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Plakatmotiv: Avatar – The Way of Water (2022)

Fantastische Welten. Platte Dramaturgie.
Das Kino kehrt zu seinen Wurzeln zurück.

Titel Avatar – The Way of Water
(Avatar: The Way of Water)
Drehbuch James Cameron & Rick Jaffa & Amanda Silver
Regie James Cameron, USA 2022
Darsteller

Sam Worthington, Zoe Saldana, Sigourney Weaver, Stephen Lang, Kate Winslet, Cliff Curtis, Joel David Moore, CCH Pounder, Edie Falco, Brendan Cowell, Jemaine Clement, Jamie Flatters, Britain Dalton, Trinity Jo-Li Bliss, Jack Champion, Bailey Bass, Filip Geljo, Duane Evans Jr. u.a.

Genre Science Fiction, Abenteuer
Filmlänge 193 Minuten
Deutschlandstart
14. Dezember 2022
Inhalt

Mehr als zehn Jahre, nachdem der ehemalige Soldat Jake Sully mithilfe Eywas, dem neuronalen Netzwerk Pandoras, seinen menschlichen Körper verlassen hat und endgültig mit seinem Avatar vereint wurde und nun selbst ein Na’vi ist, haben er und Neytiri eine Familie gegründet. Ihre Kinder sind ihr Ältester Neteyam, sein Bruder Lo'ak und deren kleine Schwester Tuktirey, genannt Tuk. Sie haben auch den Menschenjungen "Spider" und Na’vi-Teenager Kiri adoptiert; Kiri ist die Tochter von Dr. Grace Augustine, deren Avatar auf bislang unklare Art schwanger geworden war. Kiri kam zur Welt, als Grace schon gestorben war.

13 Jahre konnte Jakes Familie in Frieden leben. Dann weisen Sternenlichter am Himmel auf die Rückkehr der "Himmelswesen". Die Resources Development Administration (RDA) hat es immer noch auf wertvolle Rohstoffe auf Pandora abgesehen. Aber sie will vor allem Pandora als Ganzes haben. Denn die Erde stirbt. Pandora soll als neue Heimat für die Menschheit urbar gemacht werden. Über ein Jahr liefern sich Menschen und Na'vi einen erbitterten Guerillakrieg. Dann kehrt Colonel Miles Quaritch zurück nach Pandora. Der ist eigentlich tot, Neytiri hatte ihn einst daran gehindert, ihren geliebten Jake zu töten. Aber die RDA hat Quaritchs Geist und Erinnerungen in einen Na'vi-Avatar übertragen. Quaritch kennt den Planeten, er kennt die Na'vi. Und vor allem hat er einen unbändigen Hass auf Jake Sully, den er einen Verräter an seiner Rasse nennt. Er soll Jake ausschalten. Die RDA ist überzeugt, dass die Waldmenschen ohne ihren Anführer keine Chance gegen ihre geballte Militärmacht haben.

Weil ihre Heimat mit ihnen darin nicht mehr sicher ist, müssen Neytiri, Jake und ihre fünf Kinder ihr Zuhause im Wald verlassen. Sie suchen Zuflucht beim Na’vi-Stamm der Metkayina, der an den Küsten und Meeren des Mondes Pandora lebt. Das fällt vor allem den Kindern nicht leicht. Jakes Söhne, Neteyam und Lo'ak kämpfen ohnehin damit, es ihrem strengen Vater nie recht machen zu können und bekommen es jetzt mit den aggressiven Söhnen des Stammeshäuptlings Tonowari zu tun. Spider, der adoptierte Menschenjunge, wird zwischen den Identitäten und Loyalitäten hin- und hergerissen, Kiri leidet darunter, nicht zu wissen, wer ihr Vater ist und wundert sich über ihre besonders enge Beziehung zu Eywa, dem Organismus Pandoras. Nur die Jüngste, Tuk, hat an der neuen Wasserwelt viel Freude.

