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Plakatmotiv: Die Frau, die vorausgeht (2017)
Der Western wird weiblich.
Titel Die Frau, die vorausgeht
(Woman Walks Ahead)
Drehbuch Steven Knight
Regie Susanna White, USA 2017
Darsteller Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Ciarán Hinds, Chaske Spencer, Louisa Krause, Bill Camp, Boots Southerland, Kindall Charters u.a.
Genre Biografie, Drama, Historie
Filmlänge 101 Minuten
Deutschlandstart
5. Juli 2018
Website a24films.com/woman-walks-ahead
Inhalt

Die New Yorker Malerin Catherine Weldon reist im Jahr 1889 in das Dakota-Territorium, um den legendären Lakota-Häuptling Tatánka Íyotake alias Sitting Bull zu porträtieren. Als sie am Militärstützpunkt Fort Yates in der Standing Rock Reservation ankommt, befiehlt ihr der Chef der Standing Rock Agency, James McLaughlin, die Gegend mit dem nächsten Zug wieder zu verlassen. Doch der Indigene Chaske, Polizist des Bureau of Indian Affairs (BIA) und Neffe von Sitting Bull, bringt sie gegen den Befehl seines Vorgesetzten zu Sitting Bull.

Nachdem er die zur damaligen Zeit gewaltige Summe von 1.000 US-Dollar als Honorar von Weldon heraushandelt, willigt der Häuptling ein, sich porträtieren zu lassen. Während ihres Aufenthalts bekommt Weldon von den Ureinwohnern den Namen Frau, die voraus geht und sie erkennt nach und nach, dass die zu Ende gehenden Indianerkriege nun mit den Mitteln des Landzuteilungsgesetzes fortgeführt und den Ureinwohnern so der größte Teil ihres ohnehin schon massiv dezimierten Landes in den Reservaten geraubt werden soll. Die Stämme sollen zur Unterzeichnung gezwungen werden, indem ihnen die vom BIA ausgegebenen Lebensmittelrationen halbiert werden.

Sitting Bull drückt der Malerin das gesamte Honorar in die Hand, damit sie im Fort Lebensmittel für den Winter einkauft.

Als die Wagenladungen von Ureinwohnern abgefahren werden, begreifen die weißen Siedler, dass damit die Strategie des Aushungerns unterlaufen wird und ihr Hass trifft Weldon …

Was zu sagen wäre

Eines der vielen unrühmichen Kapitel in der US-amerikanischen Geschichte: die weiße Landnahme. Oder anders: die Enteignung der Native Americans, der Ureinwohner, der Indianer. In dieser Geschichte sind die Sympathien heutzutage klar verteilt. Die Indianer sind die freundlichen Opfer, die weißen Soldaten sind die die Monster.

Gerade erst lief Feinde – Hostiles mit Christian Bale in den Kinos, der denselben historischen Hintergrund – Landnahme – mit einer ähnlichen Geschichte um Annäherung und Verständnis erzählt, nominell nur vier Jahre später spielt. Im Amerika des America First-Präsidenten ist die Sehnsucht der Künstler offenbar groß, nochmal darauf hinzuweisen, wer wo steht und wer was falsch gemacht hat.

Wäre das die ganze Geschichte, könnte man den Film schnell abhaken. Aber so einfach ist es dann doch nicht. Drehbuchautor Steven Knight („Allied: Vertraute Fremde“ – 2017; Seventh Son – 2014; Madame Mallory und der Duft von Curry – 2014; „Amazing Grace“ – 2006) hat sich eine authentische Figur als Zentrum seiner Geschichte ausgesucht, nämlich eine Frau – eine Malerin (Künstlerin) noch dazu. Der Film erzählt von der Malerin Catherine Weldon, die 1889 von New York City in das Dakota-Territorium reist, um dort den Lakota-Häuptling Sitting Bull zu porträtieren.

Historisches Vorbild war die schweizerisch-amerikanische Bürgerrechtlerin und Künstlerin Caroline Weldon. Und so hundertprozentig authentisch ist die Figur dann auch nicht – sie ist Hollywoodgerecht geschliffen worden. Die echte Catherine Weldon reiste als politische Aktivistin in den Westen, war geschieden und hatte ein uneheliches Kind. Im Film ist sie eine verwitwete New Yorker Hobbykünstlerin auf Sinnsuche. Klugerweise hat das Studio auf dem Regiestuhl auch eine Frau Platz nehmen lassen. Susanne White schafft es, dass diese Frau, die mit Riesenkoffer und im feinen Kleid 1889 nach North Dakota reist, zwar blauäugig bis zum Quitschen wirkt, aber nicht unglaubwürdig.

Das Genre des Westerns eignet sich ja schon lange nicht mehr als hurrapatriotische Leinwandfanfare für die eigene Großartigkeit. Die Geschichtsschreibung hat auch die US-Bürger erreicht. Sie reden nicht so gerne darüber, aber das haben sie etwa mit den Deutschen, um nur irgendein Beispiel aus der Luft zu greifen, gemeinsam.

