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Kinoplakat: Toni Erdmann
Tochter-Vater-Konflikt in
einer sprachlosen Gesellschaft
Titel Toni Erdmann
Drehbuch Maren Ade
Regie Maren Ade, Deutschland, Österreich, Rumänien 2016
Darsteller
Sandra Hüller, Peter Simonischek, Michael Wittenborn, Thomas Loibl, Trystan Pütter, Ingrid Bisu, Hadewych Minis, Lucy Russell, Victoria Cocias, Alexandru Papadopol, Victoria Malektorovych, Ingrid Burkhard, Jürg Löw, Ruth Reinecke, Vlad Ivanov u.a.
Genre Komödie, Drama
Filmlänge 162 Minuten
Deutschlandstart
14. Juli 2016
Inhalt

Der 65-jährige Winfried lebt als Musiklehrer zusammen mit seinem alten Hund. Aber nicht lange. Am nächsten Morgen ist der Hund tod. Winfried ist nun ganz allein. Auch verzweifelt? Eigentlich nicht.

Winfried beschließt, seine Tochter Ines zu besuchen, unangekündigt, die für ihre Karriere ständig um die Welt reist. Als er in Rumänien ankommt, dauert es nicht lange, bis Vater und Tochter aneinander geraten. Nicht nur, dass Winfried Ines' Lebensstil ständig unterschwellig kritisiert, er entwickelt sich auch noch in sein alter Ego Toni Erdmann - ein verrückter Typ mit Perücke und schiefem Gebiss, der behauptet, er sei Personalcoach und mit Witzen nur so um sich schmeißt.

Toni Erdmann taucht jetzt wiederholt in Ines’ Alltag auf und gibt sich wahlweise als Coach und Tennisfreund von Ion Tiriac oder als deutscher Botschafter in Rumänien aus. Nach einigen Irritationen nimmt Ines ihren Vater schließlich zu einem Treffen mit Illiescu mit, dem Manager einer durch Ines abzubauenden Abteilung, und stellt ihn als erfahrenen Berater vor. Winfrieds Unterhaltung mit Ölarbeitern nimmt jedoch eine fatale Wendung, als Illiescu darauf aufmerksam wird, dass einer der Arbeiter gegen Sicherheitsvorschriften verstößt und diesen an Ort und Stelle entlässt.

Es kommt zum Eklat …

Was zu sagen wäre

Eigentlich will Winfried nur wissen, wie es Ines, seiner Unternehmensberater-Tochter denn geht, so ganz allgemein. Aber schon da ist die Kommun

kation zwischen Vater und Tochter derart gestört – wie übrigens alle Kommunikation in diesem Film gestört ist, folglich nicht funktioniert, Missverständnisse evoziert, kontraproduktiv wirkt. Wahrscheinlich erscheint der Film deshalb in seinen stillen Szenen am stärksten: Weil Maren Ade großteils auf Soundtrack verzichtet, wirken die stillen Szenen umso intensiver. Ihre Bilder, Eindrücke bizarrer Leere und vollmundiger Sprachlosigkeit saugen den Zuschauer ein. In diesem Zusammenhang ist es sehr schade, dass Ade durchweg auf Stativ oder Dolly für Patrick Orths Kamera verzichtet; selbst in Einstellungen, die lediglich – aber umso intensiver – etwas beobachten, eine Tür, einen Tisch, eine Straße, wackelt die Kamera auf der Schulter des Kameramanns. Das sind keine handwerklichen Petitessen: bewegte Kamera in stummer Szene heißt, dass hinter uns (hinter der Kamera) jemand (eine Figur aus dem Film, ein Schauspieler) steht und beobachtet, was wir beobachten. Steht da keiner, lenkt das Gewackel nur ab, sieht aus wie Billigproduktion.