Die Freude währt nicht lange. Quaritch und seine Marines in Na'vi-Gestalt sind ihnen an Bord eines Walfängers, der Pandora einen besonderen Lebenssaft rauben will, auf den Fersen und drohen, ein Paradies in Flammen zu setzen…

Was zu sagen wäre

Die Erfindung des Buchdrucks war eine der großen Errungenschaften in der Geschichte der Menschheit. Johannes Gensfleisch Gutenberg wird gefeiert dafür, dass er die Verbreitung von Schriften so sehr vereinfacht hat. Damals war das nicht nur die Bibel, auch Texte von Gelehrten waren plötzlich vielen Menschen zugänglich. Niemand dachte daran, dass auch Trivialliteratur dereinst von dieser Kunst profitieren würde, Groschenromane, Krimis. Der neue "Avatar"-Film ist ein Groschenroman – ein Groschenfilm –, der es auf die Kinoleinwand schafft, weil die Computerbildtechnik dafür heute die Voraussetzungen schafft und der voraussichtlich viel Geld einspielen wird.

Der Regisseur und Autor dieses Films scheint seit den frühen 90er Jahren in einer dieser Cryo-Truhen geschlafen zu haben, aus denen Jake Sully zu Beginn des ersten Avatar-Films nach sechs Jahren Reise von der Erde nach Pandora erwacht. Für ihn hat sich die Welt nicht weitergedreht, er erzählt immer noch so, wie wir es gewohnt waren zu Zeiten von Breakfast Club oder Lethal Weapon. Vor 13 Jahren erzählte James Cameron die Geschichte eines Mannes, der lieber seine Rasse tauscht, als noch einen Tag länger mit seiner eigenen abzuhängen. Das Drehbuch gab auch damals keine filigrane Sozialisationsgeschichte vor, es ging ruppig zu, plakativ, klischeebeladen. Aber eingerahmt von einer Welt, wie wir sie noch nie gesehen hatten; und auch noch in 3D – also einem 3D, das auch wirklich dreidimensional wirkte. Uns standen im Kinosessel die Münder offen. Die Story war spannend, der militärische Konflikt etwas hölzern, aber des Regisseurs Liebe zu den Naturvölkern, deren Gebräuche und Eigenarten in dieser grünen, satten 3D-Welt überwog alle Zweifel. Das "Überwältigungskino" hatte mit Avatar – Aufbruch nach Pandora eine neue Benchmark. Was sollte da noch kommen? Irgendwann kündigte James Cameron vier weitere Avatar-Filme an, die aber noch auf sich warten lassen müssten, weil die Bildtechnik, die das zu Erzählende auch zeigen konnte, noch nicht so weit sei.

13 Jahre nach diesem kinohistorischen Ereignisfilm scheint die Zeit gekommen zu sein. James Cameron präsentiert uns eine neue Facette des Pandora-Mondes. Eine Welt mit karibischem Flair, deren Bewohner sich gerne und besonders lange unter Wasser aufhalten. Cameron hat schon in The Abyss (1989) ausgelotet, was filmtechnisch mit Wasser möglich ist. Es ist bekannt, dass er ein großer Tauch-Fan ist. Das lebt er hier aus. Viele Jahre hat er SFX-Künstler und -Techniker dafür bezahlt, die Unterwasserwelt mit Motion-Capture-Figuren und neu erfundenen Meerestieren in 3D zu bevölkern.

Und als es soweit war, hat er diese Bilder genommen und in einen Rahmen gesetzt, der aus Versatzstücken erfolgreicher High-Budget-Movies besteht. Die Geschichte in diesem Film funktioniert auf niedrigem Level: Familie muss zusammenhalten. Familie wird vertrieben. Schulhofbullies schubsen brave Kinder. Coming of Age. Die Tochter der Familie entdeckt ihre Andersartigkeit und nimmt also die Rolle der Auserwählten ein, deren Schicksal sich erst später – in Teil 3, 4 oder 5 – offenbaren wird – hoffentlich wenigstens. Die gepanzerten Aggressoren rücken mit monumentaler Feuerkraft an, rechnen aber nicht mit der Macht der Gemeinschaft. Und das ausgestoßene Killermonster ist in Wirklichkeit ein verkannter Retter seiner Spezies. Dazu sind am Ende mehrere Fragen offen, die zumindest einen Teil 3 begründen.

