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Plakatmotiv: Du lebst noch 105 Minuten (1948)

Kunstvoll verschachtelter Thriller, der
eine grausame Geschichte enthüllt

Titel Du lebst noch 105 Minuten
(Sorry, Wrong Number)
Drehbuch Lucille Fletcher
nach ihrem eigenen Hörspiel
Regie Anatole Litvak, USA 1948
Darsteller

Barbara Stanwyck, Burt Lancaster, Ann Richards, Wendell Corey, Harold Vermilyea, Ed Begley, Leif Erickson, William Conrad, John Bromfield, Jimmy Hunt, Dorothy Neumann, Paul Fierro u.a.

Genre Noir, Drama
Filmlänge 89 Minuten
Deutschlandstart
12. Juni 1951
Inhalt

Leona Stevenson ist schön, jung und reich, aber aufgrund eines psychosomatischen Leidens ans Bett gefesselt. Als sie ihren Mann Henry im Büro anrufen will, gerät sie aufgrund einer Fehlschaltung in ein fremdes Telefongespräch. Schockiert muss sie mit anhören, wie zwei Männer einen Mord an einer schwer kranken Frau planen, die sich allein in ihrer Wohnung aufhält.

In Leona wächst der schreckliche Verdacht, dass sie selbst das auserkorene Opfer sein könnte. Die Polizei schenkt ihr jedoch keinen Glauben, sodass Leona mit zunehmender Angst versucht, ihren Mann zu erreichen. Doch weder seine Sekretärin noch seine Geschäftsfreunde wissen, wo er gerade steckt. Immerhin erfährt Leona, dass Henry wohl in krumme Geschäfte verwickelt ist.

Als sie Geräusche im Haus hört, steigert sich ihre Angst ins Unerträgliche …

Was zu sagen wäre

Und plötzlich sitzt sie alleine im Haus mit ihrer Krankheit, wegen der sie kaum allein aus dem Bett aufstehen kann. Das Hausmädchen hat Ausgang, die Krankenschwester ebenso – ein Planungsfehler, unklare Absprachen. Und der Ehemann, der eigentlich um 6 Uhr zuhause sein sollte, ist auch nicht auffindbar. Ein Zufall, dass niemand da ist; es ist eigentlich immer einer da, der Leona helfen kann. Selbst das Telefon, das Dich mit der ganzen Welt verbinden kann, oder zumindest mit Freunden, Helfern, Polizisten in der Umgebung, wird heute Abend zur Bedrohung, weil Leona zur falschen Zeit den Hörer in der Hand hält. Im Laufe des Abends wird Leona aus diesem Hörer einige Wahrheiten über sich und ihr Leben erfahren.

Anatole Litvak konstruiert aus einem 30-minütigen Hörspiel einen verschachtelten Thriller mit stetig wechselnder Perspektiv und immer neuen Verdächtigen. Litvak setzt uns zu Leona ans Bett, die gespielt wird von Barbara Stanwyck (Frau ohne Gewissen – 1944), die von Einstellung zu Einstellung nervöser, ängstlicher, hysterischer wird, weil sie per Telefon Stück für Stück zusammengesetzt bekommt, dass ihr so wohl sortiertes Leben auseinander fliegt. Den Geist des Hörspiels hat der Film nicht abgelegt. Wir bekommen die Informationen erzählt, nicht gezeigt. Das, was wir mit Leona am Telefon hören, zeigt der Film in Rückblenden, manchmal auch in Rückblenden innerhalb einer Rückblende. Plakatmotiv (US): Sorry, Wrong Number (1948) Es sind meist harmlose Bilder, also keine Schießereien, keine nächtlichen Verfolgungen mit Schlagschatten oder derlei dem Genre entsprechendem. Und zunächst haben diese Bilder eine unklare Bedeutung, bis sich mit der Zeit eine Kriminalgeschichte zusammensetzt, die aus einer unglücklichen Ehe erwächst, die auf eine Tragödie zusteuert.

Erzählt wird das Drama eines schwachen Mannes aus einfachen Verhältnissen, der von einer Tochter aus reichem Hause entdeckt und geheiratet wird. Er wird Vizepräsident in der Firma ihres Vaters, fühlt sich dort unterfordert und nicht ernst genommen, aber als er sich eine eigene Karriere aufbauen will, bekommt seine Frau ihren ersten Zusammenbruch, dem weitere folgen werden. Sie hat das Geld, ihr Vater die Macht. Ihr Mann Henry sieht sich in seinem Stolz verletzt, seiner Männlichkeit, in der er der Ernährer einer Familie sein sollte, beraubt und gerät an Leute, von denen man lieber die Finger lassen soll.

Eine düstere Geschichte wird da angedeutet, die im Kino jener Zeit überhaupt nicht erzählt werden darf; aber die Zeichen sind da. Leona und Henry haben keine Kinder. Für Henry war es ein Kampf, mit Leona aus dem Haus des Schwiegervaters in Chicago nach New York zu ziehen – Leona wäre lieber im Haus ihres jovialen, überfürsorglichen Vaters geblieben, auch der findet, „mit Dir ist das Leben aus diesem Haus ausgezogen“, das er als leer beschreibt, obwohl im Hintergrund gerade eine Party stattfindet. Zwischen den Bildern flimmert die Geschichte eines Mannes, geheiratet von einer Frau, die in einer inzestuösen Beziehung zu ihrem Vater steckt und als der Ehemann diese Beziehung beenden will, entmannt sie ihn, indem sie zusammenbricht und sich mit Händen, Füßen und Schlaganfällen zur Wehr setzt. Sowas lässt die Filmzensur im Hollywood der 40er Jahre nicht zu, deshalb greift Litvak lediglich zu einer schwülen, dominanten Inszenierung dieser übergriffigen Vaterfigur. Den Rest sollen wir im Kinosessel selbst erkennen.

In den Bildern – und vor allem in den Telefonaten, die wir bei Leona mithören – wird die Geschichte eines Ehepaares geschildert, das in seinem gemeinsamen Leben nie wirklich miteinander gesprochen hat – vor allem hat sie ihm nicht zugehört, nicht verstanden, was ihn eigentlich umtreibt. Die Beziehung der beiden zueinander ist in Ordnung, sein seltsames Verhalten resultiert nicht aus einer Affaire, sondern aus seinem Drang, sich zu beweisen.

Ganz am Ende hat Leona endlich ihren Henry am Telefon, hat verstanden, dass sie hätte zuhören müssen, dass sie im Leben manchmal falsch verbunden waren, aber sie jetzt endlich die Verbindung zu ihm herstellen will, die von ihrem Reichtum und ihrem Vater blockiert war. Aber nun ist es zu spät, die Verbindung bricht ab, Henry ruft erneut an, aber da hebt jemand Fremder ab und raunt „Bedaure, falsch verbunden“ (Sorry, Wrong Number).

<Nachtrag2004>Heute wirkt der Film in seinem Aufbau etwas behäbig, absonderlich, wenn Leona zu Beginn einer wildfremden Telefonvermittlung ihre halbe Familiengeschichte erklärt, nur um zu sagen, dass sie eine Verabredung zum Mord mit angehört hat. Dass Leona so schnell in schierer Verzweiflung heulend auf dem Bett liegt, bald hysterisch, obwohl noch nicht wirklich Schreckliches geschehen ist, würde man heute, im Zeitalter der Method Actor wohl anders spielen. Aber heute ist heute und 1948 ist 1948. Der Film bleibt ein raffiniert gebauter, verschachtelter, spannender Thriller.</Nachtrag2004>

Wertung: 4 von 6 D-Mark
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