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Plakatmotiv:Eoine andere Frau (1988)

Warmherziger Blick in die Seele
einer rational liebenden Frau

Titel Eine andere Frau
(Another Woman)
Drehbuch Woody Allen
Regie Woody Allen, USA 1988
Darsteller

Gena Rowlands, Mia Farrow, Ian Holm, Blythe Danner, Gene Hackman, Betty Buckley, Martha Plimpton, John Houseman, Sandy Dennis, David Ogden Stiers, Philip Bosco, Harris Yulin, Frances Conroy, Fred Melamed, Kenneth Welsh u.a.

Genre Drama
Filmlänge 81 Minuten
Deutschlandstart
16. März 1989
Website woodyallen.com
Inhalt

Marion Post mietet sich ein Apartment, um an ihrem neuen Buch ungestört arbeiten zu können. Tatsächlich ist es dort nicht so ruhig, wie Marion es sich wünschte.

Durch einen Luftschacht kann sie alles mitanhören, was im Nachbarapartment gesprochen wird. Dabei handelt es sich um das Zimmer eines Psychiaters. Als sie eine junge Frau erzählen hört, dass es ihr immer schwerer fällt, ihr Leben zu ertragen, beginnt Marion damit, über ihr eigenes Leben nachzudenken.

Sie führt nur noch eine lieblose Ehe und verleugnet ihre Gefühle für Larry, den sie tatsächlich mehr liebt als ihren Ehemann Ken. Sie ist eine Frau, die ihre Gefühle unterdrückt oder vor sich selbst verbirgt. Nach einigen Erlebnissen beginnt sie zu verstehen, wie ihr unemotionales Verhalten anderen gegenüber die Mitmenschen und auch sich selbst beeinflusst.

Schließlich entdeckt sie, dass ihr Ehemann sie betrügt. Dadurch wird sie eine andere Frau und trennt sich von ihrem Mann und der eigenen Selbsttäuschung …

Was zu sagen wäre

Nur ein Mensch, der alles hat, kann alles verlieren. Marion ist so ein Mensch: beruflich anerkannt, in zweiter Ehe beständig verheiratet, das Leben mit seinen Fährnissen im Griff. Und dann wird sie 50, hört unabsichtlich die Beichten einer unglücklichen jungen und schwangeren Frau und beginnt nachzudenken, sie tut also, was sie am besten kann: denken. Ratio statt Emotion.

Woody Allen nimmt sich eine Auszeit von seinem Image als amüsantem Stadtneurotiker mit zappelnder Unbeholfenheit und macht Urlaub in der Umgebung von Ingmar Bergmann. Es ist nach Innenleben (1978) sein zweiter Ausflug in diese Region. Wieder spielen Männer die Impulsgeber für weibliche Souveränität, aber keine Hauptrolle. Wieder steht der Geist dem lebendigen Leben im Wege.

Allen findet ein schönes, grausames, klares, böses Bild für eine Ehe, die alle als Glücklich bezeichnen. Bei einer Party im üppig ausgestatteten, mit Büchern vollgestellten Appartement von Marion und Ken ziehen sich beide allein in die Küche zurück, füllen ihr Glas, sehen sich dann aber nicht mal an; er lehnt an der Wand, sie neben ihm nur einen Meter weiter vorne, weil an der Wand die Spülmaschine steht. Dann fragt sie „Würdest Du mich auf dem Wohnzimmerparkett verführen?“ Und er fragt „Möchtest Du das denn? Bist Du ein Parkett-Typ?“ Das Paar, das in zweiter Ehe zueinandergefunden hat, also schon erkannt hat, dass eine Ehe nicht gleichzeitig das Maß aller Liebe ist, begeht diese Beziehung in Fragen und Gegenfragen – nicht etwa in Wünschen oder gar Forderungen. Denn man soll den Partner ja nicht überfordern, sagt der Kopf. Was der Bauch sagt, ist gefährlich, wie die Geschichte immer wieder bewiesen hat.

Deswegen hat Marion sich ja auch nicht hinreißen lassen, mit Larry abzuhauen, dem besten Freund ihres Mannes Ken. Da gab es echte Leidenschaft. Für einen kurzen Moment, bevor die Vernunft wieder Oberhand gewann. Diesen Larry spielt Gene Hackman, Star in Polizei- und Gangsterfilmen des kommerziellen Kinos von der Westküste, der sich augenscheinlich gerne kurz mal als Schriftsteller und glücklicher Ehemann spielt (Mississippi Burning – 1988; No Way Out – 1987; Superman IV – Die Welt am Abgrund – 1987; Die verwegenen Sieben – 1983; Under Fire – 1983; Eureka – 1983; Superman – 1978; Die Brücke von Arnheim – 1977; French Connection II – 1975; 700 Meilen westwärts – 1975; Frankenstein Junior – 1974; "Der Dialog" – 1974; Die Höllenfahrt der Poseidon – 1972; Die Professionals – 1972; French Connection – 1971; Leise weht der Wind des Todes – 1971; Bonnie und Clyde – 1967).

