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Plakatmotiv: Fleisch (1979)

Eine erschreckende Prämisse in einem
erschreckend langweiligen Drehbuch

Titel Fleisch
Drehbuch Rainer Erler
Regie Rainer Erler, BRD 1979
Darsteller

Jutta Speidel, Wolf Roth, Herbert Herrmann, Charlotte Kerr, Christoph Lindert, Bob Cunningham, Tedi Altice, Ben Zeller, Ronnie Lee Williams u.a.

Genre Horror, Thriller
Filmlänge 114 Minuten
Deutschlandstart
21. Mai 1979 (TV-Premiere)
Inhalt

Das frischvermählte Paar Mike, ein Amerikaner, und Monica, eine Deutsche, die gemeinsam in Princeton studieren, machen während ihrer Flitterwochen in Las Cruces im US-Bundesstaat New Mexico in einem billigen Motel Rast.

Bei einem Spaziergang wird Mike von Sanitätern überwältigt und in einem Rettungswagen entführt wird. Monica kann gerade noch fliehen und wird von dem Rettungswagen durch die Prärie verfolgt. Sie wird von einem LKW-Fahrer vollkommen verstört aufgegriffen.

Zusammen machen sie sich auf die Suche nach dem Gekidnappten. Bei ihren Nachforschungen stoßen sie auf ein gefährliches und perfekt organisiertes Syndikat, das weltweit finanzkräftige Kunden mit Organen junger, gesunder Menschen beliefert …

Was zu sagen wäre

Ein sehr aufregender Plot, erzählt innerhalb eines sehr schlechten Drehbuchs. Es geht, das muss man verraten, wenn man überhaupt irgendwie über diesen Film sprechen will, um illegalen Organhandel. Illegal insofern, als dass Menschen zur Organspende herangezogen werden, die damit überhaupt nicht einverstanden sind, in erster Linie, weil sie noch leben und ihre Organe selbst benötigen.

Im Film dauert es über eine Stunde, bis das rauskommt. Bis dahin kann er nur mit amerikanischen Symbolbildern punkten – weite Landschaften mit majestätischen Sonnenuntergängen, glänzende Trucks auf einsamen Landstraßen, leicht verranzte Motels und Streifenpolizisten mit spiegelnden Sonnenbrillen. Die Story selbst ist wirr. Zwei Menschen heiraten und starten in mehrwöchige Flitterwochen. In der dritten Woche findet der Angriff der Ambulanz statt, bei der Mike entführt wird. Monica bleibt alleine zurück. Ihr erster Impuls, bei der schrägen Motel-Besitzerin Hilfe zu suchen, ist nachvollziehbar. Ihr zweiter Impuls, der Motellady nicht mehr zu vertrauen, aber auch nicht zur Polizei zu gehen, ist Blödsinn. Statt dessen springt sie auf den Beifahrersitz von Trucker Bill, der ihre nackten Beine scharf findet und nachts nicht gerne alleine in seinem Truck sitzt. Sonst ist er ein Lieber, der aber keine Zeit hat, sie an der nächsten Polizeistation abzuliefern. Das erklärt er zeitraubend mit der Kühlfracht in seinem Anhänger: Rinderhälften, die in fünf Tagen in New York sein müssen.

Es gehen dann laut Drehbuch sechs Tage ins Land, die der Film zum Glück in wenigen Einstellungen zusammenfasst – nachdem er den Kennenlernen-Dialog zwischen der entsetzt schweigenden Monica und dem wortkargen Trucker Bill ohne Worte episch in die Länge zieht –, in denen aber der entführte und verschwundene Ehemann Mike sich selbst überlassen wird. Die blonde Monica aus Deutschland fährt mit dem Trucker von New Mexico bis nach New York und wieder zurück, fügt sich den Ideen des kernigen US-Truckers und denkt sich, die Cops werden mir ohnehin nicht glauben; und je länger sie die Polizei nicht einschaltet, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Cops genau das tun: ihr nicht glauben. Das Drehbuch hat später noch weitere solcher schwer vermittelbarer Klöpse. Rainer Erler, der nicht mehr hat, als seine erschreckende Prämisse, versucht mit allen Mitteln, darum herum einen aufregenden, bald zweistündigen Thriller zu bauen. Er scheitert.

