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Plakatmotiv: Auerhaus (2019)

Die Pubertät ist ein langer Sommer,
der in einen kalten Winter übergeht

Titel Auerhaus
Drehbuch Lars Hubrich & Neele Leana Vollmar
dem gleichnamigen Roman von Bov Bjerg
Regie Neele Leana Vollmar, Deutschland 2019
Darsteller

Max von der Groeben, Damian Hardung, Luna Wedler, Devrim Lingnau, Ada Philine Stappenbeck, Piet Fuchs, Sabine Holzlöhner, Greta Hubert, Oliver Michael Jaksch, Hans Löw, Milan Peschel, Jürgen Rißmann, Sven Schelker, Anja Schneider, Christian Skibinski, Hendrik Voß u.a.

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 104 Minuten
Deutschlandstart
5. Dezember 2019
Inhalt

Der Bauerssohn Frieder steht kurz vor dem Abitur und versucht sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Er wird gefunden, gerettet und landet in der Psychiatrie. Sein Schulkollege Höppner besucht ihn dort, aber eigentlich weniger, weil ihm Frieder so am Herzen liegt, sondern weil er jemanden braucht, der seine Hausaufgaben macht.

Frieder darf die Psychiatrie verlassen und gründet gemeinsam mit Höppner und zwei weiteren Mitschülerinnen, Höppners Freundin Vera und der Außenseiterin Cäcilia, eine Wohngemeinschaft im Auerhaus. Nach kurzer Zeit stößt Pauline zu der Gruppe, sie ist eine Pyromanin, die wie Frieder vor Kurzem noch in einem Jugendheim war.

Was erst nach einer guten Idee aussah, bringt zahlreiche Probleme mit sich. Frieder ist mit seinen Depressionen wie eine tickende Zeitbombe. Höppners Beziehung zu seiner Freundin gestaltet sich schwieriger als gedacht und sein Plan, sich vor der Musterung zu drücken, funktioniert ebenfalls nicht.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Mauern des Auerhauses die Gruppe nicht mehr beschützen können …

Was zu sagen wäre

Die erste Liebe, die Pubertät, der erste Sex, die nervtötenden Eltern, die Schule, die ungewisse Zukunft, die Chancenlosigkeit … die Jugend als solche ist schon eine krasse Veranstaltung, der, wenn man darüber nachdenkt, man nur entfliehen kann, sei es durch Suizid oder die Flucht nach West-Berlin. Oder in die Unterwerfung unter die elterliche Fuchtel und den Geigenunterricht.

Der Roman "Auerhaus", der diese Geschichte ursprünglich erzählt, gilt als Bestseller. Das heißt, viele Menschen haben das Buch gekauft und gelesen, weil die Geschichte sie berührt hat und bevor ich jetzt in das traurige Lamento des Buch ist besser verfalle, lasse ich das Buch einfach beiseite.

Die schmerzhaft lustvollen Tage der Adoleszenz feiert das amerikanische Kino jährlich in Spring-Break-Partys oder Apple-Pie-Metaphern. Da gibt es einen Anfang, eine Mitte und ein Ende – also ein Loser kommt man Ende zum Schuss, oder ein Schüchterner rettet am Ende die Schule vor Terroristen (doch: hat's gegeben), oder das Mauerblümchen stoppt den Serienkiller für immer. Das ist jeweils schmunzelnd, nägelkauend oder heulend anzuschauen. Aber wenn der Vorhang zu ist, ist man froh, dass die eigene Jugend so nicht gewesen ist. Niemals.

"Auerhaus", der Film, lässt das Zielorientierte, das amerikanisches Kino hat, weg und folgt der Teenager-Seele, die ziellos, ahnungslos, hilflos durch die Monate der Pubertät stolpert. Der Film hat keine absehbare Handlung. Natürlich gibt es den Suizid Frieders, sein Heimaufenthalt, es gibt seinen Kumpel Höppner, der Frieders Wissen für die eigenen Schularbeiten braucht, und der pubertäre Probleme mit seiner Freundin Vera, dem „schönsten Mädchen der Schule“ bekommt. Es gibt Cäcilia, die als Außenseiterin gilt, weil sie gute Leistungen an der Schule bringt und Geige spielt. Das alles liefert Stoff, aber nicht in dem Sinne, dass Cäcilia einen Heldenmoment bekommt, Höppner Vera für sich einnimmt und Frieder den Sinn des Lebens erkennt.

Der Film, der sein spießig dörfliches 1983-Flair wunderbar ausrollt, verweigert sich konsequent einer modernen Erzählhaltung. Es passiert, was halt passiert, wenn Teenager gemeinsam Fischstäbchen bei Kerzenschein am Küchentisch mampfen und die Welt mal okay, mal weniger okay finden. Die Themen, die diese Geschichte vorantreiben, schleichen sich von alleine in den Mittelpunkt: erste Liebe, Freiheitsdrang, Depressionen, Landflucht, Suizid. Was dem Film fehlt, ist eine innere Orientierung. Eltern gibt es abseits einer herzensguten Bäcker-Mutter, einem grollend enttäuschten Landwirte-Vater und zwei nervtötend aufgeschlossenen Interlübke-Eltern nicht. Eine den Tag ordnende Schule findet statt, aber nur um Storyelemente abzuarbeiten, nicht als realer Alltag.

Überhaupt findet die ganze dörfliche Gemeinschaft auf so einer Art Meta-Ebene statt. So richtig greifbar wird uns diese Welt im Kinosessel nie. Aber auch das ist ja Pubertät: Nichts ist greifbar, nichts ist real. Nichts ergibt Sinn und alle anderen sind bekloppt.

Dieses Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des größeren Ganzen transportiert der Film sehr schön, sodass am Ende das melancholische Gefühl bleibt, einen Film über den besten Sommer meines Lebens gesehen zu haben. Obwohl der Sommer im Film in einen langen Winter übergeht.

Wertung: 6 von 8 €uro
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