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Plakatmotiv: Die Rechnung ging nicht auf (1956)

Zynismus als eleganter
Schwarz-Weiß-Film

Titel Die Rechnung ging nicht auf
(The Killing)
Drehbuch Stanley Kubrick + Jim Thompson
nach dem Roman „Der Millionencoup“ von Lionel White
Regie Stanley Kubrick, USA 1956
Darsteller

Sterling Hayden, Coleen Gray, Vince Edwards, Jay C. Flippen, Ted de Corsia, Marie Windsor, Elisha Cook Jr., Joe Sawyer, James Edwards, Timothy Carey, Kola Kwariani, Jay Adler, Tito Vuolo, Dorothy Adams, Herbert Ellis u.a.

Genre Drama, Crime
Filmlänge 85 Minuten
Deutschlandstart
27. November 1956
Inhalt

Vier unbescholtene Kleinbürger mit Geldsorgen schließen sich dem eben aus Alcatraz entlassenen Profiverbrecher Johnny Clay an, mit dem Ziel, während des bedeutendsten Rennens der Saison die Kasse des Hippodroms von Lansdowne Park zu überfallen. Barkeeper Mike O’Reilly und der Kassierer George Peatty arbeiten auf der Rennbahn, was den Plan ermöglichen soll – wie der Plan freilich aussehen soll, bleibt zunächst unbekannt.

Stattdessen erfährt der Zuschauer einiges über die unglückliche Ehe zwischen dem schmächtigen George Peatty und seiner selbstsüchtigen Frau Sherry. Nachdem er ihr großspurig von dem geplanten Raub erzählt hat, plant sie zusammen mit ihrem Liebhaber, die Beute an sich zu reißen und unterzutauchen. Johnny heuert unterdessen einen Faustkämpfer sowie einen Scharfschützen an, die während des Überfalls für Verwirrung sorgen sollen, und legt ein Depot in einem Mietbungalow an.

Trotz einiger Zwischenfälle gelingt der Überfall nach Plan. Aber die Welt drumherum läuft plötzlich nicht mehr nach Plan …

Was zu sagen wäre

Dass es um den Coup auf der Rennbahn nicht gut bestellt ist, verrät der deutsche Titel nur allzu deutlich. Aber auch „The Killing“ sagt Manches: Ein erfolgreicher Coup geht nicht mit Mord von der Bühne. Komischerweise stört das nicht. Im Gegenteil: Mit dieser Prämisse wird der Film sogar spannender. Aufgemacht ist er wie eine TV-Dokumentation mit Sprecher aus dem Off mit seriöser, unaufgeregter Stimme. Überall also Profis. Und am Ende geht „die Rechnung nicht auf“? Das will ich wissen.

Videocover: Die Rechnung ging nicht auf (1956)Regisseur Stanley Kubrick setzt eine Ticking Clock zur Dramaturgie ein, die er aus der Romanvorlage übernommen hat. Aus dem Off sagt der Sprecher, wann wir uns jeweils wo und mit welchem Charakter befinden; dabei springt er in der Erzählzeit vor und zurück und wieder vor. Das zwingt uns gleich zu Beginn zu hoher Aufmerksamkeit im Kinosessel. Es dauert, bis klar wird, was für ein Coup eigentlich geplant ist. Dass es sich um irgendwas mit Pferderennen handelt, machen die ersten Filmbilder deutlich, anschließend aber führt der Film erst einmal die Beteiligten ein.

Da ist der Gangster Johnny, der halbwegs was drauf haben muss, weil er nicht aus irgendeinem Gefängnis gerade entlassen wurde, sondern aus Alcatraz. Er träumt von dem einen großen Ding, nach dem er sich mit seiner ihn bedingungslos liebenden Frau ins Privatleben zurückziehen will. Da ist ein Streifenpolizist, der Geld braucht, um Spielschulden zu bezahlen, der Barkeeper von der Rennbahn mit bettlägeriger Frau und ein freundlicher Geldgeber – ein älterer Herr, der sich offenbar in Johnny verliebt hat.

Und da ist George, der auf der Pferderennbahn am Wettschalter für die 5-Dollar-Wetten arbeitet. Den spielt Elisha Cook (Mein großer Freund Shane – 1953; Tote schlafen fest – 1946; Die Spur des Falken –1941). Es ist wieder seine Paraderolle als der kleine Mann, der auf das große Glück wartet, der Verlierer, der einmal gewinnen will und der bei dem Coup nur mitmacht, um seine viel zu blonde Frau zu beeindrucken. Diese Sherry ist die klassische Film-Noir-Blondine, auf eine billige Art gerissen und immer auf das große Geld aus. Mit ihr beginnt der große Coup zu bröseln. Sie macht sich über George lustig, der sei ein Verlierer. Das sei er gar nicht, sagt George und deutet an, dass er bald mächtig Geld absahnen würde; er will seine blonde Frau doch nur für sich einnehmen, aber die betrügt ihn längst mit dem jungen knackigen Kleinkriminellen Val, dem sie auch gleich von dem großen Coup erzählt.

