der Produzent Verständlichkeit. „Aber was hast Du schon zu sagen, den anderen? Wenn Du nicht mal dem Menschen was zu sagen hast, der jahrelang mit Dir gelebt hat und alt geworden ist“, klagt Luisa, seine Frau, und sein Produzent, der Geldgeber also, erwartet ein publikumswirksames Stück: Plakatmotiv: Achteinhalb (1963)Wenn das, was Du zu sagen hast, interessant ist, muss es auch alle interessieren. Warum solltest Du dich nicht darum kümmern, ob die Leute Dich verstehen oder nicht. Das wäre überheblich und anmaßend. Und das, Guido, darfst Du nicht sein.“ Es sind die Widersprüche, mit denen auch Fellini bei seinen Filmen konfrontiert wird (Das süße Leben – 1960; Das Lied der Straße – 1954) und die offenbar in seine Schaffenskrise geführt haben: „In meinem Film soll so viel wie möglich passieren. Ich packe alles rein. Sogar einen Matrosen, der steppt. (…) Ich wollte einen ehrlichen Film machen; ohne Mache und ohne Lüge. Ich glaubte, ich hätte so etwas Einfaches, so leicht Verständliches zu sagen. Ein Film, der für alle irgendwie von Nutzen sein könnte. Der helfen könnte, für immer alles zu begraben, was wir an Totem in uns tragen. Stattdessen bin ich der Erste, der nicht den Mut findet, irgend etwas zu begraben.

Das ist mit beeindruckender Leichtigkeit inszeniert. Als Zuschauer gleiten wir mit Marcello Mastroianni (Das süße Leben – 1960) durch Guidos Erzählblockade und schauen interessiert seinen Gedanken beim Entstehen zu.

Der geplante Film wird schließlich nicht gedreht. Anders als "Achteinhalb", dessen Entstehung wir im Film zusehen können, der mit einem fröhlichen Reigen aus Clowns, Zirkusartisten und den Mitgliedern der Crew endet. Guido flüstert Luisa zu: „Das Leben ist ein Fest, lass es uns gemeinsam erleben“.

Fellini sagt über das Finale und damit über das Leben selbst, man müsse „mit seiner gesamten Vitalität in diesem fantastischen Ballett aufgehen und nur darauf bedacht sein, den Rhythmus richtig zu erfassen“.

Dafür, dass der Regisseur sein bestreben aufgibt, einen Film zu drehen, wenn er nichts zu erzählen hat, lobt ihn ein Kritiker: „Wenn man nicht alles erreichen kann, ist das Nichts die wahre Vollkommenheit. (…) Sie haben in kluger Selbstkritik den Mut gefunden, auf die Realisation eines Films zu verzichten. Wie ein Krüppel, der den Mut hat, sich seiner Deformation nicht zu schämen. Sie haben sich von der ungeheuerlichen Selbstüberschätzung befreit, dass Ihre Irrtümer anderen Menschen weiterhelfen könnten. Es geht schließlich nur Sie an, wenn Sie die einzelnen Fetzen Ihres Lebens und Ihrer vagen Erinnerungen zusammen heften.“ Ein Reporter will wissen, ob es Neues aus Guidos Liebesleben zu berichten gibt.

Wertung: 4 von 7 D-Mark
IMDB