Diederich Hessling bedient alle Klischees vom guten preußischen Untertanen. Er ist autoritätsgläubig, lernt aber, dass es am angenehmsten ist, wenn man auch entsprechende Macht besitzt. Dass man auch der Macht dienen muss, wenn man selber in Bezug auf Macht vorankommen möchte, lernt er ebenso: Nach oben buckeln und nach unten treten.
Er schmeichelt sich deswegen beim Regierungspräsidenten von Wulckow ein. Unter dessen Schutz intrigiert er gegen Konkurrenten und paktiert in der Papierfabrik mit den von ihm abhängigen Sozialdemokraten, die auch dort arbeiten.
Am Höhepunkt seiner Macht ist er angekommen, als er ordensgeschmückt in einem aufziehenden Gewitter ein Kaiserdenkmal einweihen und sich hier chauvinistisch in Rage reden kann …
Autorität ist geifernd laut, mit Schmissen vernarbt und verständigt sich in zackiger Sprache. Wolfgang Staudte (Die Mörder sind unter uns – 1946) hat sich Heinrich Manns seinerzeit umstrittenes Buch zur Brust genommen und ein weiteres mal den Finger in des national Deutschen Wunde gelegt. Je mächtiger die Figuren sind, desto amoralischer handeln sie und desto lauter sprechen sie über Werte und Moral. Staudte filmt dann auch schon mal den Mund eines so Geifernden in Großaufnahme, was im Kinosessel vor der großen Leinwand die Abneigung noch verstärkt.
Staudte hat viele Ideen, wie man Bilder sprechen lassen kann. Zu Beginn hält einer in einem Festsaal eine schmissige Rede auf seine Majestät, „unser herrlicher Kaiser“, der der Größte und Unbezweifelbarste und Überlegenste aller Menschen sei. Derweil diese Suada mit immer neuen Adjektiven und dem immer gleichen Inhalt weiter und weitergeht, werden im Hintergrund die Porträts in Öl des jeweils Herrschenden gegen das des neuen ausgetauscht – die Herrscher wechseln, die dumpfe Ehrerbietung für „Ihre Majestät, den Kaiser“ bleibt die Gleiche.
Den Rahmen der GeschichteIn bildet die Konkurrenz zwischen Sozialdemokraten und Nationalen im Kaiserreich, die sich um die richtige Art zu regieren streiten, und ein Streit über das Legat des im Sterben liegenden Amtsgerichtsrates Kühlemann, der der Stadt mehrere hunderttausend Mark vermachen möchte. Die Sozialdemokraten möchten davon ein Gewerkschaftshaus bauen, die Freigeistigen ein Säuglingsheim, die kaisertreuen aber ein Denkmal für Kaiser Wilhelm den Großen. In diesem Spannungsfeld zieht es einen wie Hessling mal hierhin, mal dorthin, je nachdem, von wem er sich mehr verspricht; da sind die kaisertreuen Nationalen, die allüberall Verrat am deutschen Vaterland wittern, auf längere Sicht im Vorteil. Im rauchgeschwängerten Gasthaus laufen ihre schärfsten Debatten. Dort ereilt die letzten Reste Hesslings mitmenschlicher Neigungen auch der letzte Nackenschlag. Weil er gegen einen unliebsamen, weil sozialdemokratischen Fabrikanten, der im Suff möglicherweise den Kaiser beleidigt haben könnte, nicht aussagen will, verliert er in Windeseile seine erschleimten und erarbeiteten Freunde. „Ihre ganze Haltung hier ist ziemlich lahmarschig.“ „Jawohl, Herr …“ „Sie wollen doch hier was werden. Dann müssen Se sich aber bald entscheiden: Für uns oder gegen uns.“ „Aber Regierungspräsident, an meiner kaisertreuen Gesinnung …“ „Nee, nee, nee, ein anständiger Regierungsauftrag ist auch was wert!“
Mit Werner Peters als Hessling hat Staudte den Richtigen für die Rolle des Untertan gefunden; selber kein besonders gut aussehender Mann versteht es der klein gewachsene, pummelige Hessling, sich nach oben zu buckeln. Schon im Studium lässt er die Blicke von einem jungen Fräulein ab, dem er zugeneigt ist, weil ein Student, der schon kurz vor dem Abschluss steht, die Dame, Agnes, für sich beansprucht. Später exerziert er die Sache mit der Moral selber durch. Er verführt Agnes doch noch und verspricht, ihr gegenüber seine Pflicht zu erfüllen. Als dann der Vater des Mädchens kommt, weil sich Hessling lange nicht mehr hat sehen lassen, sagt der, sein moralisches Empfinden verbiete es ihm, ein Mädchen „zu heiraten, das mir ihre Reinheit nicht mit in die Ehe bringt“. Später wird ihm das egal sein, als er die sehr reiche Erbin Guste Daimchen heiratet, aber die bringt halt auch viel Geld mit. Nochmal eine Runde später widerfährt seiner Schwester ein ähnliches Unglück. Sie ist schwanger von einem schneidigen Leutnant, der ihr die Ehe versprochen hat. Auch der lehnt die Ehe dann brüsk mit dem Ehrenkodex seines Regiments ab und Hessling – „Wer treten will, muss sich treten lassen!“ – kann nicht umhin festzustellen: „Aber den preußischen Leutnant, den macht uns keiner nach.“
