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Plakatmotiv: Jojo Rabbit (2019)

Coming-of-Age-Drama in
einem düsteren Zeitalter

Titel Jojo Rabbit
(Jojo Rabbit)
Drehbuch Taika Waititi
nach dem Roman "Caging Skies" von Christine Leunens
Regie Taika Waititi, USA, Neuseeland, Tschechei 2019
Darsteller

Roman Griffin, Thomasin McKenzie, Scarlett Johansson, Taika Waititi, Sam Rockwell, Rebel Wilson, Alfie Allen, Stephen Merchant, Archie Yates, Luke Brandon Field, Sam Haygarth, Stanislav Callas, Joe Weintraub, Brian Caspe, Gabriel Andrews u.a.

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 108 Minuten
Deutschlandstart
23. Januar 2020
Inhalt

Deutschland während des Zweiten Weltkrieges: Der kleine Jojo Betzler ist ein überzeugter Nazi, der nicht nur in der liebevollen Obhut seiner alleinerziehenden Mutter Rosie, sondern natürlich in der des ganzen Reichs aufwächst. Gerade erst hat er im Nazi-Ferienlager gelernt, wie man Granaten richtig wirft und wie wichtig es ist, dass viele blonde Nachkommen gezeugt werden.

Jojo kann es schon gar nicht erwarten, selbst Mitglied der Partei zu werden, und hat sogar einen besonderen besten Freund: Adolf Hitler persönlich – na ja zumindest fast, denn Jojo bildet sich Hitler nur ein. Aber das ist noch besser, schließlich ist der Führer immer sofort zur Stelle, wenn Jojo dringend Rat braucht. Und den benötigt er bald sehr dringend. Denn er findet heraus, dass seine Mutter ein jüdisches Mädchen versteckt: Elsa.

Und die verwirrt Jojo mächtig. Warum ist sie kein Monster, wie es doch alle Juden angeblich sind? Um die Wahrheit herauszufinden und ein Buch über sie zu schreiben, fängt Jojo nach anfänglicher Angst an, sich mit Elsa zu unterhalten …

Was zu sagen wäre

Darf der das? Eine Komödie machen über den Nazi-Terror? Ein Neuseeländer?? Natürlich darf der das. Weil es erstens keine Komödie über den Nazi-Terror ist. Zweitens alle Elemente des Naziterrors – Holocaust, Unterdrückung, Menschenverachtung, Spitzelei etc. – abgearbeitet werden. Und weil drittens der Nazi-Terror nur gelungene Kulisse eines Coming-of-Age-Dramas ist: Ein zehnjähriger Junge lernt einige Wahrheiten über das Leben, die Liebe und über falsche Versprechungen. Das haben wir so oft im Kino gesehen, und das muss noch für viele Generationen immer wieder im Kino erzählt werden, dass die Kostümierung in ein Nazi-Gewand statt in das 97. High-School-Drama geradezu erfrischend wirkt.

Der kleine Jojo ist mit der Gewissheit erzogen geworden, dass Adolf Hitler ein toller Typ, die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend das Tollste überhaupt und Juden großnasige Typen mit Hörnen sind. Es gab diese unschuldige Generation, zu jung für den Krieg, oder als 14-jähriges Kanonenfutter als "Letztes Aufgebot" bezeichnet, bis plötzlich die Amerikaner oder Russen auf dem Marktplatz standen. Sie wurden die Weiße Generation genannt, weil sie als Kinder für die Gräuel nicht verantwortlich gemacht werden konnten und auch nicht mehr geschossen haben. Hätte das tausendjährige Reich Bestand gehabt, wäre diese Generation – Jahrgänge 1927 bis 1945 – heute die erste Generation genuiner Nazis – in die (dann erfolgreiche) Ideologie hinein geboren.

Plakatmotiv: Jojo Rabbit (2019)Dieses Gedankenspiel gibt dem Film seinen reizvollen Twist. Natürlich diskutiert der Film nicht ernsthaft die menschenverachtende Politik der Nationalsozialisten. Warum sollte er auch? Das ist hinreichend durchdekliniert. Er spiegelt den Terror durch die Brille eines kleinen Jungen, der noch gar nicht versteht, was diese Ideologie eigentlich bedeutet, sie aber wie selbstverständlich in seinen Alltag integriert. Umso größer der Schreck, als das gehörnte Monster sich als schönes Mädchen erweist; als seine Mutter sich als Gegnerin dieser gewohnten Welt herausstellt.

Scarlett Johansson adelt diese Mutter-Figur mit einer herzerwärmenden, wahrlich mütterlichen Präsenz (Marriage Story – 2019; Avengers: Endgame – 2019; Ghost in the Shell – 2017; Hail, Caesar! – 2016; Lucy – 2014; Her – 2013; Under the Skin - Tödliche Verführung – 2013; Don Jon – 2013; Hitchcock – 2012; Wir kaufen einen Zoo – 2011; Vicky Cristina Barcelona – 2008; Die Schwester der Königin – 2008; Nanny Diaries – 2007; Prestige – Die Meister der Magie – 2006; Black Dahlia – 2006; Scoop – Der Knüller – 2006; Die Insel 2005; Match Point – 2005; Lovesong für Bobby Long – 2004; Das Mädchen mit dem Perlenohrring – 2003; Lost in Translation – 2003; Ghost World – 2001; The Man Who Wasn't There – 2001; Der Pferdeflüsterer – 1998).

Plötzlich muss sich der Junge, gerade mit ersten Ausläufern seiner Sexualität beschäftigt, mit einer fremden Welt koordinieren. Das ist keine Fantasy aus einer zurückliegenden Zeit, Taika Waititi holt uns die aktuellen Erfahrungen von Millionen Menschen überall in der Welt auf die Leinwand. Für die Deutschen sind das die Gefühle und Erfahrungen der Menschen, die nach 1989 aus der DDR in die BRD kamen. Aber diese plötzliche Realitätsverschiebung samt pubertärer Verunsicherungen findet sich auf jeder Flüchtlingsroute des 21. Jahrhunderts tausendfach.

Waikiki legt betont keinen Wert auf die reale Abbildung des historischen Nazi-Übels. Während des Titelvorspanns singen die Beatles ihre deutsche Version von "I want to hold Your Hand" (19 Jahre nach Kriegsende veröffentlicht) und zum Abspann singt David Bowie seine deutsche Coverversionen von "Heroes" (32 Jahre nach Kriegsende veröffentlicht). Warum stellt er dann Nazi-Deutschland als Setting seines Films? Weil es eine smarte, noch nicht gesehene Perspektive für sein schlichtes, juveniles Abenteuer-Drama bietet? Weil sich Hakenkreuzfilme im Kino gut verkaufen? Waikiki kennt die Mechanismen des Box Office. Sein vorletzter Film war Kommerzkino pur – Thor: Ragnarok (2017). Er hat gelernt, wie man Geschichten so aufbereitet, dass sie sich an der Kinokasse verkaufen lassen. Dagegen ist gar nichts zu sagen.

Aber sobald ein Hakenkreuz auf der Leinwand zu sehen ist, flippt der Deutsche im Kinosessel aus und fühlt sich bemüßigt, Stellung zu beziehen. Das ist wohl auch gut so! Aber Waikiki, der sich selbst als Comic-Adolf auf dem absteigenden Ast inszeniert, zeigt eine Möglichkeit auf, juvenile Verirrungen neu, anders erzählen zu können – und beschreibt das repressive System der Nazis aus unbekannter, junger Perspektive.

Wertung: 6 von 8 €uro
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