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Plakatmotiv: die 120 Tage von Sodom (1975)

Ein Film aus der Hölle des
schlechten Geschmacks

Titel Die 120 Tage von Sodom
(Salò o le 120 giornate di Sodoma)
Drehbuch Pier Paolo Pasolini & Sergio Citti
Regie Pier Paolo Pasolini, Italien, Frankreich 1975
Darsteller

Paolo Bonacelli, Giorgio Cataldi, Umberto Paolo Quintavalle, Aldo Valletti, Caterina Boratto, Elsa De Giorgi, Hélène Surgère, Sonia Saviange, Sergio Fascetti, Bruno Musso, Antonio Orlando, Claudio Cicchetti, Franco Merli, Umberto Chessari, Lamberto Book u.a.

Genre Drama, Horror
Filmlänge 117 Minuten
Deutschlandstart
30. Januar 1976
Inhalt

In der Republik von "Salo", dem letzten Refugium italienischer Faschisten kurz vor dem Ende der Mussolini-Herrschaft, inszeniert eine Gruppe sadistischer Großbürger grausame Rituale nach der Devise „Alles was maßlos ist, ist gut”. Die Vertreter des sich im Untergang befindlichen Regimes unterziehen ihre Opfer einer nicht enden wollenden Tortur sexuellen Mißbrauchs, Demütigung und Folter

Als das Martyrium für die Gepeinigten begonnen hat, fügen diese sich schnell in ihr Schicksal. Sie werden gefangen in sogenannten Höllenkreisen, in denen sexuelle Praktiken vollzogen und Grausamkeiten begangen werden. Unterstützung bekommen die "Libertins" dabei von vier Frauengestalten, die später die Aufgabe haben, anregende Geschichten in großer Runde zu erzählen.

Mit diesem täglichen Ritual beginnt der "Höllenkreis der Manien" …

Was zu sagen wäre

Pasolinis Abrechnung mit dem Faschismus!“, heißt es in den Pressunterlagen zum Film. Echt jetzt? Anders ausgedrückt: Vier Männer, die sich ihrer absoluten Macht sicher sind, feiern ihre Dominanz über junge Frauen und Männer, gerieren sich als die Könige ihrer kleinen Welt und dürfen sich des Begehrens aller Unterworfenen sicher sein – wer aufbegehrt, wird bestialisch bestraft. Das wirkt wie der feuchtfröhliche Traum eines Chauvinisten nach sieben Glas Schnaps, eher nicht wie eine Abrechnung mit dem Faschismus.
Pier Paolo Pasolini, wegen seiner Homosexualität im heimischen Friaul im hohen Nordwesten Italiens aus dem Schuldienst verbannt und aus der Kommunistischen Partei Italiens geworfen, hat sich in seinen Filmen mit Missständen der italienischen Gesellschaft, mit subtil faschistoiden Strukturen und destruktiven Mechanismen in autoritären Systemen auseinandergesetzt. Das tut er in den "120 Tagen …" auch – und auch nicht. Er zeigt die Mechanismen der Macht, die Folgen hemmungsloser Machtausübung, unter der es keine Privat-, keine Intimsphäre mehr gibt und Sexualität unter staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle steht. Pasolini zeigt das, aber er setzt sich nicht damit auseinander. Er zeigt den Höhepunkt der Gesellschaft, der gleichzeitig ihr Ende einläutet. Er zeigt eine enthemmte, degenerierte, aller zivilisatorischer Grenzen enthobene Gesellschaft. Männer, die mit dem Schwanz denken und dabei in hohlen akademischen Floskeln eines Bildungsbürgertums schwätzen. Der Film ist geschmacklos und pervers. Und würde Pasolini meine Zeilen 1977 noch lesen können, würde er sie als Auszeichnung verstehen (aber er kann sie nicht lesen, weil er wenige Monate nach den Dreharbeiten ermordet wurde). Der Film ist visuell ein Offenbarungseid, die Schauspieler austauschbar. Und das Drehbuch? Was kann uns eine Altherrenriege mit Herrschaftsphantasien, die weibliche und männliche Teenager vergewaltigen, die ein Festessen aus menschlichen Exkrementen feiern und darüber philosophieren, ob „menschliche Scheiße von zum Tode Verurteilten“ besser schmeckt, als die von anderen, sagen? Dass der Trieb stärker ist als der Geist? Ach herrje. Dass es Perverse gibt, die ihre Lüste in den schweißtriefenden Kammern ihrer entsprechenden Etablissements befriedigen? Bringt mich als Teenager nicht weiter. Dass Sex die Dominanz des Mannes unterstreicht? Sagt uns Alice Schwarzer seit Jahren.