Kinoplakat: Toni ErdmannAlso jedenfalls will Winfried eigentlich nur wissen, wie es seiner Tochter geht. Und Ines, die ehrgeizige Unternehmensberaterin, die in Bukarest eine Ölfirma abwickelt und ihren Platz in der Glitzerwelt zwischen Koks, Sex und Männerwitzen mit Zähnen und Klauen verteidigt, permanent am Telefon hängt, ständig auf ihre „Performance“ bedacht, zickt hilflos „Schwirren ganz schön viele Begriffe hier rum jetzt, ne? Spaß, Glück, Leben? Muss man mal ein bisschen ausdünnen. Was findest denn Du lebenswert? Wenn Du schon hier die großen Themen hochbringst?“ „Das kann ich jetzt so spontan gar nicht sagen. Ich wollte eigentlich nur wissen, wie es Dir geht.

Großartig, wie lässig Peter Simonischeck diesen monströsen Vater mit Schmäh und aufkeimender Lebenslust aufpumpt. Bewundernswert, wie leichtfüßig Sandra Hüller auf dem dünnen Seil zwischen scharfkantiger Businessfrau und verletzlichem Kind tänzelt. Sie zeigt uns Ines als nach außen professionelle Geschäftsfrau, der die Unsicherheit, die Angst vom Karussell zu fliegen, aus den Mundwinkeln zuckt, als eine, die bemüht ist, sich zum Business-Roboter umzucoachen – in Büropausen skyped sie mit einem Mentaltrainer um beim Zuhören in Meedtings echter zu wirken. Simonischeks Winfried erträgt das Leben nur noch als ein Anderer – hinter Masken, hinter denen er die Traugkeit seines Daseins nicht erkennen muss. Als er erkennt, dass auch seine Tochter unter einer Maske lebt und arbeitet, hat er endlich eine gemeinsame Sprache mit ihr.

Es gibt dann eine Szene, in der Vater und Tochter – „Na komm, lass uns einmal was zu Ende bringen.“ gemeinsam musizieren. Er an der Heimorgel, sie singt Whitney Hustons „Greatest Love of All“. Ines schmettert mit einer tonlagensicheren Inbrunst, dass wir mit einem Mal verstehem, dass die beiden früher mal was gemeinsam hatten, bevor sie sich einander entfremdeten. Die Szene endet hochemotional, es bleibt unlar, was passiert ist, gibt aber Orientierung.

Zwei Stunden, vierzig Minuten nimmt sich Maren Ade für ihren Vater-Tochter-Konflikt Zeit. Dramaturgisch wäre dieser lange Bogen nicht notwendig, manche Szene ist redundant, eher erstaunt anzuschauen als für die Entwicklung notwendig. Für die Schauspieler aber ist das ein Fest, Ade dreht viele Szenen, in denen wenig geschieht, die allein von ihren Akteuren getragen werden. Und die sind, bis auf das Tochter-Vater-Gespann, alle scheintot; Ade erzählt aus einer künstlichen Welt in aseptischen Hotelzimmern, die bevölkert sind mit Wesen hinter starren Masken, lauter unsympathische Menschen, die in Floskeln und Windungen reden, anstatt zu sagen, was sie denken – und Vater und Tochter kommen erst wieder ins offene Gespräch, als Vater sich unter der Toni-Maske verbirgt. Die „Neue Zürcher Zeitung“ sieht in Ades Film „alle Nuancen der Ausbeutungs- und Abhängigkeitsmechanismen, eine Vampirwelt des modernen Turbokapitalismus“.

Am Ende steht die Frage nach dem Sinn des Lebens … also, nach dem eigentlichen, dem tieferen Sinn. „Wie soll man den Moment festhalten?“, fragt Winfried seine Tochter. Daraufhin zieht sie das Quatsch-Gebiss ihres Vaters an, stülpt sich einen Hut der Oma über. „Moment“, sagt da Winfried, „ich hol mal ein Foto.“ Er läuft aus dem Bild und Ines zieht Gebiss und Hut wieder ab. Der schöne Moment zwischen Vater und Tochter ist vorbei.

Wertung: 5 von 8 €uro
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