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Plakatmotiv: Eraserhead (1977)

Interessanter Blick in die Gedankengänge
eines jungen Kreativen auf Frau und Welt

Titel Eraserhead
(Eraserhead)
Drehbuch David Lynch
Regie David Lynch, USA 1977
Darsteller

Jack Nance, Charlotte Stewart, Allen Joseph, Jeanne Bates, Judith Roberts, Laurel Near, V. Phipps-Wilson, Jack Fisk, Jean Lange, Thomas Coulson, John Monez, Darwin Joston, T. Max Graham, Hal Landon Jr., Jennifer Lynch, Brad Keeler, Peggy Lynch, Doddie Keeler u.a.

Genre Fantasy, Horror
Filmlänge 89 Minuten
Deutschlandstart
7. September 1979
Inhalt

Ein dunkler, beunruhigender Traum: Henry lebt in einer Industriestadt, deren gewaltige Maschinen Tag und Nacht laufen. Er lebt in einem Gebäude, wo jeder Mieter isoliert erscheint. Sein Zimmer ist karg eingerichtet und in seiner freien Zeit sieht er gern dem Mädchen in seinem Heizkörper zu, die auf einer Bühne singt und tanzt.

Eines Tages erfährt er, dass seine Freundin Mary X. schwanger von ihm ist. Die Eltern drängen beim gemeinsamen Abendessen auf eine Heirat. Bald darauf wohnen beide zusammen, Mary hat ihr "Kind" bekommen, einen monströses, ständig quäkendes, ekliges Ding.

Bald verlässt sie ihn und das Kind und auch Henry hält das Schreien bald nicht mehr aus …

Was zu sagen wäre

Ein junger, angehender Filmstudent mit Ambitionen stürzt sich in einen Traum aus einem Albtraum. Was David Lynch uns hier auf der Leinwand zeigt, ist mit den Augen des zeitgenössischen Kinos nicht zu beschreiben, ja kaum zu erfassen – wenn es denn ernsthaft etwas zu erfassen gibt. Der in hartem Schwarz-Weiß fotografierte Film erzählt aus einer Art Zwischenwelt. Sie existiert zwischen Bahngleisen, umringt von hohen Häusern mit blinden Fenstern, wahrscheinlich eine Industriegegend, der infernalische Lärm draußen lässt darauf schließen. Menschen wohnen hier kaum. Eigentlich nur der Protagonist Henry, seine Freundin, deren Eltern und deren Großmutter. Sie reden nicht viel. Alle nicht. Und wenn, dann aneinander vorbei. Und als Henry das gebratene Hühnchen anschneiden soll, bewegt sich das und wahrscheinlich Blut quillt schwarz aus seinem After.

Henry und seine, ja, was? Frau, Freundin, Verlobte? Sie leben in einem winzigen Ein-Zimmer-Appartement, vor dessen Fenster wenige Zentimeter entfernt eine Ziegelmauer die Sicht auf Weiteres versperrt. Die beiden haben ein seltsames, monströs wirkendes Baby bekommen, das auf der Wickelkommode liegt und unablässig plärrt. Sein Kopf erinnert an die Spitze eines Penis', sein Körper an das Hühnchen, das Henry früher im aufgeschnitten hat. Henrys Partnerin hält das Geplärre nicht aus und zieht aus. Henry selbst träumt von Sex mit der rassigen Nachbarin; es ist aber nicht auszuschließen, dass vor allem David Lynch von Sex mit der rassigen Nachbarin träumt, denn dass Henry jemals Sex haben könnte, darauf weist bei diesem kindhaften Männchen gar nichts hin – auch nicht, als ihm unterstellt wird, er habe ein Kind gezeugt; nicht nur wird das im Film nicht entschieden erklärt, auch hat dieses Kind, nun ja, keinerlei Ähnlichkeit mit Henry. Dieser Protagonist unternimmt nicht nur nichts, um eine Frau von sich zu überzeugen, er scheint nicht einmal selbst von sich überzeugt zu sein. Auch erscheint fragwürdig, warum die rassige Nachbarin (Merkmal: lasziver Blick, Löwenmähne) ausgerechnet den langweiligen Nachbarn Henry für das Liebesspiel wählen soll; auch, wenn die gezeigte Welt recht entvölkert wirkt, ist Henry nicht der einzige Mann auf der Welt.

