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Plakatmotiv: Rocketman (2019)

Die moderne Rockstar-Biografie
wird verfilmt, nicht geschrieben

Titel Rocketman
(Rocketman)
Drehbuch Lee Hall
Regie Dexter Fletcher, UK, Kanada, USA 2019
Darsteller

Taron Egerton, Jamie Bell, Richard Madden, Bryce Dallas Howard, Gemma Jones, Steven Mackintosh, Tom Bennett, Matthew Illesley, Kit Connor, Charlie Rowe, Peter O'Hanlon, Ross Farrelly, Evan Walsh, Tate Donovan, Sharmina Harrower u.a.

Genre Biografie, Musik
Filmlänge 121 Minuten
Deutschlandstart
30. Mai 2019
Inhalt

In den 1950er Jahren wächst der kleine Reggie nach der Trennung seiner Eltern bei seiner Mutter Sheila, in der Nähe von London, auf. Früh entwickelt er eine große Liebe zur Musik und erweist sich als überaus talentierter Klavierspieler, weswegen er mit elf Jahren an die Royal Academy of Music wechselt, um dort seine Leidenschaft zu vertiefen.

Als junger Mann gründet er seine erste Band und gibt sich selbst den Namen Elton John. Als er schließlich 1967 den jungen Texter Bernie Taupin kennenlernt, beginnt eine kreative Hochphase ungeahnten Aufmaßes: Gemeinsam schreiben sie zahlreiche Lieder, die jedoch trotz positiver Kritiken nicht das erhoffte Publikum finden. Erst 1970 landen die beiden mit ihrem zweiten Album einen weltweiten Charterfolg.

Elton John wird zum Liebling der Massen. Mit schrillen Outfits und einer wilden Bühnenshow beginnt er Abend für Abend eine wilde Party zu zelebrieren. Doch weder Erfolg noch Drogen lassen den zerbrechliche Jungen in seinem Inneren verstummen, der ebenso wie das britische Ausnahmetalent gesehen werden will und sich allmählich einen Weg an die Oberfläche bahnt …

Was zu sagen wäre

Ein langer Gang. Die Tür am anderen Ende schwingt auf, aus dem grellen Gegenlicht schält sich der Teufel – und nimmt Platz in einer Therapierunde. Dann beginnt er zu erzählen, wie das war, als er klein war und noch Reginald Dwight hieß. Es ist Elton John, der Rockstar, der den Gipfel nach Exzessen mit „Drogen, Alkohol und allem, was Ihr Euch vorstellen könnt, ich hatte es“ hinter sich hat und jetzt im Absturz gerade rechtzeitig noch die Reißleine zieht und nun also in der Therapie sitzt.

Plakatmotiv: Rocketman (2019)Im Laufe des Films, der als Rückblende seiner Erzählungen in der Therapie erzählt wird, kommen wir immer wieder in diesen Stuhlkreis zurück und sehen, dass Elton John weniger von seinem schrillen Teufelskostüm trägt und am Ende sitzt er im fast durchschnittlichen Trainingsanzug vor uns – nur der PUMA-Schriftzug glitzert mit Strass. Zum großen Finale kommt die große Familienaufstellung im Stuhlkreis, in der der Star mit all seinen Dämonen Schluss macht, die ihn selbst zum schrillen Kostümfreak und schließlich zu jenem "Teufel" haben werden lassen. So erzählt es der Film, der seine Star-Biografie als Musical aufzieht, plötzlich springt jemand auf und intoniert einen der unzähligen Elton-John-Hits, das aber eigentlich eine Therapiestunde mit Musikbegleitung ist.

Geworden, was er ist, ist er, weil sein Vater ihm, dem kleinen Jungen, die liebevolle Umarmung verweigerte, auch die Mutter eher fordernd als fördernd auftrat, und seine Flucht aus dieser Kleinbürgerhölle am besten durch die große Maskerade gelang. Hinter schrillen Masken war der schüchterne, kleine Reggie Dwight bald so gut versteckt, dass ihn niemand mehr fand. Denn wie hatte, als sein Erfolg schon groß und seine Homosexualität schwer zu verheimlichen, seine Mutter gesagt: Du wirst nie geliebt werden. Und Bernie Taupin, Kumpel, genialischer Texter, Freund, entdeckt ihn irgendwann hinter all dem Masken-Tand nicht mehr und flieht – bis Elton allein ist mit dem kalten Business, verkörpert durch seinen Manager John Reid, den Richard Madden in dunklem Nadelstreifen und knallroter Krawatte als Dämon in Menschengestalt spielt. Das tut im Zuschauerraum besonders weh, denn Bernie und Reggie/Elton gehört die schönste Szene des Films: Bernie hat den Text zu "Your Song" geschrieben und nun sitzt Reggie am Klavier und klimpert, den Text auf der Zunge, die Tastatur rauf und die Tastatur runter und plötzlich passen Klimpertöne und It's a little bit funny / that feeling inside zwingend zusammen, und Reggie und Bernie schauen sich an und wissen: Sie haben's.

Was folgt, ist klassisches Erfolgskino: Erfolge reihen sich an Erfolge, Millionen an Millionen, Groupies an noch mehr Groupies, Alkohol an Drogen; da erinnert der Film in seinem Exzess an Brian De Palmas Scarface (1983), in dem Al Pacino unter Koksbergen zerbricht. Während Pacino aber im Kugelhagel zerbirst, wird Elton John geläutert im Stuhlkreis, in der Familienaufstellung in der finalen Umarmung von Elton John und Reginald Dwight. Der Abspann erzählt dann, dass der Sänger seit knapp 30 Jahren clean, seit ewig verheiratet und Vater zweier Kinder ist. Das Leben ist gebeichtet, die Katharsis historisch verbürgt, die Schuld gesühnt.

Wir Zuschauer haben fingerschnippend, mitswingend einen zwei Stunden mitreißenden Elton-John-Videoclip erlebt, den dieser auch noch selbst produziert, den Hauptdarsteller ausgesucht hat – und Taron Egerton ("Robin Hood" – 2018; Kingsman: The Golden Circle – 2017; "Eddie the Eagle: Alles ist möglich" – 2015; Kingsman: The Secret Service – 2014), der die Songs selber singt, mag erkennbar nicht Elton Johns Stimmvolumen haben, aber er spielt den Sänger sehr überzeugend. Wir erkennen: Die moderne Biografie ist das Kino, nicht mehr das Buch. Nicht, dass Elton John mit "Me" nicht auch eine gedruckte Biografie auf den Markt wirft, aber als Film ist seine Lebensbeichte nochmal lukrativer: Den Produktionskosten von 40 Millionen Dollar stehen weltweite Einnahmen an den Kinokassen von 195,2 Millionen Dollar gegenüber.

Das hat schon bei Queen mit Bohemian Rhapsody (2018) wirtschaftlich gut geklappt, inhaltlich fehlt es dann eben bisweilen an der historischen hen Stimmigkeit. Während die überlebenden Queen-Musiker sich in arg rosigem Licht haben inszenieren lassen, lässt Elton John seine Abstürze ordentlich ausleuchten, inklusive der dunklen Schlagschatten. Aber die lassen sich im entscheidenden Moment über das Vehikel des Musicals auch sanft wegsingen. Wo gesungen wird, da lasse Dich ruhig nieder …

Wertung: 5 von 8 €uro
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