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Plakatmotiv: Herr der drei Welten (1960)

Brave Abenteuerversion einer
einst beißenden Sozialsatire

Titel Die drei Welten des Gulliver
(The 3 Worlds of Gulliver)
Drehbuch Arthur A. Ross & Jack Sher
nach dem Buch "Gullivers Reisen" von Jonathan Swift
Regie Jack Sher, UK, USA 1960
Darsteller

Kerwin Mathews, Jo Morrow, June Thorburn, Lee Patterson, Grégoire Aslan, Basil Sydney, Charles Lloyd Pack, Martin Benson, Mary Ellis, Marian Spencer, Peter Bull, Alec Mango, Sherry Alberoni, John Breslin, Joan Hickson, Oliver Johnston, Waveney Lee, Noel Purcell u.a.

Genre Fantasy, Abenteuer
Filmlänge 99 Minuten
Deutschlandstart
20. Dezember 1960
Inhalt

Lemuel Gulliver ist als Arzt nicht besonders erfolgreich, weil er zu gutmütig ist und sich oft nichts bezahlen lässt. Seine Freundin Elizabeth will mit ihm ein Haus kaufen, das aber nur eine alte Hütte ist. Um an mehr Geld zu kommen und Elizabeth mehr bieten zu können, verdingt er sich als Schiffsarzt. Auch Elizabeth hat sich an Bord geschlichen.

In einem Sturm sinkt das Schiff und Gulliver strandet zunächst auf Liliput, einem Eiland, auf dem die Einwohner sehr klein sind. Die Liliputaner führen Krieg gegen die Nachbarinsel Blefuscu wegen der Frage, ob ein gekochtes Ei am Kopf oder am dicken Ende aufzuschlagen sei. Der bewusstlose Gulliver wird von den kleinen Einwohnern zunächst am Strand gefesselt. Nachdem er seine Harmlosigkeit bewiesen hat, nimmt ihn der König als Bürger in sein Reich auf und fordert ihn anschließend auf, die Nachbarinsel anzugreifen und die Einwohner zu vernichten. Gulliver sammelt aber nur deren Schiffe ein. Er will sich nicht weiter als Kriegsmaschine missbrauchen lassen und baut sich ein Boot, um Liliput zu verlassen.

Nach einiger Zeit auf See erreicht Gulliver die Insel Brobdingnag, ein Land, in dem nun er der Zwerg ist und die Einheimischen die Riesen. Ein "kleines" Mädchen, Glumdalklitsch, findet ihn am Strand und bringt ihn zum König. Hier löst seine Ankunft Erstaunen aus, und er trifft Elizabeth wieder. Glumdalklitsch bleibt am Hof und betreut die beiden. Gulliver nimmt Elizabeth zur Frau. Doch intrigante Hofschranzen sagen, Gulliver wäre ein Zauberer und müsse verbrannt werden …

Was zu sagen wäre

Dieser Mann hat das wahre Leben verstanden. „Wenn ich hier hause, dann gerate ich auf die Dauer in dieselbe Tretmühle wie die meisten Menschen hier. Ohne Geld geht es eben nicht!“ „Immer nur Geld“, schimpft seine Freunde Elisabeth, „kannst Du an gar nichts anderes denken? Kannst Du nicht mit dem zufrieden sein, was wir haben!“ „Aber wir haben doch nichts!“, insistiert der wackere Doktor. Plakatmotiv: Herr der drei Welten (1960)Lemuel Gulliver will sich sein Leben mit ehrlicher Arbeit gestalten, will sich etwas aufbauen. Er will sich nicht für eine Bruchbude verschulden, die er dann ein Leben lang abbezahlen muss. Lieber hilft er denen, die seiner Kunst bedürfen, die seinen ärztlichen Rat suchen, auch wenn die gerade mal nicht bezahlen können. Er will für andere einstehen mit dem was er hat und kann. Seine Elisabeth kann mit dieser Haltung nicht so viel anfangen. Sie will ein Haus, will leben wie all die anderen um sie herum. Auch als sich beide in Brobdingnag, dem Land der Riesen wiederfinden, wo der Berater des Königs ihn als gefährlichen Zauberer verbrennen will, hält es Elisabeth für angebracht, dass ihr Lemuel seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen abschwört und sich anpasst, mit den Gegebenheiten arrangiert.

Mit dem Lemuel Gulliver, dessen Abenteuer der irische Schriftsteller, Priester und Politiker Jonathan Swift 1726 veröffentlichte, hat der Film-Gulliver wenig gemein. Schon seine Film-Freundin Elisabeth ist eine Erfindung Hollywoods, wo schöne Frauen zur Basisausstattung des männlichen Helden gehören. Die Bosse des Filmstudios bewegen sich dennoch in der Tradition der Gulliver-Erzählung, die im Laufe der Jahrhunderte von einer ursprünglich bissigen, sozialkritischen Satire durch inhaltliche Verkürzungen und Auslassungen erst zu dem weltbekannten Jugendbuch wurde, das wir heute zu kennen glauben. Ich habe den Film "Die drei Welten des Gulliver" Mitte der 1980er Jahre gesehen, da war das Jugendbuch nur noch ferne Erinnerung an meine Kindheit. Das Filmstudio in Hollywood hat aus dem Abenteurer Gulliver einen braven, aufrechten, edelmütigen Freigeist gemacht, der gegen jede unrechte Vereinnahmung seiner Fähigkeiten aufbegehrt und für das Wahre, Schöne und Gute in der Welt eintritt.

