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Plakatmotiv: Snowden (2016)

Oliver Stone verheddert sich
zwischen Haltung und Kunst

Titel Snowden
(Snowden)
Drehbuch Kieran Fitzgerald & Oliver Stone
nach Büchern von Anatoly Kucherena und Luke Harding
Regie Oliver Stone, Frankreich, Deutschland, USA 2016
Darsteller

Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Rhys Ifans, Zachary Quinto, Melissa Leo, Tom Wilkinson, Jaymes Butler, Robert Firth, Rachel Handshaw, Christian Contreras, Parker Sawyers, Ken Thomas, Nicolas Cage, Michael Benz, Joely Richardson u.a.

Genre Biografie
Filmlänge 134 Minuten
Deutschlandstart
22. September 2016
Website snowdenfilm.com
Inhalt

Edward Snowden arbeitet als Computer-Profi für die CIA, die NSA und verschiedene Unterorganisationen der US-Geheimdienste. Der hochintelligente Mann ohne Schulabschluss findet es „cool“, in der höchsten Sicherheitsfreigabe zu arbeiten. Er arbeitete im paradiesischen O’ahu, wohnte dort mit Freundin Lindsay Mills – und flieht wenig später nach Hongkong – ihm sind die Geheimnisse über den Kopf gewachsen. Er will nicht mehr dazu schweigen, dass die NSA in Kooperation mit anderen Geheimdiensten das Internet zu einer Sphäre weltweiter Massenüberwachung pervertierte, unter Duldung der Politik.

Snowden trifft sich mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras sowie dem Journalisten Glenn Greenwald und dem britischen Korrespondenten Ewen MacAskill. Er hat sich vorgenommen, mit der Veröffentlichung von streng geheimen Dokumenten die Details eines ausgeklügelten, abgeschirmten Überwachungssystems offenzulegen, das intimste Daten von Bürgern absaugt, obwohl die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen.

Snowden kann seinen Vorwurf auf hunderttausende Geheimdokumente stützen, die er von seinem Ex-Arbeitgeber kopiert hat …

Was zu sagen wäre

Der Whistleblower Edward Snowden ist eine der großen Heldenfiguren unserer Zeit – ob Held oder Schurke, muss dabei jeder für sich selbst definieren, aber der damals 29-Jährige hat den Charakter für eine griechische Tragödie, das shakespear’sche Drama. Es sollte niemanden wundern, dass jemand diesen Stoff in einen Kinofilm verwandeln wollte. Dass es nun ausgerechnet Oliver Stone getan hat, mit Unterstützung europäischer Film- und Fernsehfonds, weil sich – wie er sagt – für diesen „heiklen Stoff“ in den USA keine Geldgeber gefunden hätten, ist die Tragödie hinter der Tragödie.

Oliver Stone: Biograf der USA

Der Film fügt sich zunächst nahtlos in Stones Oevre, sein "Snowden" ist die zeitgenössische Version von Ron Kovic, der seinen glühenden Patriotismus mit seinen Beinen bezahlte und zum patriotischen Streiter wider den Vietnamkrieg wurde. Oder Nixon, dieser dämonische Patriot, der – hoppla – über seinen Überwachungswahn stolperte und zurücktreten musste. Oder Jim Garrison, für den Stone noch 1994 endlich beweisen wollte, dass John F. Kennedy einer Verschwörung zum Opfer gefallen ist; Garrison, der am Ende des Films ein flammendes Plädoyer für Informationsfreiheit und unveräußerliche Menschenrechte hält.

Auch Edward Snowden hält am Ende ein flammendes Plädoyer für informationelle Selbstbestimmung, Freiheit und Menschenrechte, und da ist es plötzlich der echte Edward Snowden, nicht mehr Joseph Gordon-Levitt in dessen Rolle; da verlässt Oliver Stone dann auch für alle sichtbar den Stuhl des Regisseurs eines Spielfilms und zieht die Robe des Anklägers wider den militärisch-industriellen US-Komplex über. Es schließt sich der Kreis zum Anfang des Films, der eine „dramatisierte Version der Ereignisse zwischen 2004 und 2013“ ankündigt.

Darin liegt das Dilemma dieses Films, der viel will und dadurch wenig erreicht.

Der Regisseur verliert seine Aufgabe aus den Augen

In JFK und Born on the 4th of July tauchten die portraitierten Originale noch in kleinen Gastrollen auf, da blieb Stone jeweils alleiniger Herr über das dramatisiert Erzählte, überraschte mit faszinierenden Bildern und Montagen. In "Snowden" versteckt er sich hinter seinem Titelhelden, den er auf einen hohen Sockel stellt, um unter dessen Schutz seinen Furor gegen die da in Washington fortzuführen. Dagegen wäre wenig einzuwenden, wenn dieser Furor sich dann wenigstens in erzählerischer Bildgewalt Bahn brechen würde, mit der uns Stone schon häufiger hypnotisiert hat. Aber „Snowden“ ist nur ein Schatten früherer Bildexzesse dieses einzigartigen Regisseurs.

