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Plakatmotiv: Ein Amerikaner in Paris (1951)

Visuell berauschendes Tanzfest
mit unemanzipierten Charakteren

Titel Ein Amerikaner in Paris
(An American in Paris)
Drehbuch Alan Jay Lerner
Regie Vincente Minnelli, USA 1951
Darsteller

Gene Kelly, Leslie Caron, Oscar Levant, Georges Guétary, Nina Foch, Robert Ames, Joan Anderson, Marie Antoinette Andrews, Larry Arnold, Martha Bamattre, Felice Basso, Charles Bastin, Joan Bayley, Janine Bergez, Rodney Bieber, Madge Blake, Ralph Blum, Nan Boardman u.a.

Genre Drama, Musical
Filmlänge 114 Minuten
Deutschlandstart
24. Dezember 1952
Inhalt

Der amerikanische Soldat Jerry Mulligan erliegt den Verlockungen der französischen Hauptstadt Paris und beschließt, dort zu bleiben, obwohl der Zweite Weltkrieg beendet ist. Seine Liebe zu der Parfümverkäuferin Lise Bouvier steht jedoch unter keinem guten Stern, da die hübsche Frau demnächst Jerry guten Freund, den Sänger Henri Baurel, heiraten wird.

Glücklicherweise muss Jerry nicht darben, da er auf die wohlhabende Milo Roberts zählen kann, die ein Auge auf ihn geworfen hat. Aber das Leben in der Bequemlichkeit einer zwar finanziell sicheren, der wahren Liebe jedoch entgegenstehenden Existenz erfüllt Jerry nicht. Er sehnt sich weiter danach, die angebetete Lise in seine Arme schließen zu können …

Was zu sagen wäre

Der Zweite Weltkrieg ist seit sechs Jahren vorüber. In allen beteiligten Ländern lecken sich die Menschen immer noch ihre Wunden, die Folgen sind lange nicht ausgestanden. Amerika leidet unter den Folgen nicht durch zerstörte Städte wie das die Deutschen und die von ihnen überfallenen Nachbarn tun. Plakatmotiv: Ein Amerikaner in Paris (1951) Die Amerikaner haben Väter, Ehemänner, Söhne, Brüder und andere Verwandte an diesen Krieg verloren. Und viele von ihnen fragen sich, warum.

Für Antworten auf diese Fragen hat die Filmindustrie genau die richtigen Rezepte. Mit "Ein Amerikaner in Paris" bringt es einen freundlichen US-Soldaten in die US-Kinos, der in Europa geblieben ist, weil er als Künstler der Auffassung ist, dass man nur in Paris leben könne, denn nur Paris biete einem jene Entfaltung und jene Kreativität, die ein Künstler eben brauche. Und natürlich waren die US-Truppen entscheidend daran beteiligt, dass dieses schöne Paris in jenem Krieg eben nicht von deutschen Soldaten zerstört worden ist. Zwei Stunden lang zeigen Vincente Minnelli und Gene Kelly dann ein strahlend buntes Paris, bevölkert von einfachen, aber fröhlichen Menschen, die Cafés betreiben, an Obst- und Gemüseständen ihren Lebensunterhalt verdienen, am Montmartre selbst gemalte Bilder verkaufen, oder Taxi fahren. In diesen Taxis sitzen dann eher Amerikaner, sofern die sich nicht gleich vom eigenen Chauffeur durch die pittoresken Gassen chauffieren lassen. Wer kein eigenes Geld hat, weil niemand seine Kunstwerke kauft, der schnorrt sich augenzwinkernd durch den Alltag, lebt von Café au lait und geschenkten Teigwaren aus der Glasvitrine. Ex-Soldat Jerry Mulligan, der jetzt Bilder malt, die keiner kauft, und sein Kumpel Adam Cook, der in der Nachbarwohnung unendlich an seiner ersten großen Oper herumkomponiert, sind solche zwei Charaktere. Sie haben kein Geld, sie verdienen kein Geld, sind aber Amerikaner und bei allen in der Nachbarschaft total beliebt. Sie kommen gut durch in diesem von GIs befreiten Paris. Diese klare Message versteht auch der Alltagsflüchtling im US-Kinosaal im mittleren Westen: Hat sich doch gelohnt, unsere Jungs dahin zu schicken.

Weil das ganze hier ein Musical ist – Vincente Minnelli hat sich George Gershwins Kompositionen, die der unter dem Titel "Ein Amerikaner in Paris" veröffentlichte, vorgenommen – können Jerry und Adam aber fröhlich singen, Klavier spielen und tanzen, wodurch sie ihre Lockerheit dem harten Leben gegenüber beweisen, die sie wiederum in dem malerischen Pariser Stadtviertel so beliebt macht. Natürlich haben sie ihren Stolz. Wenn dem brotlosen Künstler Charlie eine mit frischem Unterrichtswissen gefüllte US-Studentin dumm kommt, die sich im Sommerurlaub in Paris seine Bilder anschaut und falsche Perspektiven kritisiert, scheucht er sie weg. Wenn eine reiche Mäzenin, die natürlich aus den USA zu Besuch ist, ihm zwei Bilder abkauft und dann den Abend mit ihm – ganz stilvoll – verbringen will, wehrt er die Dame brüsk ab. In dieser für Männer ungewohnten Rolle ist Jerry ganz ein Mann seiner Zeit.

