Buchcover: Volker Kutscher – Der nasse Fisch
Berlin 1929: Sex & Crime und
ein Karriere beflissener Polizist
Titel Der nasse Fisch
Autor Volker Kutscher, Deutschland 2008
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Ausgabe E-Book, 560 Seiten
Genre Krimi
Website kiwi-verlag.de
Inhalt

Berlin 1929: Gereon Rath, aufgewachsen in Köln, als Sohn einer einflussreichen Polizistenfamilie Karriere gemacht bei der Polizei, musste die Stadt nach einem tödlichen Schuss verlassen, fängt neu bei der Sitte in der Hauptstadt an.

Fasziniert von der vibrierenden Atmosphäre der amerikanischsten Stadt Europas, entnervt von den Razzien in Nachtclubs und Bordellen, nutzt Rath die erste sich bietende Gelegenheit, um wieder als Mordermittler tätig zu werden. Ein Toter ohne Identität, der Spuren bestialischer Folterung trägt, gibt der Mordkommission Rätsel auf. Rath entdeckt eine Verbindung zu einem Kreis oppositioneller Exilrussen, die mit geschmuggeltem Gold Waffen kaufen wollen, um einen Putsch vorzubereiten.

Auch andere sind hinter dem Gold und den Waffen her. Rath bekommt es mit Paramilitärs und dem organisierten Verbrechen zu tun. Er verliebt sich in Charlotte, Stenotypistin in der Mordkommission, und missbraucht ihr Insiderwissen für seine einsamen Ermittlungen. Dabei verstrickt er sich immer weiter in den Fall und macht sich schließlich selbst verdächtig

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Der nasse Fisch

Volker Kutscher erzählt einen klassischen Krimiplot – Mord, Ermittlunghen, überraschende Seitenwechsel und Verbecher, die das ganz große Rad in der Stadt drehen (wollen). So weit, so alt. Kutscher verlegt seine Erzählung in das Berlin des Jahres 1929, als die deutsche Hauptstadt war, was sie heutzutage so gerne wieder wäre – ein brodelnder Welt-Gemischtwarenladen aus Sex, Gewalt, Politik. „Dem Leser stockt der Atem, wenn er erste Anzeichen für das Erstarken des Nationalsozialismus bemerkt“, raunt der Klappentext und da liegt ja nahe: Damals, mit dem Ende der Wirschaftskrise tobte in Berlin das Leben, glaubt man historischen Quellen und Filmen. Als Autor muss es reizvoll sein, als Leser ist es das unbedingt, darin einzutauchen. Volker Kutscher taucht aber nicht, er schwimmt nur an der Oberfläche, breitet seine Recherchen über gesellschaftliche, politische und auch geografische Gegebenheiten aus, ohne Menschen darin zu finden.

Die Hauptfigur, Gereon Rath, ein familiär gut vernetzter Polizist, zeichnet sich vor allem durch einen starken Karriertrieb aus, alles was er tut, tut er betont, um einen seinen Vorgesetzten zu beeindrucken, einen anderen auszutricksen oder, nach einem Fehlschlag, die Scharte auszuwetzen. Besonders sympathisch macht ihn das nicht, und warum die beschriebenermaßen sehr attraktive Stenotypistin Charlotte, die alle Charly nennen, unbedingt an diesem Mann aus der „Provinz“ hängen bleibt, bleibt ganz unklar; es mag daran liegen, dass diese Charly ohnehin jede Woche mit einem anderen Mann tanzen geht und an einer Beziehung bislang gescheitert ist, weil sie echte Ansprüche an ihre Berufslaufbahn hat – an drei Tagen in der Woche studiert sie Jura – was die Männer anno 1929 offenbar nicht so toll finden, außer eben Gereon Rath.

Ähnlich oberflächlich bleibt Kutscher in seinen Settings. Die Geschichte spielt von Ende April bis Ende Juni, steigt ein kurz vor ausufernden Straßenkrawallen zum 1. Mai; der Polizeipräsident – „SPD-Mann“ – hat sie verboten, weil er Ausschreitungen der Kommunisten fürchtet. Kurz: In der Stadt stehen sich unversöhnlich verschiedene politische Strömungen, unter anderen eben auch jene Braunhemden, die wir heute als Nationalsozialisten kennen, gegenüber. Das bleibt aber bloße Behauptung. Bis auf einen „Kommunisten-Doktor“, der ein paar Salven gegen Polizeigewalt und Obrigkeitsstaat abfeuern darf, bleiben die Kommunisten oder die Sozis Schießbudenfiguren, die je nach Zugehörigkeit Steine schmeißen oder intrigieren. Die Braunhemden, denen Kutscher wenigstens Sprechrollen zuweist, bleiben vom Typ Waffenschieber, wie wir sie aus zahllosen Genre-Filmen und -Romanen kennen – aber: Es ist 1929, da fingen die Nazis ja gerade erst an. Mag sein, dass das in späteren Romanen um Gereon Rath – Kutscher hat da eine Serie angelegt – expliziter wird.

