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Plakatmotiv: Im Westen nichts Neues (2022)

Nicht neu, aber beklemmend
und bemerkenswert aktuell

Titel Im Westen nichts Neues
Drehbuch Edward Berger & Lesley Paterson & Ian Stokell
nach dem gleichnamige Roman von Erich Maria Remarque
Regie Edward Berger, Deutschland, USA, UK 2022
Darsteller

Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, Moritz Klaus, Adrian Grünewald, Edin Hasanovic, Daniel Brühl, Thibault de Montalembert, Devid Striesow, Andreas Döhler, Sebastian Hülk, Luc Feit, Michael Wittenborn, Michael Stange, Sascha Nathan, Tobias Langhoff, Anton von Lucke, Michael Pitthan u.a.

Genre Krieg
Filmlänge 148 Minuten
Deutschlandstart
29. September 2022
Inhalt

Der Teenager Paul Bäumer und seine Freunde Albert und Müller schreiben sich während des Ersten Weltkrieges freiwillig in die deutsche Armee ein und reiten auf einer Welle patriotischen Eifers, die sich schnell in Wohlgefallen auflöst. Ernüchtert und schockiert müssen sie feststellen, dass der Kampf um Deutschland keineswegs eine rein ehrenhafte Sache ist, sondern ein tödliches Gemetzel.
Sobald sich die jungen Soldaten den brutalen Realitäten des Lebens an der Front stellen, gehören Tod und Verlust zu den täglichen Schreckensszenarien. Pauls Vorurteile über den Feind, über Recht und das Unrecht des Konflikts fallen bald wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Bis zum Waffenstillstand muss Paul jedoch weiter kämpfen, ohne den Wunsch der führenden Militärs zu erfüllen, den Krieg mit einer deutschen Offensive zu beenden.
Und gerade als es so scheint, als hätte das Grauen und die Torturen ein Ende und die Männer könnten nach Hause fahren, trifft General Friedrichs eine folgenschwere Entscheidung. Denn eine Niederlage für Deutschland kann er nicht einfach hinnehmen …

Was zu sagen wäre

Am Ende dieses Krieges im Jahr 1918, am 11.11. um 11 Uhr, drehen die Soldaten, die eben noch wie die Tiere im Selbsterhaltungskampf übereinander hergefallen sind, einfach ab und gehen nach Hause. War ja eh nie ihr Krieg. Sie waren nur die Masse, die in den Schützengräben der Masse der anderen Seite entgegengestellt wurde. Im Schlamm. Im Kugel- und Bombenhagel, während schwere Panzer über sie hinweg rollen, sie zermatscht werden oder in Pfützen ertrinken. Während die Generalität Austern schlürfend im Louis-XIV-Palast Staubfusel von der Uniform fegt und über die deutschen Sozialdemokraten in der Regierung schimpft, die das geliebte Vaterland dem Feind zum Fraß vorgeworfen hat. Und noch einen letzten Angriff befiehlt.

Drei Millionen Menschen sind auf diesem Schlachtfeld an der Westfront gestorben, für nur wenige Meter Landgewinn mal für die französische, mal für die deutsche Seite. Aber die Menschenleben spielen keine Rolle. Stirbt ein Soldat, wird er gleich durch einen neuen, jüngeren ersetzt. „Bald ist Deutschland leer“, raunt ein Unteroffizier angesichts der immer jünger werdenden Gesichter, die da in die Schlacht geworfen werden. Die Toten im Schützengraben werden genauso nüchtern ausgetauscht und wiederverwertet, wie die zerschossenen Uniformen der Toten, die freundliche Muttchen zusammenflicken und in der Kleiderkammer an den nächsten Soldaten weiterleiten – manchmal vergessen sie dann, das Namensschild des Vorbesitzers aus dem Kragen zu reißen, was bei den naiven, kriegsbegeisterten Jungen für Irritationen sorgt, weil die sich gar nicht vorstellen mögen, dass in diesem heldenhaften Krieg da an der Westfront auch eigene Leute sterben, gar krepieren; schließlich sagen ja alle Alten – Lehrer, Väter, Stammtischler – dass es sich bei dem Einsatz nur um „ein paar Wochen“ handele, bis der Feind im Staub liege. Da ist die abenteuerlustige Jugend gerne dabei. Bis die erste Gewehrkugel des Feindes ihnen den Helm vom Kopf schießt. „Ich will nach Hause“, jammert einer aus Paul Bäumers Clique, die eben noch gar nicht schnell genug in den Krieg kommen konnte und angesichts der schlammig-blutigen Realität in apathische Existenzangst verfällt. Und wenn man als Zuschauer die Wahl hätte, würde man an der Stelle gerne gleich mit nach Hause gehen.

