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Plakatmotiv: Die Verdammten der Meere (1962)

Ein juristisches Kammerspiel im
Gewand eines Abenteuerfilms

Titel Die Verdammten der Meere
(Billy Budd)
Drehbuch Samson Raphaelson & Joan Harrison & Alma Reville
nach dem Kurzroman "Billy Budd Fortopman" von Herman Melville
Regie Peter Ustinov, UK 1962
Darsteller

Robert Ryan, Peter Ustinov, Terence Stamp, Melvyn Douglas, Paul Rogers, John Neville, David McCallum, Robert Brown, Ronald Lewis, Lee Montague, Thomas Heathcote, Ray McAnally, John Meillon, Cyril Luckham, Niall MacGinnis, Victor Brooks u.a.

Genre Drama
Filmlänge 123 Minuten
Deutschlandstart
16. November 1962
Inhalt

Der Matrose Billy Budd wird im Jahre 1797 von einem Handelsschiff auf das britische Kriegsschiff HMS Avenger zwangsrekrutiert. Budd erscheint etwas naiv und ist darum dem Zynismus der übrigen Mannschaft ausgesetzt.

Zuerst handelt er sich den Ärger seiner Kameraden ein, weil er ein unverbesserlicher Optimist ist. Selbst dem schlechten Essen auf dem Schiff gewinnt er noch Gutes ab. Doch seine einnehmende Art macht ihn bald bei der Mannschaft beliebt, auch bei Kapitän Vere. Der Versuch, sich mit dem brutalen Bootsmeister Claggart anzufreunden, schlägt jedoch fehl. Claggart ist ein gefühlloser Vorgesetzter, der einzelne Matrosen selbst bei kleinen Vergehen auspeitschen lässt.

Claggart, der gegen Budd wegen dessen Art einen regelrechten Hass entwickelt, will Budd loswerden. Erst will er ein Mordkomplott gegen sich selbst vortäuschen und versucht durch einen Strohmann, Budd dafür zum Mitmachen zu überreden. Doch Budd lehnt ab. Schließlich geht Claggart wütend zu Kapitän Vere und beschuldigt Budd der Anstiftung zur Meuterei. Vere, der schon länger auf eine Chance wartet, den brutalen Claggart vor ein Kriegsgericht stellen zu lassen, glaubt die Anschuldigungen nicht und sieht nun eine Gelegenheit. Der Kapitän bestellt beide in seine Kabine. Claggart bringt seine Anschuldigungen gegen Budd hervor, der keine Worte findet, um sich zu verteidigen. Stattdessen stößt er Claggart im Jähzorn zu Boden, der schlimm mit dem Kopf aufschlägt und stirbt.

Kapitän Vere und seine Offiziere müssen nun Recht sprechen. Ein Schiffsgericht wird einberufen …

                                            Plakatmotiv: Die Verdammten der Meere (1962)

Was zu sagen wäre

So einer wie William Budd, einfacher Matrose und freundlich zu Jedermann kann jemanden schon in die Verzweiflung treiben, wenn dieser nach den Buchstaben des Gesetzes handeln möchte, schlimmer: nach dem Kriegsrecht handeln muss. Klar unschuldig hat er aber trotzdem einen Vorgesetzten, wenn auch unbeabsichtigt, getötet. Dieser Film zieht das Gesetz durch. Auch wenn dieses erklärtermaßen mit Gerechtigkeit nichts zu tun hat.

Man mag sich zunächst wundern, warum Peter Ustinov für sein Hochsee-Drama zwar das Cinemascope wählt, dann aber auf Technicolor verzichtet und in Schwarz-Weiß dreht. Je länger sein Film läuft, desto klarer schält sich die Antwort heraus: Ustinov inszeniert kein Abenteuer. Er inszeniert ein düsteres Kammerspiel. Für das braucht es keine strahlenden Farbexplosionen; aber es braucht die Weite der Leinwand, um die Emotionen in den Gesichtslandschaften seiner Protagonisten einzufangen.