Als ehemaliger Soldat ist er Heimkehrer in eine Gesellschaft, in der sich Frauen nun viele Jahre ohne Männer durchgesetzt haben. Und die Mäzenin, Milo heißt sie, ist einziges Kind eines Sonnenblumenöl-Unternehmers. Sie ist reich, in der Pariser Gesellschaft verdrahtet, offenbar erfolgreich in dem, was sie auch immer genau tut. Aber ohne Mann. Hier spiegelt sich das Dilemma jener Nachkriegsfrauen. Die einen Männer sind im Krieg geblieben, die anderen haben Probleme mit einer erfolgreichen, vermögenden Frau an ihrer Seite, noch dazu, wenn diese um die 30 Jahre alt ist. Milo ist also alleinstehend, Ende 20 und auf der Suche. Jerry, der ehemalige Soldat, hat sich indes gerade frisch verliebt. In eine junge Tänzerin – Leslie Caron ist zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 19 Jahre alt, Gene Kelly, der den Jerry spielt, 39 Jahre; auch er ist also einer von denen, die keine erwachsene Frau suchen und es dem ganz unkorrekt finden, wenn eine Frau ihn zum Dinner einladen will; da fühlt er sich gleich wie ein Callboy behandelt und will das Date abbrechen. Ihr Geld für die Kunst nimmt er aber gerne. Als sie ihm ein Atelier einrichtet, fühlt er sich noch verpflichtet, alles zurückzuzahlen. Ihre Macht, die Verbindung zu Feuilleton-Redakteuren und Galeriebesitzern, die nimmt er aber gerne in Kauf; solange sie dafür keine Gegenleistung verlangt. Plakatmotiv: Ein Amerikaner in Paris (1951)Frauen benehmen sich wie Männer und wollen doch wie Frauen behandelt werden!“, warnt ihn sein Freund Adam, dem die ganze Geschichte komisch vorkommt – schließlich halten doch Männer Frauen aus und hoffen dafür auf – oder fordern auch – ein bisschen Liebe.

Tatsächlich bleibt Milo ein unbeschriebenes Blatt. Sie singt nicht, tanzt nicht, als sie ihre Schuldigkeit getan hat, verschwindet sie einfach aus dem Film. Ob Jerry seine Ausstellung bekommen hat, ob sie erfolgreich war/ist/sein wird, spielt im Musical keine Rolle. Wichtig ist allein, dass die junge französische Tänzerin am Ende in seine Arme läuft, freigegeben von dem Mann, der sie eigentlich heiraten wollte, der sie, als sie als Waisenkind aus dem Krieg übrig blieb, vor allerlei Unbill schützte und daraus Eigentumsansprüche abgeleitet hatte, die das damals noch viel jüngere Mädchen gar nicht verstand und als vermeintliche Liebe erwiderte. Das ist das Bild der Geschlechter von 1951; ich sehe den Film erst Mitte der 80er Jahre, da ist die westliche Welt in Sachen Emanzipation ein wenig weiter.

Aber natürlich geht es vor allem um die Choreographien, die Gene Kelly entworfen hat ("Summer Stock" – 1950; "Das ist New York" – 1949; "Die drei Musketiere" – 1948). Das geht los mit lockerem Stepptanz in einem Bistro, in das sich schnell Adams Klavier und Kellys Gesang einfinden, zu dem sich noch der dritte Freund im Bunde, der Sänger Henri Baurel, gesellt. Später werden die Steppeinlagen weitläufiger, es gibt einen romantischen Tanz am Ufer der nächtlichen Seine, in dem Gene Kelly und die 19 Jahre jüngere Leslie Caron zeigen, wie bezaubernd sie harmonieren. Und alles Tanzen kulminiert schließlich in einem Finale furioso. Zu der Melodie von Gershwins "Ein Amerikaner in Paris" folgen revueartige Szenen mit dem tanzenden Jerry, die am großen Brunnen auf der Place de la Concorde nur beginnen. Im Laufe der Musik wechseln die Schauplätze, man sieht gemalte Gassen, Hintergründe von Rousseau, Figuren von Toulouse-Lautrec. Und immer taucht Lise auf, die junge Französin, in die sich Jerry verliebt hat. Dieses Varieté auf der Leinwand ist bunt, fröhlich, fantasievoll und reißt einen einfach vom Kinosessel.

Da sind dann seltsame Verhaltensweisen seltsamer Nachkriegsmänner bald vergessen. 1951 muss genau so ein Film die Medizin gewesen sein, um mal zwei Stunden den Alltag vor der Tür zu lassen.

Wertung: 4 von 6 D-Mark
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