Hast Du noch immer nicht verstanden, dass wir Dich tausendfach töten wollen? Bis an die Grenzen der Ewigkeit? Sofern die Ewigkeit Grenzen hat.“ Welcher Mensch will so etwas? Und wenn ein Mensch so etwas will, warum muss ich das wissen? Was soll das über mich, über Dich, über die Gesellschaft aussagen? Der Film ist nicht zielführend! Er führt nicht die Mechanismen vor, die zur Machtergreifung solcher Potentaten führen, sondern er zeigt (oder: warnt), was nach der Machtergreifung durch gebildete, respektable, eigentlich doch auch sympathisch erscheinende Figuren passiert, was das für Typen sind. Letzteres hilft nicht, weil: Das ist genau das belehrende Kunstverständnis, das uns auch in die Nazi-Diktatur gestürzt hat. Die hielt gewisse Kunst für entartet und wir sollen nun die Mächtigen als entartet betrachten, sofern es Männer sind.

Die grässlichen Bilder, sowohl bildtechnisch als auch inhaltlich, muss man aushalten können. In den meisten Ländern landete der Film auf dem Index, was die Diskussion entfachte, Was darf die Kunst? Dabei wäre die interessantere Frage bei solchen Filmen, was Kunst eigentlich bewirken soll, wenn sie gesellschaftlich diskutiert werden möchte. Dieselbe Frage kann man natürlich auch schon im Zusammenhang mit der Textvorlage des Marquis de Sade stellen: Was will der mit seinem noch grausigeren Text eigentlich ausdrücken, was will er zeigen, anprangern? Ob Film oder Textvorlage, die Frage bleibt: Was will Kunst und ab wann dreht sie sich nur noch um sich selbst? Eine Gesellschaft, die im Rahmen eines Festbanketts ihre in silbernen Schüsseln herumgehenden, dampfenden Exkremente verspeist, ist für den ein oder anderen sicher Kunst – vielleicht im Ausdruck eines Menschen, der zu sich selbst findet? Wenn die meisten Mitglieder dieser Festbankett-Gesellschaft dies nur unter Zwang tun, ist das dann die Auseinandersetzung mit dem Menschen, der sich sich selbst verweigert? In meinem Kunstverständnis ist das hohles Denken im L'Art pour l'Art-Elfenbeinturm. Sind explizite Vergewaltigungsszenen, Folterszenen, Verstümmelungsszenen ein Diskussionsbeitrag für Gesellschaftstheorien? Ja, vielleicht prangert Pasolini hier die Folterkeller-Gewohnheiten aus Mussolinis italienischem Faschismus an, die vollständige Entmenschlichung durch eine totalitäre Unterdrückung bis in den intimsten Lebensbereich hinein: So gehen die Herrschenden mit ihrem Volk um.

Was Pasolini subtil aufspießt, ist die Erwartungshaltung seines Publikums. Wer im Januar 1976, als der Film in Deutschland startete, nicht wusste, auf was er sich einließ, mochte den Film zunächst für einen Erotikfilm in der Art des Sado-Maso-Softpornos "Die Geschichte der O" gehalten haben, der Ende November 1975 angelaufen war. Statt Softporno erhielten die Zuschauer einen Film, unterteilt in vier Kapitel: In "Vorhölle" verschleppen vier Herren Jugendliche aus den umliegenden Dörfern in ihr Schloss. Im "Höllenkreis der Leidenschaften" werden sie missbraucht und vergewaltigt. Es folgen die Höllenkreise der "Scheiße" und des "Blutes". Da geraten auf die Leinwand die heimlichen Fantasien der Ich gehe in einen Softporno-Zuschauer komplett außer moralischer Kontrolle. Damit dürfen sie sich dann auf dem Nach-Hause-Weg auseinandersetzen; wer ein bisschen Sex mit Lederpeitsche und Ketten gucken will, bekommt die Hölle serviert.

Wertung: 1 von 10 D-Mark
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