Oder auch nicht.

Das Drehbuch dieses Films ist derart platt, dass ich dauernd Jean-Claude Van Damme erwarte, der durchs Gehölz springt, um Steven Seagal zu verprügeln. Der zentrale Teenager-Konflikt ist ein Sammelsurium von Plattitüden aus der Grabbelkiste des Coming-of-Age-Kinos. Die Einführung eines neuen Volkes auf Pandora – zweiter Film, zweites Volk(!) – ist inhaltlich so überflüssig, wie die Frage, wieso eigentlich die Menschen jetzt nach Pandora übersiedeln wollen, wo sie 24/7 eine Atemmaske werden tragen müssen, weil die Atmosphäre für sie giftig ist (da muss es doch noch andere Welten im näheren Universum geben). Anders als 2009 erzählt der Film von 2022 nichts. Er beschreibt ein Karibikvolk mit Schwimmflossenschwanz, das in den Tag hinein lebt, zur Nahrungsaufnahme Meeresgetier fängt und sich schwer damit tut, der Familie Sully Asyl zu gewähren. Mehr erfahren wir nicht über das Volk der Metkayina. Etwas mehr erfahren wir über das Volk der Tulkun, gigantische Wal-artige Kreaturen, die gewaltfrei die Weltmeere durchstreifen und gelegentlich bei den Metkayina vorbeischauen. Payakan ist ein Tulkun, der ausgestoßen und als Killer verfemt wurde. Er freundet sich mit Lo'ak an und ist dann immer zur Stelle, wenn es brenzlig wird. Das ist so ermüdend regelmäßig der Fall, dass man im Kinosessel jedesmal schon unmittelbar vor seinem Auftauchen "Jetzt!" rufen kann und immer einen Treffer hätte.

Die Tulkun beherbergen das, was das wertvolle Unobtainium abgelöst hat. Dieses Erz, hinter dem die RDA vor 13 Jahren her war, spielt keine Rolle mehr. Heute machen Walfänger Jagd auf die Tulkun, weil in deren Leib ein Serum für ewige Jugend schlummert. Es ist erstaunlich, was die RDA ein Jahr nach Beginn der Besiedelung alles über Pandora weiß, was nicht einmal die Na'vi wissen, die sich doch dauernd mit Eywa, dem planetaren Netzwerk verbinden; was 2009 noch wunderbar und mysteriös war – und auch ein bisschen Ethno-Kalenderspruchästhetik besaß – ist 2022 eine Hotline zu Gott. Haarspitzen anschließen, Hilfe bekommen – in Form von Informationen oder handfester Gewalt. Weil James Cameron Teile des dritten Avatar-Kapitels gleich mitgedreht hat, lässt er hier einige Fragen offen – Wer ist Kiris Vater? –, Fäden lose liegen – Was ist mit Quaritch? Welche Rolle spielt das Jugendserum? –,von denen wir bestenfalls annehmen, dass er sie in Teil 3 beantwortet. Sicher kann man nicht sein, nachdem "The Way of Water" kaum etwas erzählt und nur ausgeleierten Spannungsbögen folgt. Die Dramaturgie ist die einer Fernsehserie: Was heute nicht passiert, passiert vielleicht in der nächsten Folge. Lust auf einen dritten Teil macht "The Way of Water" nicht.

And now for something completely different!

