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Plakatmotiv: Der letzte Kaiser (1987)

Ein Film, der den Kaiser
von China entzaubert

Titel Der letzte Kaiser
(The Last Emperor)
Drehbuch Mark Peploe & Bernardo Bertolucci
nach den Erinnerungen von Puyi mit dem Titel "Vom Kaiser zum Bürger"
Regie Bernardo Bertolucci, UK, Italien, Frankreich 1987
Darsteller

John Lone, Joan Chen, Peter O'Toole, Ruocheng Ying, Victor Wong, Dennis Dun, Ryuichi Sakamoto, Maggie Han, Ric Young, Vivian Wu, Cary-Hiroyuki Tagawa, Jade Go, Fumihiko Ikeda, Richard Vuu, Tsou Tijger u.a.

Genre Biografie, Drama
Filmlänge 163 Minuten
Deutschlandstart
29. Oktober 1987
Inhalt

Im Jahre 1908 wird der gerade einmal drei Jahre alte Puyi zum Kaiser von China gekrönt. Bereits wenige Jahre später wird er dazu gezwungen, abzudanken, lebt aber weiterhin in der Verbotenen Stadt, wo er zuerst von chinesischen Tutoren und später auch von dem schottischen Lehrer Reginald Johnston unterrichtet wird.

Von Johnstons Ideen beeinflusst, versucht er Reformen durchzuführen, zum Beispiel eine Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben des Hofes zu bekommen und diese einzuschränken. Sein schottischer Lehrer vermutet, dass die kaiserlichen Eunuchen Geld und Waren unterschlagen, aber bevor Puyi dies prüfen kann, brennt eines Nachts das zentrale Magazin ab. Puyi ruft nun die Truppen des (inzwischen republikanischen) China zu Hilfe, um die Eunuchen vom Hof zu vertreiben. Plakatmotiv: Der letzte Kaiser (1987) 1924 wird Puyi seinerseits von Truppen der Kuomintang endgültig aus der Verbotenen Stadt vertrieben und lebt, unfähig, in der Außenwelt eine sinnvolle Existenz für sich zu finden, zunächst als Playboy im westlichen Stil.

In den 1930er-Jahren spitzt sich die politische Lage weiter zu. Die Japaner haben bereits 1931 die Mandschurei, die Heimat der Vorfahren Puyis, besetzt. Die Japaner setzen ihn gegen den Rat seiner Frau als Kaiser von Mandschukuo ein. Schrittweise wird ihm bewusst, dass er eine machtlose Marionette ist. 1945 wird Puyi von sowjetischen Soldaten gefangen genommen, 1950 an die Volksrepublik China ausgeliefert und in einem kommunistischen Gefängnis für Kriegsverbrecher interniert …

Was zu sagen wäre

Die entscheidenden Dinge in diesem Königsdrama finden im Verborgenen statt. Eine Revolution? Außerhalb der roten Palastmauern. Unsichtbar für den Kaiser und für den Zuschauer im Kinosessel. Der Kaiser muss abdanken? Passiert außerhalb der roten Mauern. Der Zuschauer im Kinosessel bekommt davon nichts mit. Die ersten sexuellen Erfahrungen mit der ersten und der zweiten Ehefrau? Finden unter der Bettdecke statt. Nur für die drei. Hier inszeniert Bernardo Bertolucci ein wunderschönes Ballett aus Satinbettwäsche, auf dem sich Licht und Schatten brechen und die Bewegungen der menschlichen Leiber darunter im Zusammenspiel mit den Lauten, die zu hören sind, lediglich erahnen lässt.

Der Titelheld ist eine Unfigur. Zwar eine historische. zwar ein Kaiser. Aber dennoch eine absolut passive Figur, der seit ihrem vierten Lebensjahr gesagt wird, was sie tun und zu denken hat. Dieser Kaiser hat zwar die ungeteilte Macht, kann jederzeit in das Schicksal der Menschen eingreifen, ist aber in den entscheidenden Momenten machtlos.