Große Bemühungen hin zu schriftstellerischer Eleganz sind dem Buch nicht vorzuwerfen. Kutscher schreibt schnell, formuliert eitel, erkennt in dem Blick einer Frau Geheimnisvolles, „Verglichen damit konnte die Mona Lisa einpacken“, markiert seinen Rath als Profi, der wusste „dass der Mann log, noch bevor der seinen Satz überhaupt zu Ende gesprochen hatte“, da werden Dialoge unentwegt von anzuzündenen und auszudrückenden Zigaretten durchwirkt und natürlich kann der Kommissar ungestört langen Gesprächen lauschen, Wort für Wort, auch wenn die hinter geschlossener und gepolsterter Tür stattfinden. Da brüllen sich der Polizeipräsident und der Chef der Mordinspektion wegen mangelnder Ermittlungsergebnisse an; das „Brüllen“ soll erklären, warum Rath jedes Wort versteht. Versucht der Leser allerdings, den folgenden Dialog im Kopf mitzubrüllen, merkt er die bescheuerte Konstrukton dieser Szene (von denen es ähnlich unrealistische viele gibt in diesem Buch): „»Dann reicht das Menschenmögliche offensichtlich nicht!« Zörgiebels Mainzer Singsang. Den kannte Rath noch aus Köln. Je wütender der Mann wurde, desto höher klang seine Stimme. Noch ging die Tonlage als Tenor durch, aber wehe, wenn sie sich in Richtung Alt bewegte oder sich gar zum Sopran überschlug! »Die Presse möchte endlich Ergebnisse sehen! Sie müssen ja nicht gleich den ganzen Fall lösen! Aber irgendetwas Neues werden Sie doch haben, Menschenskinder!«
»Aber nichts, was die Presse zu interessieren hätte, Herr Polizeipräsident. Unzählige kleine Details, vielleicht von Wichtigkeit, vielleicht belanglos. Das kann ich jetzt noch nicht entscheiden. Und der Presse möchte ich diese Entscheidung erst recht nicht überlassen.«
»Sie sind aber dazu da, solche Entscheidungen zu treffen, Herr Oberkommissar! Irgendsoetwas wie eine heiße Spur sollten Sie mittlerweile wenigstens aufweisen können, Herrgott nochmal! Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie allen Hinweisen nachgehen. In welche Richtung ermitteln Sie denn derzeit? Das reicht doch schon, mehr brauchen wir denen gar nicht zu sagen. Die letzte Pressekonferenz in diesem Fall liegt über eine Woche zurück. Ich kann die Herren Journalisten verstehen, dass sie langsam ungeduldig werden. Und wenn wir ihnen nichts bieten, schießen die Spekulationen ins Kraut. So ist das doch immer.«

Solcherart Formulierungslüftchen sind verbreitet im Krimigenre, das sich immer noch gerne als Erbe großer Klassiker wie Dashiell Hammet oder Raymond Chandler sieht, gerät aber zur Farce, wenn der Autor diesen speziellen Stil nicht beherrscht und ein eigener kaum kaum zu erkennen ist. Schlimm genug, glaubt man zwischen den Zeilen zu lesen, dass Berlin nicht Chicago ist, wo in jener fernen Zeit Al Capone dass Zepter schwang. Da möchte Kutscher dann wenigstens bei den Namen mithalten: Charlotte nennen alle Charly, Raths Partner heißt Wolter (sprachlich nah am amerikanischen Walter), der Nachtclubkönig der Stadt heißt allen Ernstes Marlow – nach Raymond Chandlers potentem Privatdetektiv.

Zwischen all diesen Manierismen wird in den Dialogen ordentlich balinat – „berlinert“ – während Gold im Wert von 80 Millionen Mark einen neuen Besitzer und Stahlhelmer mit Schwarzhunderten, Thälmännern, Stalinisten und Braunhemden um geschmuggelte Waffen streiten. Der Reiz, der in diesem Köcher von Möglichkeiten liegt, überträgt sich nicht auf die 560 Seiten des Romans

Das Buch ist die Vorlage für Tom Tykwers TV-Serie „Babylon Berlin“. Ich habe es zwischen dem 10. und 14. November 2017 in Mainz gelesen.