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Plakatmotiv: Der diskrete Charme der Bourgeoisie (1972)

Eine philosophische Satire
voll beißendem Sarkasmus

Titel Der diskrete Charme der Bourgeoisie
(Le charme discret de la bourgeoisie)
Drehbuch Luis Buñuel & Jean-Claude Carrière
Regie Luis Buñuel, Frankreich, Italien, Spanien 1972
Darsteller

Fernando Rey, Delphine Seyrig, Stéphane Audran, Jean-Pierre Cassel, Paul Frankeur, Bulle Ogier, Julien Bertheau, Milena Vukotic, Claude Piéplu, Maxence Mailfort, Michel Piccoli, François Maistre, Pierre Maguelon, Maria Gabriella Maione, Christian Baltauss, Georges Douking, Muni, Ellen Bahl u.a.

Genre Komödie
Filmlänge 102 Minuten
Deutschlandstart
20. April 1973
Inhalt

Eine Gruppe von sechs Angehörigen der Pariser Bourgeoisie – zwei reiche französische Ehepaaren, eine junge Frau sowie der korrupte Botschafter des lateinamerikanischen Landes Miranda – plant ein stilvolles Essen im kleinen Kreis.

Das Essen wird jedoch wegen verschiedener Zwischenfälle und Missverständnisse immer wieder verschoben. Mal kommen die Gäste am falschen Tag, mal haben die Gastgeber noch miteinander Sex, woraufhin die anderen Gäste nach 20 Minuten vergeblichen Wartens ratlos wieder gehen.

Die zunehmend merkwürdigen Zwischenfälle machen es schon bald unmöglich, zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden …

Was zu sagen wäre

Sechs Menschen gehen strammen Schrittes eine einsame Landstraße entlang. Ihr Ziel ist unklar, die Straße führt nach beiden Richtungen ins Unbekannte. Es sind drei Frauen und drei Männer, die Hauptfiguren aus Luis Buñuels Film, die er uns nur in Zwischenschnitten auf der Landstraße zeigt. Wortlos gehen sie nebeneinander und hintereinander her. Weiter und immer weiter.

Die Damen und Herren gehören der bürgerlichen Gesellschaft von Paris an. Wir lernen sie bei einer Esseneinladung kennen, der ersten von vielen Esseneinladungen, die stets spätestens mit der Vorspeise an irgend etwas scheitern. Überhaupt scheinen die sechs Personen den ganzen Tag nichts anderes zu machen, als sich zum Essen einzuladen. Der film zeigt sie bei kaum etwas anderem. Einmal erleben wir die drei Männer im Büro von einem von ihnen, er ist Botschafter des südamerikanischen Landes Miranda und verkauft den anderen beiden mehrere Großpackungen Heroin, die beiden anderen reichen ihm dafür einen Koffer voller Geld. Diese Handlung wird im weiteren nicht fortgeführt, statt dessen folgen wieder Einladungen zum Essen.

Das Leben dieser sechs Personen der Oberschicht ist so ziellos, wie der der stramme Spaziergang, den sie zwischendrin gemeinsam in der ländlichen Einöde unternehmen. Sie sind sorglos, es mangelt ihnen an nichts, lediglich an Lebensinhalt, den sie durch ihre immer gleichen Rituale von Einladung und Gegeneinladung, von inhaltsleerem Small Talk und angeblich einzigartig bereiteten Apéritifs ersetzen.

Den Sechs gesellt sich noch ein Bischof hinzu, der lieber Gärtnerarbeiten für zwei der sechs Hauptfiguren übernimmt, als seiner seelsorgerischen Hauptbeschäftigung nachzugehen. als er einem kranken alten Mann die letzte Ölung erteilt, erschießt er ihn anschließend – der Mann hatte offenbar des Bischofs Eltern ermordet, als der selbst noch ein kleiner Junge war.

Buñuel lässt kein ernstes Haar an dieser Gesellschaftsschicht, in der die Langeweile das vorherrschende Momentum ist. Am spannendsten scheint noch der Botschafter Mirandas zu sein. Über das Land hat jeder im Film etwas zu sagen, wenn auch selten Richtiges. Jeder formuliert Klischees über südamerikanische Länder wie Hochburg geflohener Nazis, Drogen, Korruption, Militärjunta, Folterkeller. Plakatmotiv: Der diskrete Charme der Bourgeoisie (1972) Der Botschafter, gespielt vom in seinen Rollen immer undurchsichtig schimmernden Spanier Fernando Rey (French Connection – 1971) lächelt stets nur höflich. Bis er eines Abends den Gastgeber erschießt. Bei einem der vorherigen Abendessen finden sich die Protagonisten plötzlich auf der Bühne eines vollbesetzten Theaters wieder und plappern nach, was ihnen der Souffleur vorflüstert.

Das ziellose Treiben der Männer und Frauen erscheint in zunehmend groteskem Licht. Es löst sich meist als ein Traum eines der Beteiligten auf. Der eine Bourgeois träumt da das Leben eines anderen und umgekehrt. Einmal träumt der eine Bourgeois, dass ein anderer Bourgeois etwas geträumt habe, bis er aufwacht und alles als „absurden Traum“ abtut. Mit jedem dieser Wechsel der Erzählung wird der gesamte Wahrheitsgehalt des bis dahin Gezeigten infrage gestellt. Das geträumte Leben wird zum Lebenstraum, weil das eigentliche Leben leer und langweilig ist – wie die sonnige Landstraße, auf der sie immer wieder stramm spazieren – und das geträumte Leben endlich Spannung und Abwechslung bereit hält.

Und wenn das reale Leben die Bourgeoisen doch mal in Bedrängnis bringt, ins Gefängnis gar, sind sie wenige Minuten durch die helfende Hand des Ministers wieder frei. Der ruft dann den Commissaire an und gibt Anweisungen, die von lautem Flugzeuglärm übertönt und für uns also unhörbar werden. Warum auch nicht? Was der Minister da genau sagt, ist doch egal. Er hat die Macht und sorgt dafür, dass seinesgleichen nicht vom einfachen Volk belästigt wird – ein Volk, das nach Ansicht der Bourgeoisie „nun mal keine Kinderstube hat“, dem niemand „das gewisse Raffinement beibringt“. Mit seiner Satire will Buñuel nichts beweisen. Er zeigt nur. Und weiß, dass sein Publikum ihn schon verstehen wird.

"Der diskrete Charme der Bourgeoisie" ist ein böser Spiegel, den Buñuel der Gesellschaft vorhält. Mit gnadenlosem Blick, beißendem Sarkasmus und – in seiner Bildsprache – einer Prise cineastischer Philosophie.

Wertung: 7 von 9 D-Mark
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