Bertolucci erzählt die Geschichte dieses letzten Kaisers in Rückblenden. Er beginnt 1950 nach dem Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg und der Einlieferung von Puyi in ein Umerziehungslager. In Etappen erzählt er dann Puyis Geschichte seit 1908, dem Jahr, in dem der 3-Jährige gekrönt wird. Plakatmotiv: Der letzte Kaiser (1987) Und es bleibt eine Erzählung im Passiv: Puyi wird … Von jener mächtigen Figur, die sich hierzulande in dem Obrigkeiten in Zweifel ziehenden Satz … und ich bin der Kaiser von China offenbart, gibt es keine Spur. Bertolucci (1900 – 1976; Der letzte Tango in Paris – 1972) zeigt einen Menschen, der zwar unantastbar ist, aber nur, solange er seine Funktion ausübt. In China hat es längst eine Revolution gegeben, da lebt der angebliche Kaiser immer noch hinter seinen Palastmauern als uneingeschränkter Herrscher über wenn auch nur seine Puppenstube. Selbst das revolutionär getriebene Volk traut sich nicht, den feudalen Herrscher abzuschaffen. Also sperren sie ihn einfach in sein eigenes Museum. Und dort lebt ein sich selbst erhaltendes System fort, das keiner Bestimmung mehr folgt, außer der des Das war schon immer so. Die imensen Kosten, die so ein Arrangement verursacht, werden stillschweigend von den jeweils regierenden Potentaten übernommen. Der Kaiser stört zwar die Herrschenden, aber dem Volk seinen Kaiser zu nehmen, das wissen auch die Herrschenden, würde Unruhe in jenem Volk hervorrufen.  Der Kaiser ist wie Religion – Opium fürs Volk.

Die Herausforderung dieses Films ist es, dass wir uns zuvor mit der chinesischen Geschichte befasst haben sollten, eben weil alles aus Sicht des Kaisers erzählt wird, der vieles als normal betrachtet, was uns – viele Jahrzehnte und einen halben Erdball entfernt – fremd erscheint. Wir müssen uns vieles aus Dialogen, die am Bildrand gesprochen werden, zusammenreimen. Erst revoltiert das eigene Volk, dann übernehmen die Japaner. Und als die mit den zwei US-amerikanischen Atombomben in den Waffenstillstand gebombt worden waren, übernahmen wieder Chinesen, dieses Mal jene, die Mao Zedong zur Kulturrevolution aufgerufen hatte.

Diese Geschichte ist als solche schon eine, der man mit offenem Mund zuschaut, weil sie eine Gesellschaft beschreibt, die der unseren, westlichen Welt so fremd ist. Hinzu kommt der sehr cineastische Faktor, dass diese fremde Gesellschaft Bertoluccis Filmteam intimen Zugang zu Originalschauplätzen gewährt hat. Plakatmotiv (US): The Last Emperor (1987) Der Italiener durfte in der Verbotenen Stadt drehen und dabei sind Bilder entstanden, die mehr als sich selbst nicht brauchen, um zu faszinieren.

Es sagt einiges über die speziellen Qualitäten dieses Filmes aus, dass der Film für neun Oscars nominiert war, unter denen kein einziger Oscar fürs Schauspiel war. Der Film gewann dann auch noch alle neun Nominierungen (s.u.), was ein einzigartiger, plakativer Erfolg war. Aber die Schauspieler spielten im Oscarreigen keine Rolle. Zu Recht: Die Schauspieler sind okay, aber nicht herausragend (auch der Bildschnitt ist nicht herausragend, aber wenn so ein Oscar-Prozess mal läuft, bekommen Favoritenfilme schnell auch Preise für unsichtbare Kategorien wie den Bildschnitt, den der durchschnittliche Kinogänger nicht so primär wahrnimmt). Nahezu eine Stunde lang gibt es kaum nennenswerten Dialog, schauen wir einer Kaiserwerdung und -entthronung zu, werden von der Kamera in ein Jahrhunderte altes höfisches Zeremoniell eingeführt, dass keiner Worte und keiner Storyline bedarf. Da ist der Filmregisseur Bertolucci ganz in seinem filmischen Element, wenn Bilder die Geschichte erzählen.

Im letzten Drittel wird das dem Film fast zum Verhängnis, weil wir im westeuropäischen Kinosessel die politischen Zusammenhänge im fernen Osten nicht gleich verstehen. Aber dann eben schon. Bleibt man aufmerksam sitzen und kaut nicht zu laut auf seinem Popcorn, kann man der verschachtelten Historie und damit dem Schicksal des letzten Kaisers gut folgen. Und das ist das Schöne an diesem Film: Wir folgen. Bertolucci verweigert eine politische Einordnung. Die überlässt er uns. Indem er subjektiv erzählt, wie es einem chinesischen Jungen mit Namen Puyi, der Kaiser wurde und dann Bürger, ergangen ist.

Wertung: 9 von 10 D-Mark
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