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Plakatmotiv: The Square

Ein Kunstfilm über Kunst, der
bildgenau den Betrieb entlarvt

Titel The Square
(The Square)
Drehbuch Ruben Östlund
Regie Ruben Östlund, Schweden, Deutschland, Frankreich, Dänemark 2017
Darsteller

Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West, Terry Notary, Christopher Læssø, Lise Stephenson Engström, Lilianne Mardon, Marina Schiptjenko, Annica Liljeblad, Elijandro Edouard, Daniel Hallberg, Martin Sööder, John Nordling, Sofie Hamilton, Robert Hjelm u.a.

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 142 Minuten
Deutschlandstart
19. Oktober 2017
Inhalt

Christian Nielsen ist der Chefkurator des X-Royal-Museums in Stockholm und steckt aktuell mitten in den Vorbereitungen für eine Installation mit dem Namen "The Square". Hinter diesem Namen verbirgt sich eine Freifläche, auf der sich jeder humanitär und zuvorkommend verhalten soll und auf der jeder die Hilfe bekommen soll, die er benötigt – ein „Zufluchtsort, an dem Vertrauen und Fürsorge herrschen. Hier haben alle die gleichen Rechte und Pflichten“.

Doch die Vorbereitungen werden durch eine Reihe von Ereignissen erschwert. Zum einen wird Christian Opfer einer Gruppe von Trickdieben, die ihm Smartphone und Brieftasche klauen. Das Telefon können sie über die Suchfunktion orten – „bis auf 10 Meter genau“. Gemeinsam mit seinem Assistenten entwirft er den Plan, in einem anonymen Drohbrief die Rückgabe zu fordern. Sie drucken Dutzende von Kopien des Briefes, und Christian wirft nachts je ein Exemplar in den Briefkasten jeder Wohnung in diesem 10-Meter-Radius. Tatsächlich erhält Christian so ein paar Tage später das Telefon und die völlig unberührte Brieftasche zurück.

Aber während dieser Aktion entgleitet ihm die Vorbereitung auf die Werbekampagne für "The Square". Und als diese schließlich mit einem Youtube-Video lanciert wird, in dem ein blondes Mädchen mit Kuscheltier in diesen humanitär gesicherten Square tritt und kurz darauf in die Luft gesprengt wird, ist die Empörung groß. Christian steht mit dem Rücken zur Wand, und auch die Affäre mit der amerikanischen Kunstjournalistin Anne läuft nicht besonders gut …

Was zu sagen wäre

Kunst ist, was Du draus machst. Insofern steht ein Kunstwerk in keiner klaren Relation zur Realität und eröffnet damit ein weites Feld an Interpretationsmöglichkeiten. Auf die Frage „Was möchte uns der Künstler sagen“ gibt es so viele Antworten wie es Antwortende gibt.

Was das Schwerste an seinem Job als Kurator des großen Museums sei, wird Christian Nielsen zu Beginn in einem Interview gefragt und es ist das einzige Mal, dass er eine schnelle Antwort gibt: „Geld beschaffen!“ Sponsoren von der gesellschaftlichen Relevanz einer Ausstellung zu überzeugen, davon, dass es wichtig sei, dass ein Künstler sein Werk in Stockholm präsentiert – nicht etwa woanders. Bei dem Werk handelt es sich um mehrere kegelförmige Haufen Granulat, die exakt ausgerichtet, einen Raum der Ausstellung füllen – immer wieder zeigt der Film Museumsbesucher, die diesen Raum betreten, auf die Granulathaufen blicken und in dem Glauben, offenbar falsch abgebogen zu sein, wieder gehen. Als einer doch mal ein Foto von den Schutthügelchen machen will, ermahnt ihn eine Museumswärterin, dass fotografieren verboten sei – die geballte Absurdität rat-, sinn- und wortloser Museumskultur in einer wunderbaren Kinominiatur.

Aber Anne, die Journalistin ist noch nicht fertig mit ihrem Interview. Sie habe da etwas nicht verstanden, was auf der Website des Museums als Termin angekündigt werde. Ob Christian ihr, die „nicht so belesen“ sei, das erklären könne: „Ausstellung/Nicht-Ausstellung. Ein abendliches Gespräch, das die Dynamik des Ausstellbaren sowie die Konstruktion von Öffentlichkeit im Geiste von Robert Smithon's Standort/Nicht-Standort erkundet. Vom Nicht-Standpunkt zum Standpunkt, von der Nicht-Ausstellung zur Ausstellung – was ist der Topos von Ausstellung/Nicht-Ausstellung in den überfüllten Momenten einer Groß-Ausstellung.“ Jetzt fehlen dem gefeierten Kurator, dem mächtigen Mann in der Stockholmer Kunstszene, die Worte und schließlich stammelt er, man, äh, habe diskutiert, also ob ein, ähm, Objekt, das man in eine Ausstellung stelle, „Ihre Handtasche zum Beispiel“, automatisch ein Kunstwerk sei. Ruben Östlund inszeniert diese Szene ganz ruhig, verbietet jedes ironische Augenbrauen-Lupfen und setzt damit den perfekten Punch.

