IMDB

Plakatmotiv: M – eine Stadt sucht einen Mörder (1931)

Ein sarkastischer Blick auf
den alltäglichen Menschen

Titel M – Eine Stadt sucht einen Mörder
Drehbuch Thea von Harbou + Fritz Lang
Regie Fritz Lang, Deutschland 1931
Darsteller

Peter Lorre, Ellen Widmann, Inge Landgut, Otto Wernicke, Theodor Loos, Gustaf Gründgens, Friedrich Gnaß, Fritz Odemar, Paul Kemp, Theo Lingen, Rudolf Blümner, Georg John, Franz Stein, Ernst Stahl-Nachbaur, Gerhard Bienert u.a.

Genre Crime, Drama
Filmlänge 111 Minuten
Deutschlandstart
11. Mai 1931
Inhalt

Ein Kindermörder versetzt die Reichshauptstadt Berlin in Angst und Schrecken. Der unbekannte Triebtäter hat bereits acht Kinder auf dem Gewissen, ein neuntes wird vermisst: Elsie, die kleine Tochter von Frau Beckmann.

Bei den Untersuchungen dringt die Polizei immer weiter in die Berliner Unterwelt vor, schon bald kann das organisierte Verbrechen aufgrund der zunehmenden Razzien und Kontrollen kaum mehr seinen Geschäften nachgehen. Sie beschließen selbst nach dem Mörder zu suchen und spannen dafür das Netz der Bettler ein.

Eine bestimmte Melodie, die der Mörder pfeift wenn er einem Kind begegnet, wird dem Täter schließlich zum Verhängnis. Ein Bettler erkennt die Tonfolge und malt ein weißes "M" auf den Mantel des Verdächtigen. Der Verfolgte versucht zu entkommen, doch die Berliner Unterwelt und die Polizei sind ihm dicht auf den Fersen …

Was zu sagen wäre

Ein Kind verschwindet. Was das für die Familie bedeutet, macht uns Fritz Lang (Metropolis – 1927) in den ersten Minuten seines Filmes klar. Er beginnt nicht, was man erwarten würde, mit einem Kind, das entführt wird.

Er beginnt seinen Film mit einem Mietshaus, in dem eine Mutter die Wäsche macht und, als die Kuckucksuhr Signal gibt, beginnt, den Tisch zu decken und das Mittagessen vorzubereiten. Erst jetzt sehen wir Szenen eines kleinen Mädchens, das sich von einem Mann, den wir nur als Schatten an einer Litfaßsäule sehen, einen Luftballon kaufen lässt. An dieser Litfaßsäule ist ein Steckbrief ausgehängt, der 10.000 Mark auslobt für die Ergreifung eines mehrfachen Kindermörders. Es sind kaum Worte gesprochen bis dahin, aber Fritz Lang hat nach zehn Filmminuten verdeutlicht, worum es im Folgenden geht – und dass der Kindermörder kein harmloser Einzeltäter ist.

Von nun an verfolgt der Film analytisch das weitere Geschehen. Die Polizei führt Razzien durch und kommt damit keinen Schritt weiter. Die Unterwelt Berlins fühlt sich belästigt und stellt eigene Suchtrupps auf die Beine. Das Gleichgewicht dieser Gesellschaft ist gestört durch einen „Außenseiter“, der Kinder mordet. Er stört das Gefüge der Stadt, in welchem sich Polizei und Ganoven eingerichtet haben. Aus Sicht der Polizei bringt er bringt Unruhe in die bürgerliche Gesellschaft, die sich am Stammtisch gegenseitig als Mörder beschuldigt. Lang inszeniert an dieser Stelle einen Streit zweier  Stammtischbrüder, die im schnellen Schnitt-Gegenschnitt in die Kamera geifern und den jeweils anderen – tatsächlich: den Zuschauer – als Mörder verunglimpfen. Wir im Kinosessel bekommen eine Ahnung davon, was der Volkszorn, das gesunde Volksempfinden, anzurichten vermag.

