Wenn man todkrank ist, dann hat man nichts mehr zu verlieren. Der erkrankte Bildrestaurator Jonathan Zimmerman, der für das Hamburger Auktionshaus Gantner arbeitet, glaubt aufgrund gefälschter Befunde, dass er bald das zeitliche segnen wird. Deswegen gelingt es dem Geschäftsmann Tom Ripley, der nicht nur neu erstellte Bilder eines angeblich verstorbenen Malers zu hohen Preisen verkauft, sondern der auch Zimmerman die fatalen Arztbefunde untergejubelt hat, den Bildrestaurator in ein gefährliches Unterfangen hineinzuziehen.
Zimmerman gerät schließlich in ein undurchsichtiges Spiel hinein, an dem bald auch weitere Gangster teilnehmen …
An der zentralen Stelle funktioniert der Film nicht: Warum glaubt Jonathan, der an seiner Leukämie früher oder später wird sterben müssen, irgendeinem schwindeligen Gerücht, dass ihn eher früher sterben lässt? Wieso kann Jonathan, beobachtet von zahlreichen Kameras, in der Pariser Métro einen Mord begehen, ohne belangt zu werden?
Gewohnt wortkarg gehen Wim Wenders‘ Figuren durch diesen Film, den sein Kameramann Robby Müller mit überraschend bunten Bildern ausgestattet hat. Wenders versucht den wortkargen Stil seiner großen amerikanischen Hammett-und-Marlow-Vorbilder zu kopieren und verheddert sich dann doch im zum Dialog unfähigen Deutschen Autorenkino, in dem Ehe– oder auch Liebespaare sich gelangweilt anschweigen („Du erzählst mir ja nichts!“), anstatt leidenschaftlich zu streiten; in dem Menschen Drehbuchsätze postulieren, statt einfach miteinander zu reden – „Dialoge sind nicht so einfach, wie Sie denken!“, pflegen Drehbuchautoren zu sagen.
Nun ist der Film auf Dialog kaum angewiesen und seine Mordsgeschichte funktioniert mit Dennis Hopper ("Mad Dog – Der Rebell" – 1976; "Der Marshal" – 1969; Easy Rider – 1969; Hängt ihn höher – 1968; Der Unbeugsame – 1967; Die vier Söhne der Katie Elder – 1965; Giganten – 1956; … denn sie wissen nicht, was sie tun – 1955) und Bruno Ganz ("Die Wildente" – 1976; "Die Marquise von O…" – 1976; "Sommergäste" – 1976) ganz wunderbar – eine klassische Patricia-Highsmith-Moritat mit hilfreichen Fremden und undurchsichtigen Freunden, die verhalten beginnt und dann ordentlich Fahrt aufnimmt. Das ist typisch Wenders. Seine Protagonisten sind leidenschaftslos, scheinen ihre Persönlichkeit als Kostüm spazieren zu führen. Alles, was nicht Einsamkeit heißt, gestattet Wenders seinen Figuren nicht. Diese karge Beschreibung hilft aber dem Zuschauer, die Realitätserfahrung der Figuren ganz unmittelbar zu erspüren. Zuschauer sind so: Wenn ihnen etwas nicht gegeben wird, holen sie es sich aus sich selbst – auf die Gefahr hin, gelangweilt zu sein. Insofern ist es ein bemerkenswertes Produkt des deutschen Films dieser Ära. Wortkarg, irreal und doch faszinierend. Die Geschichte einer Männerfreundschaft. Mit Bildern, bei denen ich Robby Müller unwillkürlich jeden deutschen Kamerapreis gebe. Die großartige Kamera hält den Film zusammen. Hier wirkt er real, im Leben der Zuschaiuer verwurzelt; hier erreicht er den Zuschauer, wo die Charaktere stammelndes Beiwerk bleiben, unter dem Lisa Kreuzer (Alice in den Städten – 1974) ein weiteres Mal ihre Unfähigkeit zu spielen zur Schau stellt.
Nachdem er von Jonathan brüskiert wird, beschließt Ripley sich zu rächen und setzt so die ganze Geschichte in Gang. Je näher sich die beiden Männer kommen, umso stärker schätzen sie die Qualitäten des anderen. Langsam nähern sich die beiden einander an, machen sich gegenseitig kleine Geschenke und stehen sich schließlich gegenseitig bei. „Nach dem letzten Film Im Lauf der Zeit, der fast ohne Drehbuch, vor allem aber ohne ‚Geschichte‘ entstanden war, hatte ich Lust, in dem festen Rahmen einer Geschichte zu arbeiten, die jemand anders geschrieben hatte“, sagte Wim Wenders in einem Interview. Zeit wurd‘s.
"Der amerikanische Freund" war Wenders’ bis dato kommerziell erfolgreichster Film und weckte Francis Ford Coppolas Interesse an einem gemeinsamen Projekt mit dem Regisseur. Wenders drehte Hammett für Coppola, der 1982 in die Kinos kam und furchtbar floppte.
2002 wurde das Buch unter dem Titel "Ripley’s Game" erneut verfilmt. Regie führte Liliana Cavani, John Malkovich spielte den Tom Ripley.
Die Kinofilme von Wim Wenders
Wilhelm Ernst "Wim" Wenders ist ein deutscher Regisseur und Fotograf. Zusammen mit anderen Autorenfilmern des Neuen Deutschen Films gründete er 1971 den Filmverlag der Autoren. Mit Filmen wie Paris, Texas oder Himmel über Berlin erreichte er ab den 1980er Jahren weltweite Bekanntheit.
Wenders sieht sich als „der Reisende und dann erst Regisseur oder Fotograf“. Von 1991 bis 1996 war Wenders Vorsitzender der Europäischen Filmakademie und ist seither deren Präsident. Außerdem war er von 2002 bis 2017 Professor für Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 2020 erschien die Dokumentation Wim Wenders, Desperado von Eric Friedler und Andreas "Campino" Frege, in der die Filmemacher die Ambivalenz zwischen europäischem und amerikanischem Kino (Wenders' Traumland) am Beispiel von Wim Wenders und Francis Ford Coppola analysieren.
- Summer in the City (1970)
- Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1972)
- Der scharlachrote Buchstabe (1973)
- Alice in den Städten (1974)
- Falsche Bewegung (1975)
- Im Lauf der Zeit (1976)
- Der amerikanische Freund (1977)
- Nick's Film – Lightning Over Water (1980)
- Hammett (1982)
- Der Stand der Dinge (1982)
- Paris, Texas (1984)
- Tokyo-Ga (1985)
- Himmel über Berlin (1987)
- Yamamoto – Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten (1989)
- Bis ans Ende der Welt (1991)
- In weiter Ferne, so nah! (1993)
- Lisbon Story (1994)
- Die Gebrüder Skladanowsky (1995)
- Am Ende der Gewalt (1997)
- Buena Vista Social Club (1999)
- The Million Dollar Hotel (2000)
- Viel passiert – Der BAP-Film (2002)
- Land of Plenty (2004)
- Don't come knocking (2005)
- Palermo Shooting (2008)
- Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren (2011)
- Das Salz der Erde (2015)
- Every Thing will be fine (2015)
- Die schönen Tage von Aranjuez (2016)
- Grenzenlos (2017)
- Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes (2018)
- Anselm – Das Rauschen der Zeit (2023)
- Perfect Days (2023)