In gewisser Weise ist Marion eine Verwandte von Alvy Singer, jenem rothaarigen, Brille tragenden Intellektuellen aus Allens Stadtneurotiker (1977). Marion betrachtet die Welt und die Menschheit darin abgeklärt durch rationale Analyse. Gefühle führen in die Irre; das haben ihr die Jahre an der Universität beigebracht, als sie mit ihrem Professor ein Verhältnis hatte und feststellte, dass die genormte Rollenverteilung der Geschlechter für sie lauter Stoppschilder im Leben bedeutet, für die Männer aber lauter Vorfahrtsschilder. Ihr mehr als doppelt so alter Liebhaber hatte selbst in ihrer Schwangerschaft noch die klar formulierten Argumente gegen einen Abbruch, wo sie ihr Leben zwischen Küche und Windel versanden sah anstatt im philosophischen Diskurs mit anderen Geistesgrößen.

Seitdem dominierte sie ihre Umgebung, kujonierte jeden mit ihrem tieferen Durchblick, mit ihrem Wissen, mit ihrer unbedingten Klarheit im Urteil. Da musste sich auch schon mal ihr Bruder, der ihr sein erstes Buch zum Testlesen gab, anhören, das sei alles „schwammig“ formuliert, nicht präzise beobachtet. Sie findet das nur ehrlich – so wie Alvy Singer es nur normal fand, der etwas knapp belichteten Annie Hall den Weg ins intellektuell korrekte Leben zu ebnen. Am Ende stehen Alvy und Marion gleichermaßen ungeliebt am Rand – geschätzt, respektiert. Aber nicht geliebt. An diesem Punkt im Leben steht also Marion.

Allen inszeniert sein – witzbefreites – Drama in gewohnt herbstlichen Bildern. Das Strahlen seines von Herbstlaub zum Leuchten gebrachten Manhattan setzt häufiger mal aus, weil es in Strömen regnet – auch das ein Hinweis, dass es sich hier um ein Drama handelt, nicht um eine überkandidelte Gesellschaftssatire. Sein Kameramann ist erstmals der Schwede Sven Nykvist, der zuvor 21 Filme von Ingmar Bergmann ausgeleuchtet hat. Seine New Yorker Figuren bewegen sich durch warm ausgeleuchtete Salons. Selbst im Regen unterliegen die Blautöne. Alles ist warm und im Pastell braun, orange oder gelb.

Gena Rowlands spielt die Philosophin, die ein intellektuell gefüttertes Buch schreiben möchte und dabei über ihre Gefühle stolpert als eben diese. Ursprünglich sollte Allens Lebensgefährtin Mia Farrow die Figur der Marion Post spielen ("September" – 1987; Radio Days – 1987; Hannah und ihre Schwestern – 1986; "The Purple Rose of Cairo" – 1985; Supergirl – 1984; "Broadway Danny Rose" – 1984; "Zelig" – 1983; "Eine Sommernachts-Sexkomödie" – 1982; Tod auf dem Nil – 1978; "Eine Hochzeit" – 1978; Der große Gatsby – 1974; Rosemaries Baby – 1968). Aber sie war schwanger, und das passte nicht zur Rolle. Farrow bekam die Rolle der Hope, der jungen Frau beim Psychiater. Rowlands' Spiel ist zurückgenommen, weil ihr Charakter es nicht gewohnt ist, emotional zu sein. Das macht im Kinosessel den Zugang zu ihr schwer, im weiteren Verlauf des Films aber aus demselben Grund immer einfacher. Ian Holm spielt ihren Ehemann; auch so ein Vertreter des lächerlichen, weil sich überlegen fühlenden Geschlechts. Wenn man weiß, wieviel Leidenschaft der Brite Holm in sein Spiel legen kann, mag abzuschätzen, wie präzise er seinen akademischen Charakter in der New Yorker Society präsentiert (Brazil – 1985; "Greystoke – Die Legende von Tarzan, Herr der Affen " – 1984; Time Bandits – 1981; "Die Stunde des Siegers" – 1981; Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt – 1979; Robin und Marian – 1976; 18 Stunden bis zur Ewigkeit – 1974).

Ein ruhiger Film, beobachtend und gleichzeitig zupackend. Eines der interessanten Werkle Woody Allens.

Wertung: 8 von 10 D-Mark
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