Diese Sprachlosigkeit kennen jene Zuschauer im Kino, die mal vorwitzig ein Fremdwort ins Partygespräch haben träufeln lassen und nun um eine Übersetzung dessen gebeten werden – also alle Kinozuschauer kennen diese Sprachlosigkeit und sind – ganz nebenbei – schon unfreiwilliger Komplize des Kulturschwaflers. Nach nur fünf Filmminuten hat Östlund gezeigt, wohin es in den weiteren 135 Minuten geht: Die Kunst hier drinnen und die Welt da draußen haben nichts miteinander zu tun, ja stehen sich sprachlos gegenüber. Und wenn sie sich doch mal berühren, herrscht Chaos.

Dieser Christian ist das wandelnde Kunstschaffenden-Klischee, kantig geschnittene, schmale Anzüge, sympathisch verstruwwelte Haare, rote Designerbrille und ein gepflegter Ich-bin-so-beschäftigt-Dreitagebart umrahmen ein sanftes, freundliches Gesicht. Er ist ein König seiner Welt. Wenn er spricht, hören alle zu und nicken eifrig, und wenn sie es nicht verstehen, entschuldigen sie sich, dass sie nicht so belesen sind, wie er, der Kurator der städtischen Sammlungen. Seine Welt ist umbaut von zeitgenössischer Architektur, helle, große Räume, Glasfronten symbolisieren Offenheit, breite Freitreppen versprechen den Austausch nach allen Seiten. Die Welt jenseits der Glasfronten ist in diesem Film bevölkert von uniformierten Fast-Food-Kassiererinnen, Obdachlosen und anonymen Figuren, die im Hochhausghetto am Stadtrand wohnen und unbedarfte Tesla-Fahrer nervös machen.

Auf dem Weg in seine artifizielle Welt muss Christian durch die unbekannte, die reale, in der er prompt Trickbetrügern zum Opfer fällt und sich in der Folge tief in diese fremde Welt hinablassen muss; irgendwann sehen wir ihn mit Smoking im Regen in einem Haufen Mülltüten wühlend – aus der Welt des schönen Scheins in die Welt des real stinkenden Mülls. Hier hält der Film selbst viel Artifizielles bereit, folgt seiner Geschichte um den Kurator selbstverliebte zweieinhalb Stunden, die mit schön fotografierter Redundanz gebläht sind. Zu einfach aber wäre es, den Kurator als Witzfigur abzutun, dem nur recht geschieht in seiner abgehobenen Arroganz. Sympathisch ist der Typ ja eigentlich nicht, dem bei einer Party lauter erhoffte Bettgenossinnen abhanden kommen, bis er im Bett der Reporterin Anne landet, sich mit ihr aus Angst vor Samenraub einen bizarren Kampf um das abschließende Ejakulat im Condom liefert und auf ihren Vorwurf, er habe nur seine Machtposition ausgenutzt, um mit ihr ins Bett zu steigen, antwortet, es sei wohl eher so, dass sie auf mächtige Männer stehe und ihn ausgenutzt habe. Sympathisch ist anders.

Aber dann sind da all diese Situationen, in denen der Kunst-Kurator von Bettlern belästigt wird. Da reagiert Christian, wie die meisten, die im Kinosessel sitzen – bemüht freundlich, zugewandt, ausweichend – „Tut mir leid, ich habe kein Kleingeld.“ – und da erkennen wir uns dann selbst wieder beim Bummel durch die Stadt, wenn wir zufällig immer dahin gucken, wo die Bettler nicht am Boden sitzen. Wir können uns von diesem Lackaffen leider nicht so leicht distanzieren.

