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Plakatmotiv: Hühnchen in Essig (1985)

Claude Chabrol köchelt seine
klassischen Zutaten auf kleiner Flamme

Titel Hühnchen in Essig
(Poulet au vinaigre)
Drehbuch Dominique Roulet & Claude Chabrol
nach einem Roman von Dominique Roulet
Regie Claude Chabrol, Frankreich 1985
Darsteller

Jean Poiret, Stéphane Audran, Michel Bouquet, Jean Topart, Lucas Belvaux, Pauline Lafont, Andrée Tainsy, Jean-Claude Bouillaud, Jacques Frantz, Albert Dray, Henri Attal, Marcel Guy, Dominique Zardi, Jean-Marie Arnoux, Caroline Cellier u.a.

Genre Crime
Filmlänge 110 Minuten
Deutschlandstart
3. Oktober 1985
Inhalt

Louis Cuno arbeitet als Postbote und bewohnt mit seiner querschnittsgelähmten Mutter ein altes Haus in einer französischen Provinzstadt. Die beiden werden von Doktor Morasseau, dem Notar Lavoisier und dem Metzger Filiol unter Druck gesetzt: Sie sollen das Grundstück für ein Immobilienprojekt hergeben. Louis versucht, sich um seine besitzergreifende Mutter – die aus Angst das Haus verbarrikadiert hat – zu kümmern und zugleich seine Jugend auszuleben.

Bei der Post fängt er Briefe ab, anhand derer die Mutter geheime Informationen über das Immobilienprojekt herausfindet. Nachts bespitzelt er die Urheber und beschädigt deren Autos: Einem zerkratzt er die Karosserie, dem anderen zersticht er die Autoreifen, dem nächsten schüttet er Zucker in den Tank.

Als der Metzger Gérard Filiol bei einem mysteriösen Autounfall umkommt, kommt Inspektor Lavardin in die Stadt, um den Fall aufzuklären. Dieser schnüffelt nun in der Stadt herum – und deckt mit zweifelhaften Verhörmethoden ein Vergehen nach dem anderen auf. Er trifft auf geheime Liebesaffären, gefälschte Dokumente, eine vermisste Frau und einen weiteren Autounfall, mit einer schwer identifizierbaren Leiche.

Stecken der schweigsame Louis und seine halbverrückte Mutter dahinter? Oder handelt es sich um eine ganz andere Intrige? Mit seinem unschlagbaren Instinkt kommt der Inspektor dem Täter allmählich auf die Schliche …

Was zu sagen wäre

Und ist die Welt noch so grausam, der wahre Terror entfaltet sich in der kleinen Stadt, in der sich jeder kennt und die Mächtigen ungestört von eifrigen Reportern, aber untereinander bestens vernetzt, ihren Geschäften nachgehen. Claude Chabrol hat eine gewisse Meisterschaft darin entwickelt, mit seinen Filmen unter die Teppiche der honorigen Gesellschaft zu blicken und da allerlei Bizarres zutage zu fördern.

Das Drehbuch legt allerlei Fährten aus, die uns, weil es Tote erst spät gibt in diesem Film, in allerlei Verwirrung bringen. Zu Beginn stehen im Zentrum eine Mutter im Rollstuhl mit ihrem Postbotensohn, die aus ihrem raumgreifenden Haus gemobbt werden sollen und die im Gegenzug heimlich die Post der Mobber studieren und dabei jede Menge Betrügereien und Affären aufdecken. Es fallen viele Namen, Querverweise scheinen wichtig und so ist der Zuschauer im Kinosessel schnell maximal verunsichert: Hat er etwas verpasst? Worum geht es?

Unklar bleibt, was die Honoratioren eigentlich vorhaben mit dem Grundstück, von dem sie die Besitzer wegmobben wollen; und die offenbar auch untereinander Zwistigkeiten ausfechten. Godard zeichnet mit grobem Strich das Bild einer Kleinstadt in der Provinz, in dem die Dorfnutte ebenso eine Rolle spielt, wie die Haushälterin des Doktors oder die Schalterfrau in der Post, die endlich ihren Postboten ins Bett bekommen will. Es sind die Frauen, die hier Dinge in Bewegung setzen. Die Männer sind die, die ihren Geschäften am liebsten im gesellschaftlichen Stillstand nachgehen, also wenn alles so bleibt, wie es immer schon war.

Dann taucht der Fremde auf. Im Western bestellt der als erstes im Saloon einen Whisky. Hier stellt er sich als Inspecteur Lavardin vor, der dafür bezahlt werde, „ein wenig herumzuschnüffeln, den Leuten auf die Nerven zu gehen“. Und der im weiteren Verlauf dann mit sehr unüblichen Verhörmethoden eine Schneise in diese spezielle Kleinstadtidylle schlägt. Jetzt entblättert sich das zuvor ein wenig träge Bild einer doppelzüngigen Gemeinschaft sehr schnell in Betrügereien und mit-dem-Finger-auf-andere-zeigen. Die Drohungen der anfangs allmächtig erscheinenden Metzger, Notar und Arzt verpuffen, wie ein Luftballon, der auf einem Kaktus landet, und die Schalterfrau bekommt endlich ihren Postboten. Dazu passt der Originaltitel des Films besser als der irritierende deutsche. Chabrol hat seinen Film "Poulet au vinaigre" genannt. Das kann man tatsächlich als Hühnchen in Essig übersetzen, geht aber auch mit Bulle in Essig, oder als Cop au Vin, ein augenzwinkerndes Wortspiel, das diesen Film perfekt beschreibt.

Es macht Spaß, dem Drama beim Drama-sein zuzuschauen. Es wird nur getrübt dadurch, dass wir das eigentlich schon mal – oder auch zwei-, dreimal – gesehen haben bei Claude Chabrol. Vor 15 Jahren war er schon in der Provinz, wo er einem "Schlachter" (1970) und einer Lehrerin zuschaute, die ein verhindertes Liebespaar waren, während grausige Morde geschahen. In solchen unschuldigen Mörderhaushalten fühlt Chabrol sich wohl, siehe auch "Die Phantome des Hutmachers" (1982). Kurz: Wir dürfen von diesem Chabrol-Film keine neuen Erkenntnisse erwarten und werden dennoch unterhalten.

Wertung: 8 von 9 D-Mark
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