Die 17-jährige Roxy ist vor Kurzem von ihrer alten Schule geflogen und neu in der Klasse. Während einer Klassenfahrt nach Berlin freundet sie sich mit dem Außenseiter Cyril an, der wegen seiner großen Nase von den anderen Schülern verspottet wird. Cyril verliebt sich sofort in Roxy, traut sich aber nicht, ihr seine Liebe zu gestehen. Er ist schüchtern und hat die Erfahrung gemacht, dass er mit seiner Nase ohnehin kein Mädchen von sich überzeugen kann.
Roxy ist auch eher an Rick interessiert, den sie irrigierweise für diesen brillanten Rapper hält, den sie neulich bei einem Battle-Rap gesehen hatte, wo er eine Goldmaske trug. Mit eben dieser Maske hat sie Rick dann auf seinem Zimmer im Berliner Youth Hostel gesehen, wohin alle gerade auf Klassenfahrt sind. Die Maske, die Rick in der Hand hielt, gehört aber nicht ihm, sondern Cyril, der tatsächlich ein brillanter Texter ist und bei Battle Raps regelmäßig die Gegner in Grund und Boden rappt; hinter seiner goldenen Maske, wo niemand seine Nase sehen kann, ist er eine coole Rampensau.
Rick hingegen gehört nicht gerade zur hellsten Sorte. Er sieht gut aus, zupft unbeholfen auf seiner Gitarre herum, ist aber immer noch eine bessere Wahl als der schulbekannte Schürzenjäger Benno, der mit seinen Jungs wettet, dass er Roxy binnen zehn Tagen ins Bett bekommt und ein Video davon online stellen wird.
Das will Cyril mit allen Mitteln verhindern. Deswegen unterstützt er Rick und schreibt für ihn anonym Songs und SMS, damit Roxy ihn, Rick, für einen sensiblen Feingeist hält …
Wenn Teenager an Liebe leiden, bebt die Erde: „Ich renn Dir hinterher, und Du vermisst den Falschen!“ rappt Cyril heimlich seine Angebetete an. Es ist das Drama des Außenseiters, dass er nicht gesehen wird. Oder ausgelacht wird, weil er eine große Nase hat. Aron Lehmann hat den Cyrano de Bergerac für das Zeitalter des Rap inszeniert. Die ehemals in Alexandrinern verfasste Romanze explodiert beim Rap-Battle in Satzbauakrobatik mit „Schwänzen“, „Fotzen“, was das einschlägige Vokabular so hergibt. Diesmal ist auch Roxane, die hier alle Roxy nennen, eine Verbalakrobatin. Das ist nicht nur für die Gemeinsamkeit der beiden Zueinanderzubringenden wichtig. Es führt auch zu einem faszinierenden Finale auf der Bühne.
„Du bist perfekt, denn Du bist nicht perfekt.
Mit Dir fühlt es sich an, als ob das Leben gut ist.
Und wenn Du Dich selber nicht liebst, ich tu es.“
Als 1897 das Cyrano-Drama erschien, war die Gesellschaft steifer, die gesellschaftliche Regeln ganz andere und der Text wäre kein solcher Erfolg geworden, hätte er nicht auch damals einen Nerv getroffen. Aber in Lehmanns Film wirkt es so, als würde dieses Stück über Schönheit versus Intelligenz, über Faustgewalt contra Wortgewalt erst heute seine ganze Macht entfalten. Denn Cyrano war Soldat, der zufällig auch einen Hang zur hohen Fabulierkunst besaß. Cyril ist Schüler und heimlicher Sprachkünstler, Rapper. Und nun frage ich mich, wie eigentlich dieser Stoff jemals woanders hat spielen können, als in der Schule. In der Schule, wo junge Menschen noch sich suchen, wo sie herauszufinden versuchen, wer sie sind, was sie ausmacht, wo sie heutzutage ihre Kriege ausfechten (die Cyrano noch auf echtem Schlachtfeld fechten musste): „Du hast ihr doch die ganze Zeit diese Songs geschickt und sie voll gelabert. Mich hast Du doch nur vorgeschickt, weil Du Schiss hast. Ich bin vielleicht nicht hier die hellste Zündkerze auf der Torte, aber ich habe keinen Bock mehr, Dein Avatar zu sein!!“
Diese Cyrano-Version für die Millennials transportiert die Botschaft ihres Stücks perfekt. Nirgens sind die Qualen der romantischen Liebe größer, schrecklicher als beim ersten Mal – also meistens zu Schulzeiten. Daneben geht es um Mobbing, Sexting und peinliche Videos im Netz. Und die zu große Nase könnten auch einfach ganz viele Pickel sein. Dreh- und Angelpunkt des Films ist die Musik,
Das Drumrum entspricht dem derzeitigen Goldstandard für Filme, die in der Schule spielen. Es tauchen jede Menge Fack-Ju-Göhte-Figuren auf, mancher Gag ist peinlich plump, andere auch ärgerlich. Kaum etwa hat sich die Bustür zur Klassenfahrt geschlossen und der Bus sich in Bewegung gesetzt, geraten alle Schüler in Panik, weil der Bus kein Wlan hat und auch keine Steckdosen für die Ladekabel. Solche Klischeeveranstaltungen hat dieser sympathische Film gar nicht nötig, der vor allem punktet, wenn er nicht ins Klischee verfällt.