In dieser Art poltert und intrigiert sich der pummelige Hessling durch sein wilhelminisches Deutschland, feuert Arbeiter in seiner Fabrik, wenn die Sozialdemokraten nahe stehen, sieht ungerührt zu, wie der geschasste Arbeiter kurz darauf von einem Polizisten nieder geschossen wird, um dann mit dem sozialdemokratischen Aufseher in seiner Firma zu paktieren, um den im Streit um das Denkmal auszutricksen. Es ergibt sich ein gewollt hässliches Sittenbild der Deutschen um 1900, mit dem Staudte „die Bereitschaft gewisser Menschen um 1900 zeigen (will), die über zwei Weltkriege hinweg zum Zusammenbruch Deutschlands im Jahre 1945 führte. Es soll eine Weiterführung meiner Anklage gegen diese Kreise und eine Warnung vor diesen Menschen sein, wie ich es schon in dem Film Die Mörder sind unter uns ausdrücken wollte.“
Der Film gipfelt in einem Donnerwetter. Am Ziel seiner Intrigen und Wünsche darf Hessling vor versammelter Politprominenz eine Rede auf Kaiser und Vaterland halten. „Unser bescheidener Dank an das Geschlecht der Hohenzollern, durch dessen Führung Deutschland zur unbestrittenen Weltmacht wurde. So sind wir die Elite unter den Nationen und stellen eine zum ersten Mal erreichte Höhe germanischer Herrenkultur dar, die niemals überboten werden kann!“ Kaum hat er sich so richtig in Rage geredet und über den unbezwingbaren Geist des Deutschen schwadroniert, explodiert der Himmel in einem apokalyptischen Gewitter, das alle in die Flucht auf die Suche nach Schutz und Unterstand treibt und die schmuckvolle Kulisse in Trümmer legt.
Einzig zurück bleibt Hessling, der sich tief vor dem neuen Denkmal Kaiser Wilhelms verneigt. Dann verschwindet das Standbild in dichten schwarzen Rauchschwaden. Das Bild blendet ab und dann sehen wie wieder den Rathausplatz mit dem Reiterstandbild Wilhelms, jetzt umgeben von den städtischen Ruinen nach einem Krieg. Menschen suchen in den Trümmern nach Verwertbarem. Aus dem Off wird ein Teil der Rede Hesslings zur Einweihung des Denkmals wiederholt: „Nur auf dem Schlachtfeld wird die Größe einer Nation mit Blut und Eisen geschmiedet.“
Staudte setzt mit diesem eindringlichen Bild Hesslings Untertanengeist als Metapher auf den Ungeist, der Deutschland in einem viertel Jahrhundert in zwei Weltkriege getrieben hat.
Wolfgang Staudtes "Der Untertan" erhielt in der ganzen Welt hohe Anerkennung. In der Bundesrepublik Deutschland unterlag er der Filmzensur, und seine Aufführung wurde sechs Jahre lang verboten. Man betrachtete den Film als Angriff auf die Bundesrepublik, in der viele Ansätze eines erneuten Untertanenstaates sahen. Der Interministerielle Ausschuß für Ost-West-Filmfragen, die für die Filmeinfuhr hauptverantwortliche Stelle, untersagte die Veröffentlichung aufgrund § 93 des StGB, der Herstellung von verfassungsfeindlichen Publikationen verbot. 1956 kam es dennoch zu einer einmaligen Aufführung in Westberlin. Nach einer erneuten Prüfung wurde der Film in einer um zwölf Minuten gekürzten Version und einem die Grundaussage des Films umkehrenden Vorspruch im November 1956 freigegeben. Dennoch wurde er im Januar 1957 erneut durch die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) verboten. Die endgültige Freigabe der gekürzten Fassung erfolgte im Februar 1957. Allerdings wurde dem um zwölf Minuten gekürzten Film auch jetzt noch ein Text vorangestellt, der den dargestellten Fall ausdrücklich als Einzelbeispiel kennzeichnete. Diese Version wurde am 8. März 1957 in der Bundesrepublik erstaufgeführt.
Die Erstausstrahlung im Fernsehen erfolgte in der DDR im September 1954, in der Bundesrepublik im Dezember 1969 (im Bayerischen Rundfunk). Eine ungekürzte Fassung bekam man in der BRD allerdings erst 1971 zu sehen.
Der Film war als Prestigeobjekt der DEFA, ja sogar der DDR-Kultur angelegt, so dass Staudte und sein Kameramann Robert Baberske ungestört arbeiten konnten. Der Film gilt heute als Prototyp einer zum einen werksgetreuen, zum anderen aber eigenständigen Literaturverfilmung. Der Film entstand vom 1. März bis zum 22. Juni 1951 im Studio Babelsberg und auf dessen Außengelände.