Der Film ist 1960 entstanden, der Kalte Krieg zwischen den politischen Systemen der USA und der Sowjetunion näherte sich seinen gefährlichsten Tiefen, da kann ein aufrechter Streiter wider diktatorische Potentaten auf der Leinwand offenbar nicht schaden „Ich beende einen Krieg, lösche einen Brand, pflüge die Felder, bringe Frieden, Hoffnung und Wohlstand in ein Land. Wie kann ich da einen Verräter sein?“, wundert sich der gigantisch große Gulliver im Lande Lilliput und bekommt prompt die Antwort: „Der König hasst Dich, weil Du viel klüger bist als er.“ Gulliver trifft auf seinen Leinwand-Reisen auf Herrscher ohne klare Haltung – einer winzig, der andere gigantisch groß – die offen für böse Einflüsterer aller Art sind. An ihren Höfen tummeln sich Strippenzieher, machtversessene Schranzen und eifersüchtige Intriganten, die den jeweiligen Herrscher in ihrem Sinne zu beeinflussen versuchen – und im Gegenzug jederzeit mit ihrem Tod rechnen müssen. Es gefällt, was dem König gefällt, nicht, was dem Land hilft. „Erfolgreich und mächtig zu sein, ist völlig sinnlos“, ist Gullivers baldige Erkenntnis; man könnte ergänzen Mit Blick auf das sowjetische System. Aber er fügt sich seiner frisch angetrauten Elisabeth und schwört im Land der Riesen seiner Wissenschaft ab und behauptet brav, was die Scharlatane verlangen: „Die Erde ist eine Scheibe.Plakatmotiv (US): The 3 Worlds of Gulliver (1960)Regisseur Jack Sher präsentiert einen Abenteuerfilm, keinen politischen Essay. Deswegen geben sich die Hofschranzen mit des Helden Einknicken nicht zufrieden und es kommt zu einem gigantischen Kampf Mensch gegen Monster. Nebenbei zeigt die Szene ihren Zuschauern auch, dass es gar nichts nützt, einem (zum Beispiel: russischen) Despoten unbedingte Treue zu schwören, weil Despoten sich nicht für Inhalte interessieren, sondern nur für ihren Machterhalt.

Für die Spezialeffekte dieses Abenteuers hat das Columbia-Studio Altmeister Ray Harryhausen geholt, der 1958 schon den Skeletten in "Sindbads siebente Reise" das Fechten mit dem Säbel beigebracht hat (damals kämpfte als Sindbad auch schon Gulliver-Darsteller Kerwin Mathews). Mit seiner Stopmotion-Technik und neuartigen Kopierverfahren sowie Rückprojektionen hetzt er an sich niedliche, aber gigantisch große Eichhörnchen und und Krokodile auf den Helden oder lässt ihn, umgeben von lauter winzigen Menschlein Bäume ausreißen, um Platz für Ackerland zu schaffen. Es gibt für die Zuschauer im Jahr 1960/1961 atemberaubende Bilder in diesem Film, der aber erzähltechnisch kaum von der Stelle kommt. Im Lande Lilliput passiert kaum etwas mit Spannung. König und Königin wechseln alle naslang ihre Haltung zu dem Riesen und verhalten sich ausgesprochen kindisch in ihrem Königreich; darin stehen sie dem anderen König im Reich der Riesen nicht nach – aber dort kann der Abenteuerfilm wenigstens mit Monster-Action punkten. Während der knappen Filmstunde in Lilliput herrscht nie wirkliche Gefahr. Wer sollte dem Riesen Gulliver schon gefährlich werden? Eine Romeo-und-Julia-artige Liebesgeschichte unter den Minimenschen muss für Spannung sorgen, ist dann aber, weil für den Fortlauf der weiteren Handlung ganz unwichtig, nicht ausgearbeitet und verläuft irgendwann im Sand am Strand. Sozialkritik und Kritik an modernistischer Wissenschaft, die die ursprüngliche Vorlage aus dem frühen 18. Jahrhundert prägte, begleiten die Handlung in homöopathischen Dosen, gerade genug, um die Zuschauer nicht zu überfordern. Statt dessen steht als Moral von der Geschichte, dass die Abenteuer in Lilliput und Brobdingnag gar nicht real, sondern nur im Kopf des freundlichen Liebespaares Lemuel und Elisabeth während einer Ohnmacht nach einem Schiffbruch stattgefunden haben und die beiden widerstreitenden Pole symbolisieren, zwischen denen der Mensch immer wieder neu sein Gleichgewicht finden muss, damit keine der beiden Seiten zu stark wird.

Die Musik schwillt an, der Abspann läuft.

Wertung: 4 von 7 D-Mark
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