Cyrils Familie ist erfrischend normal – nicht dysfunktional, die Eltern sind keine 24/7-Berufstätige, Papa ist dick und trägt eine komische Brille, Mama ist Anke Engelke, die ihrem Sohn mit Banane und Condom Oralsex erklärt, die kleine Schwester ist keine Zicke, sondern fordert täglich liebevollen Eskimogruß ein (Eskimos reiben bei der Begrüßung ihre Nasen aneinander). So eine Familie ist im deutschen Film sehr selten. Als Cyril ziemlich aufgelöst und wortkarg von der Klassenfahrt heim kommt diagnostiziert sein Vater: „Okay, ha'ick verstanden: Er hat Pubertät.“ „Nee“, sagt seine Mutter, „ich glaub', der hat Liebe!“ „Ach, Du Scheiße!“, sagt Papa.
An anderer Stelle schaut der Film seinen jungen Protagonisten genauer in die Seele, als die Verwandten von der Göhte-Schule. An einer Stelle fragt Roxy, die ein Date mit Rick hat, Cyril, ob sie „okay“ aussehe und Cyril sagt „Du könntest Dich als Hobbit verkleiden und siehst immer noch okay aus!“ Und Roxy: „Du bist süß!“ Aaron Hilmer, der Cyril spielt, setzt in diesem Moment mit einem beinah unsichtbaren Zucken, wie, als sei er heftig geschlagen worden, ein schauspielerisches Glanzlicht im Film. Dieser Satz umschreibt nämlich das eigentliche Drama des jungen Außenseiters. Nicht die Nase ist sein Problem. Es ist sein so-nett-sein. Die Mädchen in seinem Alter stehen auf Muskeltypen und Schulhof-Bullys. Sie lassen sich von denen schubsen und weinen sich dann bei den Netten aus.Die Autoren dieser 2019-Version, Lars Kraume, Aron Lehmann und Judy Horney, halten sich eng am ursprünglichen Drama, versetzen aber eine entscheidende Szene, die Cyrano charakterisiert, ins große Finale des Films. Ursprünglich stellt das Drama bald klar, dass sich Cyrano nicht auf der Nase herumtanzen lässt und Spötter wortreich und zur Freude aller Umstehenden in ihre Schranken weist. Das zeigt ein temperamentvolles, selbstbewusstes Ego, das erst angesichts der Liebe versagt. Bei Cyril sieht es zunächst so aus, als wäre diese Szene durch die Rap-Battles ersetzt worden. Tatsächlich aber ist Cyril zu Beginn des Films nicht in der Lage, sich gegen die Spötter zu wehren, eine Szene im Schulbus macht das deutlich. Der Schüchterne muss erst einen gewissen Grad der Verzweiflung erklommen haben, Liebe verloren, keine Freunde, alles Scheiße, um seinen ganzen Zorn in einem fulminanten Auftritt vor der ganzen Klasse seinem Peiniger Benno in wohlgesetzten Worten um die Ohren zu fegen:
„Ja … Ja… vielleicht hat seine Sippschaft Millionen.
Ihr tragt die schickeste Mode
bei Euch sitzt jede Pose
Auf Euren Instagram-Fotos.
Und Du besitzt schon 'ne Wohnung
Besitzt richtig viel Kohle.
Aber warum vergaß Dein Vater damals die beschissenen Kondome???
…
Denn er wollte Dich nicht.
…
Und Deine Mutter … Deine Mutter bereut die Nacht ihr Leben lang.
Darum hast Du nie Liebe bekommen.
Und das heißt, dass Du nie im Leben Liebe geben kannst.
Und die Werte, die Du nicht hast,
Die kann mir hier niemand mehr nehmen!
Komm, ich erklär's Dir.
Auch wenn Du es niemals verstehst!“
Die Verse, die Cyril rappt, sind klug geschriebene Schlagzeilen über den Irrsinn namens Leben und die Texte bei den Battles, die darauf abziehen, das Gegenüber klein zu machen, sind wie eine gut choreografierte Saloon-Schlägerei. Musikproduzent Konstantin Scherer und Songwriter Robin Haefs liefern romantische und harte Lyrics, die über das junge Zielpublikum hinaus berühren.
Und Heike Makatsch in einer kleinen Nebenrolle als Lehrerin ist übrigens großartig!!!