Regisseur Edward Berger schont uns nicht, hat die erste halbe Stunde von Spielbergs Soldat James Ryan gut analysiert und in die heutige Erwartung an Bildsprache übersetzt. Ständig fliegen einem akustisch Kugeln um die Ohren, das Schlachtfeld ist ein lebensfeindlich, extraterrestrisch anmutendes Gelände, das kaum an eine Ebene in Flandern erinnert, geschweige denn ein begehrenswertes Stück Land darstellt, für dessen Eroberung es sich zu sterben lohnt. Im scharfen Kontrast zu den armen Soldaten im Dreck gibt es den eine Tasse Tee rührenden Oberkommandierenden General Friedrich im Schloss, dessen Familie über Genrationen als Offiziere Kriege ausgefochten hat und der wider besseren Wissens bis zur letzten Sekunde an einen Endsieg glaubt. Hier schrammt der Film haarscharf an Klscheedarstellungen vorbei, auch weil Devid Striesow, der diesen General Friedrich spielt, sich eine funkelnde Glatze rasiert hat und nun in seiner schmucken Uniform an einen der vielen glücklosen römischen Zenturios aus den Asterix-Comics erinnert.

Krieg ist scheiße, triggert der Film ganz unverblümt und das war zur Zeit seiner Entstehung noch eine Binse, bei der wir uns fragten, wozu es denn heute wohl diese vierte Verfilmung des Erich-Maria-Remarque-Romans noch braucht? Und dann marschierte am 24. Februar 2022 Russland in der Ukraine ein. Man kann Edward Bergers Film mit dem gebotenen Zynismus ein glückliches Händchen mit dem Timing seiner Veröffentlichung unterstellen. Denn Krieg ist ja nie, wie man das bisweilen in der Kneipe aus Gesprächsfetzen aufschnappt oder im Sportverein unter jungen Hitzköpfen ein Überrollen des doofen Gegners, beziehungsweise im schlimmsten Fall ein schneller, den Körper vaporisierender Tod eines selbst. Krieg, selbst einer, der mit High-Tech-Panzern und Raketen ausgefochten wird, bedeutet auch im Jahr 2022 elendiges Krepieren im Dreck oder unter sadistischen Händen in Folterkellern oder durch eine verirrte Kugel. Fernsehbilder aus dem Krieg werden immer entschärft gesendet, damit uns in der warmen Stube das Abendbrot nicht im Hals stecken bleibt. Edward Berger verzichtet auf den Feel-Good-Filter. Und so ist seine Version des Romans, den Remarque 1929 geschrieben hat, immer noch die Darstellung des Krieges von 1914 bis 1918. Deren Botschaft aber bis heute dieselbe Gültigkeit hat. Die Waffen haben sich entwickelt, Tod und Leid des Individuums nicht.

Berger erfindet für seine mit bemerkenswert ruhiger Kamera umgesetzten Verfilmung noch eine Waffenstillstandsverhandlung, die es bei Remarque nicht gibt. Da versucht der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger in gestärktem Zwirn als Bevollmächtigter der Reichsregierung und Leiter der Waffenstillstandskommission das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne gegenüber dem Marèchal Foche durchzusetzen, das vielen zehntausend weiteren Soldaten auf beiden Seiten den sinnlosen Tod ersparen soll. Aber der eine ist eher beleidigt und beharrt auf Maximalforderungen, der andere hat nicht genug in der Hand, um überzeugend die eigene Position zu untermauern. Und so sitzen die Herren im Warmen, trinken Tee, während draußen vor der Tür die Männer im Matsch verenden. Ist diese Szene für den Film erfunden, so fehlt die entscheidende, die dem Roman seinen Titel gibt. Im Roman stirbt Paul an einem Tag, an dem es an der Front so ruhig ist, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkt, „im Westen sei nichts Neues zu melden“. Auch fehlt der Heimatbesuch des vom Krieg gezeichneten Paul Bäumer, der in einer Schulklasse seines Heimatortes ungeschminkt über die Gräuel des Krieges erzählt und wegen seiner vermeintlichen Weinerlichkeit ausgebuht wird. Nimmt der Wegfall der ersten Szene („Im Westen nichts Neues zu melden“) dem Drama seine Schärfe, weil die ganze Egalheit dieses Krieges für die Zivilbevölkerung nicht erfasst wird, ist der Wegfall der zweiten genannten Szene heute lässlich. Auch nach 70 Jahren Frieden glaubt in Europa kaum noch jemand, dass Kriege irgendwie "groß" seien. Würde ein ukrainischer Soldat heute einer deutschen Schulklasse ungeschminkt seine Kriegserlebnisse schildern, würde er in lauter Augen blicken, die zu wissen glauben. Weil sie alle den alten Jedi-Meister Yoda im Ohr haben: „Groß machen Kriege niemanden!

Wertung: 6 von 8 €uro
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