Kubrick lässt sich für dese Dreierkonstellation im Stakkato-Rythmus der vielen Portraits innerhalb der ersten 30 Filmminuten bemerkenswert viel Zeit – um das ungleiche Ehepaar samt Liebhaber und Schwierigkeiten dann fürs Erste wieder aus den Augen zu verlieren. Jetzt nimmt der Coup auf der Rennbahn für den Zuschauer Gestalt an. Die Kamera folgt Johnny Clay auf den Pfaden der Vorbereitung, wir erleben, wie geschickt alles ausbaldowert ist. Wir sehen aber auch, wie sich ein möglicher Stolperstein an den anderen legt. Johnny braucht Handlanger, die für viel Geld kleine Ablenkungsjobs übernehmen sollen. Viel Geld macht misstrauisch.

Zwar sind die Handlanger Vertraute, Kumpel von früher, aber in der Halbwelt ist Loyalität oft eine Frage des Geldes. Und wie sagt Johnnys Freund Maurice, den Johnny anheuert, um mit einer Schlägerei zur richtgen Zeit für Verwirrung auf der Rennbahn zu sorgen: „Du bist nie besonders clever gewesen, Johnny. Aber ich mag Dich trotzdem.“ Offenbar ist Johnny, den Sterling Hayden auch nicht spielt, wie einen kaltblütigen Gangster, sondern eher wie einen Sparkassenmitarbeiter, kein Typ, der einen ausgefuchsten Plan – auch nicht seinen eigenen – ausführen kann. Das deutet sich in der wahnwitzigen Idee an, dass der andere Handlanger das favorisierte Pferd im siebten Rennen des Tages von der Laufbahn schießen soll, um für weitere Ablenkung zu sorgen. Da stockt dem Zuschauer der Atem über die Kaltblütigkeit Johnnys und dann ist in den Minuten vor dem entscheidenden Schuss ein afroamerikanischer Parkplatzwächter so aufdringlich freundlich zu dem Mann, der gleich ein Pferd erschießen will, dass der ihn schließlich mit einem „Verschwinde, Nigger!“ vertreibt, worauf der die Polizei holt, die unmittelbar nach dem Schuss auf den Plan tritt.

Es ist die Freundlichkeit der Mitmenschen, die wie Fremdkörper in dieser professionell kalten Welt wirken, die den sauber kalkulierten Plan gefährden – auch die ahnungslosen Kollegen des beteiligten Barkeepers sind so hilfsbereit, dass der sonst so joviale Barmann sie ungewohnt anherrschen muss, ihn in Ruhe zu lassen. Alles Winzigkeiten, an die sich Menschen später erinnern, wenn mögliche Mittäter des Millionencoups gesucht werden, der schließlich nur mit Rennbahn-Insidern gelingen kann. Und es sind kleinkriminelle Elemente, Neider, Angeber, die den Plkan zum Scheitern bringen – da spielt das titelgebende „Killing“ dann seine Rolle. Der Film ist verfilmter Zynismus in elegantem Schwarz-Weiß

Kubrick schwelgt in dunklen Schatten. Seine Bilder sind große Fotografie, die Menschen darin Figuren die im Dunkeln ihre dunklen Ränke schmieden. Freundlich hell in sonnigem Tageslicht ist die Welt drumherum, in der die hilfbereiten Nachbarn leben, die uns, die wir zwangsläufig auf der Seite der Rennbahnräuber stehen, deren Geschichte der Film ja erzählt, hier so stören.

Am Tag es geplanten Überfalls schaltet Kubrick zwei Gänge hoch. Er erreicht große Dynamik durch den Kniff, dass er den Tag bis zum Start des wichtigen siebten Rennens mehrmals durchläuft. Die Kamera verfolgt Johnny, der ein Maschinengewehr in einem Blumenkarton versteckt und erfolgreich zwischenlagert. Die Kamera springt zu demjenigen, der das Maschinengewehr auf die Rennbahn schmuggeln soll, springt hierhin, dorthin, schließlich auf den Parkplatz zu dem Mann, der das Rennpferd erschießen soll. Kubrick hat an diesem Tag in kurzen Episoden lauter planmäßig geglückte Vorbereitungen gezeigt – immer entsprechend kommentiert aus dem Off: „Es ist 11.03 Uhr, es läuft alles auf die Minuten nach Plan!“ In diesen Einzelepisoden verteilt er die Figuren auf ihre jeweiligen Plätze auf der Rennbahn und landet immer wieder beim Start des siebten Rennens. Dadurch, dass die Pointe, der Coup als solcher, immer weiter rausgezögert wird, zieht die Spannung an wie ein, nunja, Pferderennen auf der Zielgeraden.

Weil wir fürchten, nein: ahnen, dass es trotzdem schief geht, sitzen wir sehr aufrecht im Kinosessel. Und das bleibt bis zur schrecklichen Schlusssequenz dieses dramatischen, realistischen, großartig fotografierten Films so.

Wertung: 6 von 7 D-Mark
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