Ein unangenehmes Kapitel der amerikanischen Geschichte, noch dazu ein zentrales Kapitel, denn ohne die Enteignung der Native Americans gäbe es die heutigen USA nicht. „Die Geschichte ist nicht aufzuhalten“, sagt Sam Rockwell an einer Stelle im Film. „Wir können nur dafür sorgen, dass sie weitergeht, statt sich im Kreis zu drehen.“ Rockwell spielt mal wieder die Arschloch-Rolle (Three Billboards Outside Ebbing, Missouri – 2017; Poltergeist – 2015; Grow Up!? - Erwachsen werd' ich später – 2014; „7 Psychos“ – 2012; Cowboys & Aliens – 2011; Betty Anne Waters – 2010; Iron Man 2 – 2010; Moon – 2009; „Frost/Nixon“ – 2008; „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ – 2007; The F Word – 2005; „Per Anhalter durch die Galaxis“ – 2005). Die schüttelt er nachts um drei noch aus dem Ärmel. Aber irgendein Weißer muss das Arschloch ja spielen. Und warum dann nicht einer, der es wenigstens gut macht?

Plakatmotiv (US): Woman Walks Ahead – Die Frau, die vorausgeht (2017)Die Haupt- und Titrelrolle spielt Jessica Chastain (Molly's Game – 2017; Die Erfindung der Wahrheit – 2016; The Huntsman & the Ice Queen – 2016; Der Marsianer – 2015; „A Most Violent Year“ – 2014; Interstellar – 2014; Das Verschwinden der Eleanor Rigby – 2013; Mama – 2013; Zero Dark Thirty 2012; The Help – 2011; Coriolanus – 2011). Um ihre Figur kreist der Film. Da ist es auch plötzlich kein Western mehr. Das Genre Western ist ein aus Männersicht erzählter, missionarischer Eroberungsfeldzug, in dem Frauen maximal die Rolle der patenten Haus(zusammen)hälterin spielen – Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Hier zieht eine Frau in den Westen, die nach dem Tod ihres offenbar strunzlangweiligen Gatten, zu ihrer Passion, Malen, zurückkehrt.

Mit ihr erleben wir im Kinosessel diesen Wilden Westen aus ungewohnter Perspektive. Während die Männer tun, was sie immer tun, wenn sie in dieser Gegend Frauen begegnen – „Ma'm“ – sucht sie gegen alle Widerstände den berühmten Sitting Bull, der heute mehr als Kartoffelfarmer gebraucht wird, denn als General-Custer-Bezwinger. Wir als Zuschauer erleben diese Widerstände der Final Frontier hautnah mit, eben weil eine Frau sich da durchbeißt; ich trete wahrscheinlich kaum einem Mann zu nahe, wenn ich behaupte: Frauen, die sich im Jahr 1889 alleine auf den Weg in den Westen gemacht haben, hatten ein paar Eier mehr, als die Zuschauer, die sich 2018 diesen Film im klimatisierten Kino anschauen. Aber Frauen damals wurden keine Guts zugestanden. Eben diese Perspektive macht die Erzählung spannend. Chastain trägt den Film.

Jessica Chastain spielt die Künstlerin entsprechend sensibel zwischen naivem Ich-mache-das-jetzt-einfach und Ich-hab's-ja-so-gewollt an. Sie ist dreidimensionaler selbst als die sehr schönen Totalen der weiten Landschaften. Ihr Spielpartner Michael Greyeyes, der den Sitting Bull spielt, ist ein wenig der edle Wilde, den Austausch zwischen Beiden zu verfolgen, über die Grenzen der Kulturen hinweg, ist spannend, wirkt wie die moderne Variante des The King and I.

Die Andeutung einer Liebesgeschichte braucht es gar nicht, es sei denn, um der Erzählung eine heutzutage gewohnte Struktur zu geben, die das letzte Aufbäumen und schließlich den Untergang der Indianer thematisiert. Über Historie und Liebe steht die Emanzipationsgeschichte einer Frau. Unter Catherine Weldons Anleitung lernen die Lakotas, sich nicht kriegerisch gegen die Landnahme aufzulehnen, sondern abzustimmen. Der Western mag mittlerweile auch weiblich erzä#hlt werden können, aber es braucht halt immer n och die Weißen, um den Wilden die Zivilisation in Form eines demokratischen Prozesses zu bringen. Immerhin, so ehrlich ist der Film dann doch, hat diese Errungenschaft der Weißen den Indianern nichts bringt. Wie ein Insert am Ende verrät, werden sie kurz nach der Abstimmung abgeschlachtet beim Massaker am Wounded Knee.

Weldons erhaltene Porträts des Sittin Bull hängen heute in der North Dakota Historical Society in Bismarck, respektive im Historic Arkansas Museum in Little Rock.

Wertung: 5 von 8 €uro
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