Der erfolgreiche, charismatische Herzchirurg Steven und seine Ehefrau Anna, eine angesehene Augenärztin, leben mit ihren Kindern Bob und Kim das scheinbar perfekte Leben: Man versteht einander und kann sich Luxus leisten.
Steven hat eine Freundschaft zum 16-jährigen, vaterlosen Teenager Martin aufgebaut. Nachdem dessen Vater bei einer von ihm durchgeführten Operation starb, hat Steven den Jungen unter seine Fittiche genommen. Der Chirurg und Martin sehen sich regelmäßig und Steven lernt auch seine Mutter kennen. Doch dem Teenager geht es um Rache.
Er will Steven zu einer schrecklichen Tat zwingen, indem er ihn auf teuflische Art erpresst. Steven habe – unter Alkoholeinfluss – Martins Vater auf dem OP-Tisch getötet. Jetzt soll Steven seine Frau oder eines seiner beiden Kinder töten. Tut er das nicht, werden alle drei nacheinander nicht mehr gehen können, ihren Appetit verlieren, also nicht mehr essen und schließlich würden ihre Augen bluten. und dann sterben. Kurz darauf kann Bob nicht mehr aus dem Bett aufstehen. Seine Beine sind gelähmt …
Entweder, Du tötest eine. Oder alle drei sterben. Aber wen töten? Der Film wandelt auf den Spuren der Sage um Iphigenia, die Tochter des Agamemnon. Agamemnon hatte im heiligen Hain der Artemis einen Hirsch getötet. Die Göttin der Jagd war not amused und zwang Agamemnon, seine Tochter Iphigenia zu opfern, in dem sie dessen Griechenflotte zu Beginn des Trojanischen Krieges in eine Windstille schickte und die Weiterfahrt der Flotte so lange unterband, bis Agamemnon Iphigenia zur Sühne getötet hatte. Auf den Hirsch in dieser Sage bezieht sich auch der kryptisch anmutende Filmtitel.
Yorgos Lanthimos, der Regisseur, geht mit strengem Formwillen an seine Geschichte heran. Eine ruhige Kamera zeigt lange, helle Gänge, Konferenzräume vor hellen Fenstern hinter Glas, elegante Fluchten, gerade Linien, austarierte Perspektiven. Es ist alles etwas drüber, selbst die Bildinhalte, meist mit Weitwinkelobjektiv gefilmt, das die eleganten Räume der großen Klinik noch größer erscheinen lässt und die Menschen darin etwas kleiner. Ähnlich verhält sich die Formsache im Haus der Ärztefamilie, aber in warmen Ockertönen. Alles sehr aufgeräumt, sauber geputzt. Genauso wie die Menschen, die hier leben und einen freundlichen Umgang miteinander pflegen.
Der Formwille macht bei Yorgos Lanthimos auch vor den Personen nicht Halt. Sie verhalten sich so emotional wie Baumstämme. Will Anna ihren Mann sexuell stimulieren, legt sie sich in Unterwäsche aufs Bett und spielt „Vollnarkose“. Sie sprechen Dialoge, die kein Mensch so spricht – weder so formulieren, noch so intonieren würde. Lanthimos braucht diese Figuren nicht als lebendige Charaktere, die sich einem Drama stellen. Er braucht sie in ihrer Funktion – der schuldige Vater, die gluckige Mutter, die Tochter mit der erblühenden Libido und der unschuldige Sohn. Ihnen gegenüber steht Martin, dramaturgisch gesehen der Böse. Es wird nicht erklärt, wie und was da genau vorgeht, dass die beiden Kinder plötzlich nicht mehr gehen können und nicht mehr essen wollen und warum Kim plötzlich aber doch mal wieder gehen kann, als sie mit Martin telefoniert, der sie am Fenster sehen will. Martin kann wahrscheinlich irgendwie per Gedankenkraft was auslösen. Das Zauberwort hier heißt: irgendwie. Lanthimos interessiert sich nicht für Fantasy- oder Mystery-Elemente. Martin erfüllt die Funktion des Auslösers, also kann er das halt. Mit der Zeit verliert die Perfektion, die jedem Bild innewohnte, an Präzision, die Bilder werden unordentlicher, die freundlichen Bande zwischen den handelnden Figuren lösen sich nach und nach auf. Unter der glänzende, buchstäblichen Oberfläche tut sich unerklärlicher mythischer Raum auf, der das wohlsortierte, durchorganisierte Luxusleben der Oberen Mittelschicht zu verschlingen droht. Es geht nicht um den psychischen Zerfall einer Familie, die vor diese Wahl gestellt wird. Lanthimos geht um darum, den Zerfall ins Bild zu kriegen, ihn visuell zu interpretieren.
Im Kern handelt es sich bei "The Killing of a Sacred Deer" um einen Horrorfilm. Das Böse dringt ein in eine leuchtende Familie um sie zu zerstören. In seiner Formfixierung erinnert er an Stanley Kubricks Horrorfilm Shining (1980), der auch mehr Form als Horror hatte. Wir erleben eine artifizielle Welt mit artifiziellen Menschen, die über ihre Funktion hinaus keinen Zugang bieten. Wir schauen zu, wie diese kleinen Menschen durch diese viel zu großen Bilder gehen, aber wir sehen dahinter nichts als unsere Imagination. Für die Frage Wie würdest du entscheiden bietet der Film zwar eine Lösung an, aber er hätte auch jede andere mögliche Antwort anbieten können; austauschbare Antworten aber sind keine Antworten und also egal.
Für den Zuschauer im Kinosessel bleibt es bei elegant komponierten Bildern und dieser einen Frage.