Organe werden seit Mitte der 50er Jahre verpflanzt. Mittlerweile, wir schreiben das Jahr 1979, ist daraus eine Industrie geworden mit offiziellen Wartelisten und dramatischen Schicksalen, denen sich, so insinuiert Rainer Erlers Drehbuch, „Menschen, die es sich leisten können, ihren alt werdenden Körper jung zu halten“, mit ihrem Geldbeutel entziehen. Nach der Devise Wo ein Bedürfnis, da ein Markt, hat sich also ein internationales Netzwerk gegründet, das Organe auf anderen Wegen als den legitimen beschafft. Nachdem der Film das nach mehr als einer mühsamen Stunde offenbart, ist das Erschrecken beim Zuschauer, sofern er nicht zuvor in den Zeitungen über diesen Film gelesen hat, groß, die Spannung aber weiterhin gering, denn unsere blonde – unfreiwillige – Heldin ist immer noch schwer davon zu überzeugen, jetzt endlich mal in die Gänge zu kommen, ihren geliebten Ehemann zu retten. Kaum hat sie die Klinik erreicht, in der die Bösen ihre Organdeals machen, läuft sie lieber wieder weg in die andere Richtung. Im August 1978 lief der Thriller Coma in unseren Kinos. Der behandelte einen ähnlichen Organhandel-Plot, aber baute um die erschreckende Prämisse eine spannungsfördernde Dramaturgie, die uns von Beginn an fesselte. Rainer Erler fällt für sein Drehbuch nach eineinhalb Stunden Storyaufbau nichts Besseres ein, als einen kurz vor der Pension stehenden NYPD-Sergeant, tapfere Trucker, die ihrem Kollegen zur Seite stehen, wie sie das vor einem Jahr in Sam Peckinpahs Convoy schon für Kris Kristofferson getan haben und, die Gruselärztin in die rebellische Kämpferin für das Gute zu verwandeln, die einst auch nur vom Weg abgekommen war, weil ihr Sohn hoffnungslos auf eine lebensverlängernde Niere wartete und sie gleichzeitig einen Patienten mit passenden Nieren auf dem Tisch hatte, der nur noch nicht ganz tot war.

Klar, nach diesem Film reden alle über die Fährnisse des internationalen Organhandels. Und folgt man dem Dictum, dass Kunst aufrütteln, Missstände anprangern soll, hat der Filmkünstler Rainer Erler alles richtig gemacht. Als der Film im Mai 1979 (ich bin gerade 18 Jahre alt geworden) im Fernsehen Premiere feiert, weiß ich schon durch Zeitungsberichte, dass die geheimnisvollen Bösen Organhandel betreiben. Ich erinnere mich, dass der Film Soylent Green, der mal in der Reihe Der phantastische Film im ZDF lief, schon die These bebilderte, dass Verstorbene für die Lebenden als Nahrung aufbereitet werden; ich erinnere mich, dass gerade erst der Michael-Douglas-Thriller Coma (1978) den kriminellen Organhandel thematisiert – heißt: Mich entsetzt diese Organhandel-Prämisse für einen Thriller jetzt nicht mehr so sehr. In "Fleisch" ist es Charlotte Kerr, die ich als kleiner Junge in der schwarz-weißen TV-Serie "Raumpatrouille" als General Lydia van Dyke kennenlernte, vorbehalten, als rothaarige Vertreterin des hippokratischen Eids die Gewissensbisse der Chirurgen, die den einen sterben lassen sollen um die andere zu retten, zu verdeutlichen.

Erler will Bewusstsein schaffen. Das hat er geschafft, weil jetzt alle auf das Thema "Organhandel" schauen. Aber niemand schaut auf seinen Film. Das ist vielleicht ganz gut so. Denn der Film ist abseits der aufregenden Prämisse Mist. Und würden das alle wissen, würde wieder niemand über die Möglichkeiten des illegalen Organhandels reden.

Wertung: 3 von 9 D-Mark
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