In einer eleganten Parallelmontage verfolgt der Film nun im raschen Wechsel der Schauplätze die Konferenzen der Polizei am langen Tisch und die der Ganoven am kleinen runden Tisch, wie sie jeweils – und unabhängig voneinander – beratschlagen, wie sie den bösen „Außenseiter“ aus dem Verkehr ziehen können, damit wieder Ruhe einkehrt – die freilich jeder anders interpretiert. Sätze, die die Ganoven beginnen, beenden die Polizisten, oder umgekehrt. Da arbeiten zwei System, die eigentlich gegeneinander kämpfen, zusammen gegen einen Eindringling.

"M" ist in mehreren Genres angesiedelt. Er startet im Mietshaus als sozialrealistisches Proletarierdrama. Später wandelt er sich zu einem Dokumentarfilm, wenn er minutiös die Arbeit der Polizei listet, Fingerabdruckverfahren, Graphologie und psychologische Täteranalyse zum Thema der Ermittlungen macht. Die hysterische Angst der Bürger, ihr Denunziantentum und ihre Lynchlust, deren Zeuge wir am Stammtisch werden, wandelt den Film zur Satire. Und als dann der Mörder enttarnt ist, ein Gesicht, ein "M" auf die Schulter gestempelt bekommt, wird der Film zum Thriller – mit dem unheimlichen Effekt, dass wir im Kinosessel Mitleid mit dem Triebtäter entwickeln.

Plakatmotiv: M – eine Stadt sucht einen Mörder (1931)Den letzten Akt krönt ein unheimliches Gerichtsdrama, in dem Ganoven über einen Mörder zu Gericht sitzen. Hier hat Peter Lorre, der den Kindermörder, den Triebtäter und die tatsächlich gequälte Seele spielt, seinen ganz großen Auftritt: „Immer muss ich durch Straßen gehen, und immer spür' ich, es ist einer hinter mir her. Das bin ich selber! Manchmal ist mir, als ob ich selbst hinter mir herliefe! Ich will davon, vor mir selber davonlaufen, aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen! Wenn ich’s tue, dann weiß ich von nichts mehr… Dann stehe ich vor einem Plakat und lese, was ich getan habe, und lese. Das habe ich getan?“ Peter Lorre ist ein bekannter Theaterdarsteller, aber noch nicht beim Film etabliert. Seine darstellerische Leistung hebt den Film hervor. Die Rolle brachte seiner Filmkarriere zwar den Durchbruch, legte ihn aber auch für lange Zeit auf diesen Typus fest; in seinen ersten Jahren in den Vereinigten Staaten erhielt er reihenweise Mörder-Rollen angeboten.

Folgt man Langs Erzählung in seinem Film, sind Polizei und Verbrecher zwei einander bedingende Organisationen, die lediglich ihre Machtbereiche gegeneinander abstecken. Als dann aber die Ganoven der Polizei deren originäre Aufgabe nehmen, für Ordnung in der Stadt zu sorgen, malt Fritz Lang das Bild der Weimarer Republik, in der die Nazis die schwachen Institutionen herausfordern. Und plötzlich steht da der Oberganove "Schränker", erinnert in seinem Ledermantel an Joseph Goebbels und spricht das Todesurteil über den wimmernden Kindermörder, den Fritz Lang unauffällig aber nachhaltig zum Opfer umdesigned hat: „Diese Bestie hat kein Recht zu existieren, die muss ausgerottet werden.

Die Gerichtsverhandlung der Ganoven über den Mörder ist eine schallende, vor Sarkasmus triefende Ohrfeige gegen die damals aufkeimenden Nazis und die von ihnen eingeführten Volksgerichtshöfe: „Hier kommst du nicht mehr raus. Unschädlich bist du nur, wenn du tot bist.“ In Fritz Langs Film sucht eine Stadt einen Mörder. und für den Moment ist der Mörder klar definiert. Aber es ist nicht so klar, wer am Ende schließlich eigentlich der Mörder ist, und wer die Stadt, die ihn sucht.

Wertung: 6 von 6 D-Mark
IMDB