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Plakatmotiv: Wild at Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula (1990)

100 Prozent pures Kino

Titel Wild at Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula
(Wild at Heart)
Drehbuch David Lynch
nach dem gleichnamigen Roman von Barry Giffords
Regie David Lynch, USA 1990
Darsteller

Nicolas Cage, Laura Dern, Willem Dafoe, J.E. Freeman, Crispin Glover, Diane Ladd, Calvin Lockhart, Isabella Rossellini, Harry Dean Stanton, Grace Zabriskie, Sherilyn Fenn, Marvin Kaplan, William Morgan Sheppard, David Patrick Kelly, Freddie Jones, John Lurie, Jack Nance, Pruitt Taylor Vince u.a.

Genre Komödie, Romanze, Drama
Filmlänge 125 Minuten
Deutschlandstart
20. September 1990
Inhalt

Der heißblütige Sailor und die attraktive Lula sind ein Paar – entgegen den Wünschen von Lulas Mutter Marietta, die ihre Tochter lieber mit einem bodenständigeren Mann liiert wissen möchte. Ihre Antipathie gegen Sailor ist so groß, dass sie einen Messerstecher beauftragt, den ungewollten Schwiegersohn in spe zu beseitigen. Doch Sailor weiß sich zu wehren, und kurz darauf landet er wegen Totschlags im Gefängnis.

Nachdem er seine Haftstrafe abgesessen hat, fassen er und Lula den Entschluss, ihrem Heimatort und somit dem Einfluss von Lulas Mutter zu entfliehen und in New Orleans ein neues Leben zu beginnen. Marietta, dem Alkohol und dem Wahnsinn verfallen, ist jedoch noch immer nicht bereit, die Beziehung ihrer Tochter zu akzeptieren, und beauftragt ihren Liebhaber, den Privatdetektiv Farragut, das junge Pärchen aufzuspüren.

Da Farraguts Bemühungen erfolglos bleiben, greift Marietta zu drastischeren Mitteln: Sie hetzt den Liebenden den Killer Santos auf die Fersen, der ganz nebenbei noch eine Rechnung mit Farragut zu begleichen hat …

Was zu sagen wäre

Manchmal gibt es Filme, bei den weiß man: Das ist der Film dieses Regisseurs, besser wird's nicht mehr. "Wild at heart" ist der David-Lynch-Film. Besser wird er nicht mehr. Perfektion kann man schlecht besser machen. "Die Geschichte von Sailor und Lula" ist pures Kino. Jedes Bild sitzt, ist ein Kunstwerk in Bewegung, abgelöst vom nächste Kunstwerk. Plakatmotiv: Wild at Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula (1990)Hier biedert sich nichts an die Wirklichkeit an, keine Szene versucht mehr zu sein als sie ist, wollte man eine irgendwie gesellschaftspolitische Moral von der Geschicht' zwischen den Bildern finden, dann höchstens die, dass das Leben für die meisten Menschen, nämlich die, die von der Hand in den Mund leben müssen, eher scheiße ist und man halt das Beste draus machen muss; man hat ja nur das. Aber diese Erkenntnis liefert auch ein Donald-Duck-Cartoon. "Wild at Heart" genügt sich (und uns) als Kino, dem Medium mit Bild und Ton.

Lynchs Film ist bevölkert von Archetypen des Kinos, von arglosen Prinzessinnen, bösen Räubern, ehrbaren Rittern, mörderischen Drachen und tumben Männern, die augenscheinlich nicht bis drei zählen können. Sie treten auf in einem romantischen Abenteuer auf Speed, das in Genre-Episoden erzählt wird und lose mit Elementen aus dem Zauberer von Oz (1939) zusammengehalten werden, jenem Märchen, in dem die junge Dorothy lernen muss, ihren einzigen wirklich wichtigen Wunsch zu formulieren – ihre größte Sehnsucht.