Schon Avatar ist 2009 nicht angetreten, um der Gesellschaft die Augen über ihr bisweilen schändliches Tun zu öffnen (was ja bisweilen Anspruch der Kunst ist). Also sollte man das von einer Fortsetzung auch nicht erwarten. Das Avatar-Franchise besticht durch seine visuelle Kraft. Sicher nicht – ich kenne James Cameron nicht persönlich und seine Motivation nur aus Medienberichten – durch ausgeklügelte Erzählformen. Cameron will beeindrucken, in den Kinosessel pressen, staunend offene Münder erzeugen. Das kann er (Titanic 1997; True Lies – 1994; Terminator 2: Tag der Abrechnung – 1991; The Abyss – 1989; Aliens – Die Rückkehr – 1986; Terminator – 1984; Piranhas II – Fliegende Killer – 1981)!

Lassen wir mal all das beiseite, was das Kino uns gelehrt hat zu erwarten, dann haben wir es hier mit einem fulminanten Joint zu tun. Camerons Bilder berauschen. In ihrer Tiefe, ihrer Farbigkeit, ihrer brillanten Technik, ihrem Design. Die Nerds können die Vergleiche mit dem Vorgänger ziehen – der existenzielle Angriff kommt wieder von rechts hinter der Bergkette (hier: Inselkette) hervor; Colonel Quaritch gibt wieder eine Rede, die damit beginnt, dass wir nicht mehr in Kansas sind, die Teenager siehe oben – aber auch ihnen wird nicht langweilig. Weil die Charaktere einfach gestaltet sind – die Alten knarzig knurrend, die Jungen in ihrem Vorwärtsdrang sympathisch. Dass die Brüder in dieser fernen Welt der Mystik sich mit einem sehr irdenen „Hey, Bro“ anreden und ihrem Soldaten-Dad, wenn der ihnen wieder mal eine Standpauke gehalten hat, ein US-Marine-artiges „Yes, Sir!“ entgegen schleudern, ist wenigstens eine Ohrfeige für den denkenden Zuschauer, auf jeden Fall aber eine unangenehme Drehbuch-Heranwanzung an das vermeintlich immer noch so sprechende Zielpublikum dieses Films, der wie alle Filme seine Produktionskosten wieder reinholen muss – in diesem Fall: so rund um 350 Millionen Dollar.

Wo Avatar – Aufbruch nach Pandora (2009) einfach erzählt, aber visuell bahnbrechend und sehr neu war, ist "The Way of Water" lediglich eine Spielart des amerikanischen Actionfilms und seiner Versatzstücke, die visuell anspruchsvoll gestaltet ist; dass Cameron für die Motion-Capture-Technologie, die erst seine Avatare auf der Leinwand laufen lässt, mehrere Jahre Entwicklung betreiben musste, damit sie auch auf und unter Wasser realistisch wirkt, ehrt ihn. Aber das macht seinen neuen Film nur für die Leser von Hintergrundberichten aufregender. Alle anderen sehen einen visuell anspruchsvollen Film, wie sie ihn vor 13 Jahren auch schon gesehen haben.

"Avatar: The Way of Water" ist ein Film für Leistungsschauen. Es gab in den frühen 1990er Jahren Actionfilme wie The Last Boy Scout, Lethal Weapon, Die Hard mit ihren Fortsetzungen. In diesen Filmen war die Story die Grundierung, um neueste Special Effects und Stunts vorzustellen. Sie wurden zu einer Leistungsschau, einer Art Messe für die Verkäufer der Special Effects. "The Way of Water" baut eine Story aus dem Setzkasten der Drehbuchentwickler, um der Branche den aktuellen Stand der SFX-Entwicklung zu präsentieren: Kommen Sie zu Weta-Digital, wenn Sie Blauwale fliegen lassen wollen. Im vorliegenden Film erleben wir Bilder, die wir in keinem Karibik-Urlaub fotografieren können. Wir erleben einen Event-Film, der die Existenz von großen Kinosälen rechtfertigt. James Cameron kehrt mit "Avatar 2" zu den Anfängen des Kinos als Spektakel auf dem Jahrmarkt zurück.

Anders ausgedrückt: "Avatar – The Way of Water" ist Spektakel für den Moment, Überwältigungskino, das in zwei Jahren keine Rolle mehr spielt.

Wertung: 5 von 8 €uro
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