Und dann ist da noch das Chaos. Nachdem Christian in einer weitflächigen Postwurfaktion zahlreiche Bewohner gleichermaßen beschuldigt hat, ihm Handy und Brieftasche geklaut zu haben, bekommt er beides kurz danach unbeschadet zurück. Außerdem erscheint noch ein kleiner Junge, der sich durch Christians Postwurfsendung in seiner persönlichen Ehre gekränkt sieht und ultimativ eine Entschuldigung verlangt, andernfalls sorge er „für Chaos“; er taucht auf, ist wieder weg, taucht wieder auf, wird von Christian die Treppe runtergeschubst, ist noch eine Weile zu hören – „Hilfe! Helft mir!“ – und verschwindet dann ohne weiteren Kommentar aus dem Film – „Der ist weggezogen“, sagt ein Nachbar später.

In der Figur des Jungen ist Östlunds Film vieldeutig wie die Graupel-Haufen in der Kunstausstellung oder das titelgebende Quadrat – „Hier haben alle die gleichen Rechte und Pflichten.“ –, die die Menschen in Stockholm zum Nach-Denken anregen sollen. Was will mir der Regisseur mit seinen Redundanzen in der artifiziell entmenschlichten Welt also sagen?

Die geklauten Wertsachen, der gekränkte Junge sind offenbar nicht real, sind eine Metapher für Schicksal – die ultimative Höhere Macht jeder Kunst. So, wie die Kunst den Besucher aus der realen Welt mit Abstraktion verunsichert, verunsichert auch die reale Welt den Mann aus dem Kunstbetrieb mit Abstraktionen. Mit dem zwischenzeitlichen Verlust seiner wichtigsten Handwerksgeräte – Telefon für die Kommunikation, Brieftasche als Identitätsnachweis – beginnt Christian, unser Stellvertreter im Film, sofort, sich irrational zu verhalten, häuft Fehler auf Fehler, verheddert sich in der realen Welt, die ihm tatsächlich gar nichts tut und die sich ihm auch immer wieder als Rechteck – als Square – präsentiert; Östlund zeigt uns den herumirrenden Kurator in rechteckigen Treppenhäusern, Innenhöfen, also als Mensch mit plötzlich „gleichen Rechten und Pflichten“ – wo er sich doch stets jener Welt zugehörig fühlte, deren Rechte ein wenig gleicher sind.

Weil er, derart abgelenkt, nicht mitbekommt, wie die Social-Media-Experten des Museums in Christians abstraktem Kunstgedanken, den sie „zu positiv und fad“ finden, nochmal eine Meta-Ebene in "The Square" einziehen, die in der Explosion eines kleinen blonden Mädchen in einem Youtube-Clip inklusive programmierter Empörung der Öffentlichkeit gipfelt, muss der Kurator seinen Hut nehmen, obwohl er das erreicht hat, was er zu Beginn ausgeführt hat. Er hat seinem Museum die großflächige Aufmerksamkeit aller Boulevardmedien Stockholms – und damit den Nachweis gesellschaftlicher Relevanz – verschafft. Aber für Relevanz, also für Geldgeber und Sponsoren, kämpft die Kunst nur hinter verschlossenen Türen.

Nach draußen kommuniziert der Kunstbetrieb seine Kunst immer als Kampf des freien Geistes und es bleibt einem im Kinosessel die Verunsicherung, wenn sich der ehemals gefeierte Kurator mit umfassenden Entschuldigungen aus seinem Amt zurückzieht und ein Reporter ihm daraufhin vorwirft, jetzt beschneide er die Kunst, enge die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks ein, wenn er das inkriminierte Video, anstatt es als Statement stehen zu lassen, zurück zieht. Hat der Mann etwa recht? Was darf Kunst? Provozieren? Ist die Rücknahme einer Provokation Zensur?

Kunst ist, was Du draus machst. Mit dem wahren Leben da draußen hat sie in Zeiten der multimedialen Vieldeutigkeit, der omnipräsenten Deutungshoheit jedes Einzelnen, nichts (mehr) zu tun. Sagt Östlund. Es ist, während man den Film schaut, nicht so schlimm, dass er manchmal auf der Stelle tritt – immerhin füllt auch diese Stellen Kameramann Fredrik Wenzel mit seinen eleganten Bildern. Der Film verstört. Inhaltlich. Visuell. Wiegt uns im Glauben, auf der richtigen, der geerdeten Seite zu stehen, wenn wir den Kurator gleich als Witzfigur identifizieren; und zieht uns dann in einen Strudel, in den wir gar nicht wollten. Wir wollten doch nur eine Satire auf den Kunstbetrieb gucken.

Kunst soll verstören, aufrütteln. Ein Film, der den Kunstbetrieb satirisch aufspießt, sich aber gleichzeitig in dessen Manierismen suhlt und dessen wertschöpfende Viedeutigkeit als Erzählprinzip übernimmt, kann nicht ganz schlecht sein.

Wertung: 7 von 8 €uro
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