Sailors und Lulas größte Sehnsucht ist ihre Liebe zueinander, derer sie sich zwar dauernd gegenseitig durch heißen Sex und Lippenbekenntnisse versichern. Aber es gelten auch die schlechten Tage, in denen eine Liebe bestehen muss. Die kommen hier reichlich: Die böse Schwiegermutter, gespielt von einer atemberaubend dominanten Diane Ladd ("Alice lebt hier nicht mehr" – 1974; Chinatown – 1974) unter weißblonder Barbara-Stanwyck-Perücke, hetzt dem Liebespaar Killer auf den Hals, nicht nur, weil sie den Gedanken nicht erträgt, das Sailor ihre kleine Lula berührt, sondern vor allem, weil nicht auszuschließen ist, dass Sailor die wahren Hintergründe kennt, die zum angeblichen Selbstmord ihres Gatten geführt haben. Da schwebt der Film elegant durch die dunklen Höhen des Film Noir, der in Rückblenden mit Bildern eines brennenden Hauses und eines brennenden, um sein Leben kämpfenden Mannes beschworen wird. Die böse Hexe des Westens – eine Einbildung Lulas oder tatsächlich auf ihrem Besen fliegend? Lynch überlässt das den Zuschauern zu entscheiden – treibt die unschuldig Verliebten in ein mörderisches Komplott, an dem schließlich drei Killer beteiligt sind, die nicht nur Sailor, sondern sich gerne auch gegenseitig umbringen wollen. Dann ist da der Teufel, der Sailor lockt und verführt und versucht, von Lula weg- und in den Tod zu zerren. Zum Glück kommt im entscheidenden Moment Glinda, die gute Fee, und weist dem jungen Glück den wahren Weg der Liebe, auf dem Sailor seiner Lula endlich "Love me Tender" von Elvis singen kann, worauf sie immer so sehnlichst gewartet hat. Willem Dafoe spielt den Teufel als Lederjacken-Strizzi mit verfaulten Zahnstümpfen (Geboren am 4. Juli – 1989; Mississippi Burning – 1988; Platoon – 1986; Leben und sterben in L.A. – 1985; Straßen in Flammen – 1984; Begierde – 1983) – wahrlich teuflisch.

Die Szenerie wechselt von Eleganz im Marmorfoyer zu stinkender Toilettenschüssel zu romantischem Highway in der Nachmittagssonne zu splatterartigen Bluttaten zu schwülheißem Sex im Motelzimmer zu apokalyptischem Autounfall. Es ist alles nachvollziehbar, was wir in diesem Roadmovie erleben. Nachfragen sollten wir nicht. Plakatmotiv (US): Wild at Heart (1990)Wie gesagt: pures Kino. Getragen von den beiden Helden der Geschichte. Unfreiwilligen Helden, denn eigentlich wollen sie doch nur sich, ihre Liebe und immer eine Packung Zigaretten. Sailor, dessen Nomen Omen ist, segelt durchs Leben, nicht immer selbstgesteuert vor dem Wind, manchmal auch getrieben; ein Gelegenheitsgauner, der die schiefe Bahn verlässt, als er Lula kennenlernt und sich, das dürfen wir vermuten, explizit erzählt wird es nicht, Hals über Kopf verliebt. Dass er dann erst noch einmal ein paar Jahre ins Gefängnis muss, liegt daran, dass Lulas Mutter ihm einen Messerstecher auf den Hals hetzte, gegen den er sich wehren musste – und das tat er sehr gründlich. Also sehr blutig. Nicolas Cage ("Mondsüchtig" – 1987; Arizona Junior – 1987; Peggy Sue hat geheiratet – 1986; "Birdy" – 1984; Cotton Club – 1984; Rumble Fish – 1983; Ich glaub' ich steh' im Wald – 1982) spielt den Sailor als grundsympathische Type, dem man sogar die blutigen Prügeleien durchgehen lässt – sie sind ja für den guten Zweck der Liebe. Und Laura Dern ("Die Schattenmacher" – 1989; "Blue Velvet" – 1986; "Die Maske" – 1985), auch im wahren Leben die Tochter von Diane Ladd, spielt Lula, die Klischee-schöne Wallemähne-Blondine im hauchzarten Negligé und mit knallroten Lippen und Fingernägeln, die traditionell vom Ritter gerettet werden muss – hier vor dem fauchenden Drachen in Person der übergriffen, durchtriebenen Mutter und vor dem eben erwähnten Teufel.

Dieses rasante Märchen wird im Rahmen eines Roadmovies erzählt. Im Cabrio geht es von der Ostküste über New Orleans, durch Georgia nach Texas – in das schöne Fantasiestädtchen Big Tuna, an dessen Ortseingang ein großer metallener Thunfisch mit einem fröhlichen "Fuck You" die Reisenden begrüßt – bis nach Kalifornien. Wie es sich für das Genre des Roadmovies gehört lernen sich Sailor und Lula, die unterwegs schwanger wird, während der Jagd durchs Land und der Flucht vor Killern noch einmal anders und besser kennen. Und wie im Richtgen Leben gibt es niemanden, der die Fäden in der Hand hält bei diesem irren Trip – außer natürlich David Lynch, Autor und Regisseur in einem, selbst (Blue Velvet – 1986; Dune: Der Wüstenplanet – 1984; Der Elefantenmensch – 1980; Eraserhead – 1977). Aber innerhalb dieser erzählten Märchenwelt halten weder die böse Hexe alias der Drachen alias die böse Schwiegermutter noch der Teufel noch Prinz und Prinzessin die Fäden ihres Lebens in der Hand. Wie im richtigen Leben halt. Man muss sich halt durchschlagen und die richtigen Entscheidungen treffen. Aber was soll schon schiefgehen, wenn, egal wie scheiße das Leben auch gerade ist, die Liebe ehrlich und treu ist? Das ist Kino. Pur!

Wertung: 10 von 10 D-Mark
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