Der Film liefert brave Handwerkskunst, die seinem Titelhelden huldigt, ohne ihm über seinen „heldenhaften Verrat“ hinaus Statur zu gönnen. Wer dieser Mann ist, hat er womöglich Kanten, bleibt im Nebel, der im Film als Grillqualm, Kerzenrauch, Feuerschein daherkommt, der immer wieder die Gesichter seine Pro- und Antagonisten verschwimmen lässt.

Der blasse Snowden beibt ein blasser Charakter

Ja, natürlich erleben wir Privates, sind dabei, wie er seine Freundin Lindsay kennenlernt, der Shailene Woodley liebenswerte Züge gibt, die uns daran erinnern, wie schade es ist, dass die junge Schauspielerin (Die Bestimmung – Insurgent – 2015; Das Schicksal ist ein mieser Verräter – 2014; Wie ein weißer Vogel im Schneesturm – 2014; The Spectacular Now: Perfekt ist jetzt – 2013; The Descendants – 2011) mehr Zeit für Covershootings aufbringt als für Dreharbeiten. Wir erleben frotzelnde Debatten zweier Liebender – er rechtsliberal, sie linksliberal, beide "Patrioten" – die aus diesen Debatten erotische Energie ziehen. Aber das war‘s auch.

Wir lernen Edward Snowden bei diversen Einstellungsgesprächen kennen. Da erfahren wir, dass er es „cool“ fände, die höchste Sicherheitsstufe zu erhalten; wir erfahren, dass er außergewöhnlich intelligent ist, keinen Schulabschluss hat, aber mehrere Sprachen – inklusive zweier Gebärdensprachen – beherrscht. Dazu trägt er diese Brille, die ihn endgültig als den Vater aller Nerds ausweist. Was diesen blassen Charakter über die politischen Gegensätze hinaus aber für Lindsay liebenswert gemacht haben könnte, bleibt ebenso im Dunkel, wie alles, was auch die bisherigen Dokumentationen, Portraits und Nachrichten über Edward Snowden uns nicht sagen konnten.

Schwarz-Weiß-Ode ohne Grautöne

Die Liebesgeschichte zwischen Lindsay und Edward füllt Stone zunächst mit schattig ausgeleuchteten Bettszenen und dann mit Das-darf-ich-Dir-nicht-sagen-das-ist-geheim-Auseinandersetzungen und der jedesmal tränenseligen Unterordnung Lindsays – das mag den realen Figuren abgeschaut sein, durchdringt deren Motive aber nicht, bleibt an der Oberfläche. Die Liebenswertigkeit Edward Snowdens setzt Stone ebenso als gegeben voraus, wie die Richtigkeit seines Tuns; dabei staut sich im Kinosessel über die 135 Minuten Spielfilmlänge durchaus die Frage auf, was diesen unpersönlichen Nerd eigentlich zur CIA, zur NSA und die anderen Agenturen getrieben hat – ist es wirklich allein die Lust auf die höchste Sicherheitsstufe?

Mit seinem Film hält es Stone wie mit diesem Liebespaar – das die einzige private Komponente in diesem Film ist, deshalb giert der Zuschauer auf der Hoffnung nach Neuem über Snowden so nach ihm. Beim Spaziergang über die Mall in Washington wirft der CIA-Mann Snowden seiner liberalen Freundin vor, nur eine Wahrheit, eine Sichtweise zu akzeptieren und alle anderen folgerichtig als von vorneherein falsch, als zersetzend zu interpretieren. Oliver Stone macht es ihr gleich, lässt mögliche Grautöne weg und malt Schwarz-Weiß für einen Helden, der in der letzten Einstellung dann buchstäblich ins strahlende Sonnenlicht tritt. Darin liegt die Tragödie dieses Films: viel Haltung, wenig Kunst.

Die moralische Leerstelle

In Stones Film ist Edward Snowden das moralische Zentrum, was er tut, ist richtig, Raum für Dilemmata, für innere Konflikte bleibt nicht, und damit sagt sein Film nichts aus, was Dokumentationen in jüngerer Zeit über Snowden und PRISM, zum Beispiel "CitizenFour" der im Film auftretenden Laura Poitras, nicht auch schon gesagt haben. Stones Film liefert uns – nochmal – Einblicke in ein clandestines System aus Sicherheitsparanoia und karrierebewussten Beamten, die für ein angeblich höheres Gut Stillschweigen über gewisse Abgründe bewahren. Das haben tausend Verschwörungsthriller vor ihm im Kino auch schon getan.

Jetzt ist es halt eine „dramatisierte Version“ realer Ereignisse, das Portrait einer Ikone, also als glaubhaft sanktioniert! Das ist vieler Ehren wert, macht uns nochmal die Perversität der Sicherheitsfanatiker deutlich, die ihren Datenklau in einer Nine-to-Five-Job-artigen Nonchalance als normal erachten.

Es ist allerdings kein guter Spielfilm.

Wertung: 4 von 8 €uro
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