Vielleicht also wollte David Lynch einfach eine Sexszene in seinem Film haben. Eine natürlich nur angedeutete, eher surreal wirkende Sexszene. Eine Motivation für seinen Film war Lynch die Geburt seiner Tochter 1968, die mit verformten Füßen, die der Volksmund Klumpfüße nennt, auf die Welt kam. Das hat er in einem Interview erzählt. Das verformte Baby in seinem Film lässt das naheliegend erscheinen. Wollte man in dieser Richtung weiter nach Antworten auf die Frage suchen, was verdammt nochmal dieser wirre, atonale, düstere Monsterpuppen-Quark bedeuten soll, könnte man der Idee anheim fallen, dass Lynch, den Mann, die Wunder der Geburt vom Stuhl gehauen und seine kreativen Synapsen zum Glühen gebracht haben.

Wenn Henry vor dem Lärm seines Monsterbabys in seine Traumwelt flieht, findet er sich hinter einem Loch in seinem Heizkörper wieder, auf einer Varieté-Bühne, auf der eine deformierte Frau in weißem Frühlingskleid ein fröhliches Lied, „In Heaven, everything is fine“, singt, während längliche Kreaturen von der Decke fallen, die an Spermien erinnern. Die Sängerin zermatscht sie genüsslich unter ihrer Schuhsohle. Penisneid, der den durch die Geburt traumatisierten Regisseur ängstigt? Als Henry sein deformiertes Baby schließlich tötet – dessen Kopf an die Spitze eines Penis' erinnert – kommt das einer Selbstkastration gleich. Das kindliche Männchen, dem man im Kinosessel keinen Sex zutraut, befreit sich mit dem Mord am Penis-Kind von seiner Angst vor der eigenen Sexualität. Nützt aber nichts. In einer anderen Szene, wieder im Varieté im Loch in der Heizung, gleich nach der Beischlafszene mit der Nachbarin, steht der verstörte Henry auf der Bühne und flüchtet vor den romantischen Avancen der freundlichen Sängerin. Sein Kopf sagt Nein, da übernimmt sein Sextrieb. Er stößt Henrys Kopf von den Schultern und setzt sich an dessen Stelle. Henrys kopf versinkt im Boden und wird in einer Bleistiftfabrik als gut funktionierenden Radiergummikopf auf einen Bleistift gesetzt.

Und jetzt haben wir noch gar nicht über den verfaulten Mann gesprochen, der in Zwischenschnitten große Schalthebel bewegt und sich in der Szene mit der Avancen machenden Sängerin kurz zwischen sie und Henry stellt. Oder tut er das gar nicht? Und warum sitzt die Großmutter von Henrys Freundin regungslos auf einem Küchenstuhl und wird von deren Tochter, Henrys potenzieller Schwiegermutter, als Marionette beim Salat mischen benutzt? Man findet viele Fragen in Lynchs Film. Und man findet noch mehr – mögliche – Antworten. Fürs Kino taugt der Film nicht. Es fehlt an Handlung, Charakteren, einer Storyline, es fehlt, was einen Kinofilm ausmacht. "Eraserhead" ist ein Vexierbild, das akademische Betrachtungen forciert, wenn man sich zuvor mit dem viele Jahre dauernden Entstehungsprozess allein des Drehbuches beschäftigt hat. Die Bewunderung für den beharrlichen Geist David Lynchs, der an seine Vision glaubt, und sie bei bärbeißigen, US-amerikanischen Filmproduzenten und feingliedrigen Festivalleitern durchsetzt, ist groß, macht den Film als solchen aber nicht spannender. Als interessante Bewegtbildkomposition der Ängste und Gefühle eines kreativen Mittzwanzigers ist das Werk für einen etwas anderen Abend anschließend in der Weinbar geeignet.

<Nachtrag2012>Der Film kam damals nicht gut an bei Presse und Publikum. Er überlebte im Cinema Village in New York City und entwickelte sich über die Jahre zu einem Mitternachts-Underground-Geheimtipp. Irgendwann galt er als Kultfilm und gehört seitdem zum kulturellen Kanon der Babyboomer. 2004 wurde der Film in die Liste der National Film Registry integriert. Sie kümmert sich „um die Erhaltung kulturell, historisch und ästhetisch wertvoller Filme in den USA“. Das Filmmagazin "Premiere" nahm Eraserhead in seine Liste der The 25 Most Dangerous Movies Ever Made auf und "Entertainment Weekly Magazine" in seine The Top 50 Cult Movies auf Platz 14. 2010 landete Lynchs erster Spielfilm hinter Orson Welles Citizen Kane auf Platz 2 der Liste der 100 Best First Feature Films of All Time der Online Film Critics Society. Der Film wird seit seiner Erscheinung regelmäßig auf diversen internationalen Filmfestivals aufgeführt. </Nachtrag2012>

Wertung: 2 von 9 D-Mark
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