Plakatmotiv: Die Verdammten der Meere (1962)

Hier stehen Emotion gegen Jurisprudenz. Gesetz gegen Gerechtigkeit. Menschenrecht gegen Kriegsrecht. Und es steht jedesmal 1:0 gegen den Angeklagten. Das ist in der militärisch straffen Begründung sogar nachvollziehbar – wenn auch im Kinosessel nur schwer zu akzeptieren. Das Kriegsrecht mit seinen unbedingten Befehl-und-Gehorsam-Strukturen kann sich – zumal auf hoher See – nicht erlauben, einen Mann freizusprechen, der einen Vorgesetzten getötet hat. Dass dieser Vorgesetzte ein Sadist war, der im Zweifelsfall das Schiff in Gefahr gebracht hätte, weil seine Männer im Wir-werden-angegriffen-Moment den Befehl des Sadisten verweigern würden, haben nicht die Offiziere an Bord zu verantworten, sondern die Marine Ihrer Majestät.

Dieses Dilemma bringt Ustinov wunderbar auf den Punkt: Verantwortung den Buchstaben des Gesetzes gegenüber, aber keine dem Menschen gegenüber. Der hat 1797 noch einfach zu funktionieren – zu gehorchen. Jeder an seinem Platz. Peter Ustinov spielt unter seiner Regie selbst die letzte Instanz. Als Schauspieler liebt er diese ambivalenten Figuren (Spartacus – 1960; Wir sind keine Engel – 1955; "Beau Brummell" – 1954; "Sinuhe der Ägypter" – 1954; Quo Vadis – 1951). Seinem Captain Vere sieht man jederzeit an, dass er gegen seinen inneren Kompass entscheidet, aber auch, warum er nicht anders kann – in solchen Momenten ist das Drehbuch geschwätziger, als es die Leinwand benötigen würde.

Ustinov steht über zwei wunderbar unterschiedlichen Antagonisten: Robert Ryan spielt das Arschloch, den Bootsmeister Claggart, der Spaß daran hat, seine Männer zu quälen. Nicht, um sie zur Raison zu bringen. Jedem Zuschauer müsste klar sein, dass auf einem Kriegsschiff im Ernstfall (sprich: ein Angriff) niemand einem Sadisten folgt; nur Claggart ist nicht klar, dass er in einer Kampfhandlung das erste Opfer wäre. Ihm gegenüber steht William "Billy" Budd, ein Unschuldsengel. Freundlich, für jeden ein gutes Wort, aufrecht, ehrlich. Ein Simplicissimus, wie er im Buche steht. Das Drehbuch will es, dass er die "Menschenrechte" verlässt und auf der "Rächer" anheuern muss. Gemeint sind damit ein Handelsschiff und ein Kriegsschiff. Das haben wir schnell verstanden: Dem freundliche Billy werden die Menschenrechte entzogen, damit übergeordnete Kräfte im Krieg die volle Befehlsgewalt über ihn und seinesgleichen ausüben können. Terence Stamp steht erst das zweite Mal vor einer Filmkamera. Das merkt man seinem strahlenden Simplicissimus nicht an.

Dass sich Captain Vere nach Vollzug des von ihm forcierten Urteils angewidert vom eigenen schlechten Gewissen abwendet und quasi die Hoheit über das Schiff abgibt – welches auf Hoher See die ganz existierende Welt darstellt – ist ein schwacher Trost, eher ein redundantes Ich kann doch auch nichts dafür, nachdem Ustinov das vorher doch längst klar gemacht hatte.

Ja: Es reicht das Schwarz-Weiß. Man mag sich den Film nicht vorstellen, wenn Burt Lancaster ("Der Rote Pirat" – 1952) den Drive der Geschichte gesetzt hätte. Technicolor ist für dieses Kammerspiel kontraproduktiv. Die Breitleinwand erlaubt große Perspektiven innerhalb der Enge des Schiffs. Gleichzeitig unterstreicht Schwarz-Weiß den Essay-Charakter des Drehbuchs.

Denn eigentlich ist die Story zwischen zwei Buchdeckeln oder auf einer Theaterbühne besser aufgehoben.

Wertung: 5 von 7 D-Mark
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